Donnerstag, 2. April 2020
Do., 2. April
Infektion? Ja, stimmt, ich habe heute noch gar nichts in den Blog gefüttert! Erst hatte ich zuviel zu tun, und dann, als ich zur Fütterung schreiten und dazu erstmal meinen Maileingang kontrollieren wollte, sehe ich die Bescherung: 4.094 neue Mails in meinem Posteingang! Und fast alle von mir selbst an mich selbst verschickt! Natürlich denke ich sofort an einen Virus. Instinktiv taste ich den Computer ab, ob er eventuell erhöhte Temperatur hat, hat er aber nicht. Er hustet nicht, wirft nichts aus und wirkt völlig normal.
Einer aus dem Dorf hat einem Bekannten von mir erzählt, das Corona-Virus könne sich durch Handy-Schwingungen verbreiten. Mein Iphone liegt direkt neben dem Computer, vielleicht hat er ja was abgekriegt. Ich erwarte jetzt einen Anruf meines Computertherapeuten und melde mich wenn möglich später nochmal. Euer Blogwart

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Bürgermeister Michael Grasl: Bericht aus dem Rathaus (3) Das Rathaus hat sich auf die neue Situation eingestellt, Arbeitsplätze für Home Office eingerichtet und den bisherigen Sitzungssaal wegen der Abstände zum Gemeinschafts- und Besprechungsraum umfunktioniert. Regelmäßig tagt dort die Verwaltung, um die wichtigsten Punkte gemeinsam zu besprechen. Bauhof und Kindergarten stellen sich auch auf die neue Situation ein und halten ebenfalls in reduzierter Besetzung den Betrieb aufrecht.

Unser Team hat eine vorbildliche Einstellung, was auch für den Arbeitsplatz gilt. Alle sind soweit gesund. Es gibt immer noch viel aufzuarbeiten und für die kommende Amtsperiode vorzubereiten.

Die angekündigte Kiesaktion für die Landwirte zur Selbstabholung in der Holzer-Kiesgrube soll am 25. April wie geplant durchgeführt werden. Damit werden unsere Feld- und Waldwege durch die Landwirte ausgebessert. Apropos Wege:

In diesen Tagen und auch an den endlich längeren Abenden sieht man viele einheimische Fußgänger, Jogger, Walker und Radfahrer. Wir können uns glücklich schätzen, so viele schöne Wege vor der Haustüre zu haben. Vier Holzbrücken im Gemeindebereich werden jetzt auf Kosten der Gemeinde neu gebaut. Sie erfüllten nicht mehr die heutigen Sicherheitsanforderungen. Die Brücken oder auch die Aussichts- und Liegebänke sind ein Beitrag dazu, unsere Gemeinde noch schöner zu machen, auch und besonders für uns selbst.

Auch ohne offiziellen Ramadama-Termin bitte ich alle aufmerksamen Freiluftsportler nach Möglichkeit, Folien, Becher und andere Fremdkörper zu sammeln und zu entsorgen. Damit verhindern wir, dass Plastik in den Bach gelangt oder in der bald einsetzenden Vegetationsperiode im wahrsten Sinne einwächst. Danke für jeden Handgriff! Wenn man sich eine Tüte einsteckt, und das möglichst viele machen, wäre bald aufgeräumt.

Für das kommenden Wochenende werden viele Erholungssuchende erwartet. Die Polizei hat angekündigt, die bekannten Bereiche verstärkt zu überwachen und Verstöße auch zur Anzeige zu bringen. Diese Verschärfung soll den letzten Unbelehrbaren überzeugen und allen Vernünftigen eine Perspektive bringen, dass es in absehbarer Zeit auch mal wieder anders wird. Das wünschen wir uns doch alle. Picknick und Grillen am See oder Fahrten im Auto außerhalb des Familienverbundes sind also ausdrücklich nicht empfohlen. Halten wir also weiter durch, wir dürfen uns ja Gott sei Dank frei bewegen und sind gut versorgt! Bleibt alle gesund!

P. S.: Wir suchen übrigens ab Mitte Mai noch eine/n Familienbeauftragte/n, eine/n Behindertenbeauftragte/n und eine/n Jugendbeauftragte/n. Interessenten melden sich bitte bei der Sozialreferentin im Gemeinderat Frau Regina Reitenhardt oder bei den bisherigen Beauftragten Tanja Munzinger, Lisa Graf und Anke Mai (Kontaktdaten siehe Münsing aktuell).

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Blick ins Ausland (8) Valeska aus Teneriffa, die uns bereits einen ergreifenden Bericht aus ihrer Isolationssituation am Meer geschickt hatte, schildert uns ihr Befinden nach über zwei Wochen Einsamkeit:
Der neu erwachte Stolz der Unsichtbaren Vorgestern – Tag sechzehn der Ausgangssperre – war ich einkaufen. In meiner derzeitigen Realität bedeutet das einen etwa fünfminütigen Fußmarsch durch nahezu menschenleere Gassen zu einem kleinen Supermercado, für den angesichts seiner Größe und Warenangebots eher die Bezeichnung „Tante-Emma-Laden“ passen würde.



Seit Beginn der Ausgangssperre in Spanien mache ich mich etwa alle zwei, drei Tage auf den Weg zu diesem kleinen Laden, die Einkaufstasche für den Fall etwaiger Kontrollen, einer Art unsinnigen Schutzschild gleich, gut sichtbar vor mir hertragend. Es mag übertrieben klingen, doch diese kleinen Gesten sind innerhalb weniger Tage zu einer wortlosen Sprache geworden, mit der den Mitbürgern vermittelt wird: „Ich habe einen gerechtfertigten Grund für meinen Ausflug.“

Für den kleinen Küstenort, in dem ich diese unbeschreibliche Zeit verbringe, mag es tatsächlich eine überspitzte Vorsichtsmaßnahme sein. Hier kennt man sich, zumindest vom Sehen, und niemand würde mich aufhalten oder gar angehen, weil ich es wage, auf der Straße unterwegs zu sein. Im Gegenteil, wem auch immer ich begegne, ich werde mit einem Lächeln – verhalten und dennoch offen – und freundlichem hola begrüßt. Und jede einzelne dieser kurzen menschlichen Begegnungen tut gut. Bei diesem flüchtigen Augenkontakt, findet meist mehr lautloser Austausch statt, als es je zuvor bei einem wortreichen Smalltalk gewesen sein könnte. Zumindest kommt es mir so vor. Unser Mund spricht hola, in Gedanken jedoch beschäftigen wir uns innerhalb von Sekunden mit dem gesamten Ausmaß dieser unwirklichen Situation, mit der Frage, wann es wieder normal sein wird, und der immer weniger zu verdrängenden Ahnung, dass das, was für uns bislang Normalität war, wohl in der Form so schnell nicht zurückkehren wird. Wenn überhaupt.

Im größeren Kontext jedoch, in Städten wie Madrid und Barcelona, hat diese Art der stummen Kommunikation inzwischen sehr wohl eine Bedeutung erlangt, die bis vor Kurzem wahrscheinlich noch kaum jemand für möglich gehalten hätte. Dort nämlich, wo das Virus besonders unbarmherzig grassiert und sich allabendlich um 20 Uhr die schönste Seite des menschlichen Wesens zeigt, wenn die Menschen auf ihre Balkone oder ans Fenster treten, um minutenlang mit ihrem Klatschen den unzähligen Hilfskräften – medizinischem und Pflegepersonal, Sicherheitskräften, Müllabfuhr, Feuerwehr, Kioskbetreibern, und Supermarkt-Personal, einfach all jenen, die bislang unbeachtet im Verborgen wirkten, jetzt aber unser sprichwörtliches Leben soweit wie möglich am Laufen halten – Beifall zu zollen und für ihren unermüdlichen, mutigen Einsatz zu danken; dort, wo vielerorts der stillschweigend in Spanien zur Hymne dieser Zeit erkorene Schlager „Resistiré“ („Ich werde es überstehen“) der Gruppe Duo Dinámico – den Umständen entsprechend abgewandelt oder in Originalversion – durch die Straßen schallt; dort, wo so viele der eigenen Unsicherheit und Angst mit überbordender Kreativität, schier grenzenlosem Einfallsreichtum und Humor begegnen; dort, ja genau dort, tritt auch die Kehrseite des menschlichen Seins zutage.

Dann nämlich, wenn selbsterkorene policías von ihren Balkonen aus Fußgänger beschimpfen, deren Grund für ihre Präsenz auf der Straße für sie nicht augenblicklich zu erkennen ist. „¡Véte a tu casa, inconsciente!“, also in etwa „Geh‘ nach Hause, du leichtsinniger Narr!“, ist dabei noch die freundlichste Variante der Schimpftiraden, zu denen sich einige wenige tatsächliche inconscientes nun anscheinend berufen fühlen. Dass es dabei meistens nicht wirklich Unvernünftige trifft, die sich entgegen der strengen Vorgaben auf der Straße befinden, sondern beispielsweise Pflegepersonal, das sich – erschöpft nach einer endlosen Schicht im Krankenhaus und zutiefst mitgenommen von den dramatischen Szenen, die sie dabei erlebt haben – auf dem Rückweg in eines der zu Notunterkünften umfunktionierten Hotels befindet, wo sie nun leben müssen, um die eigene Familie nicht in Gefahr zu bringen. Dass es also eben die Menschen trifft, denen die selbst ernannten espías, Spione, kurz zuvor möglicherweise noch vom selben Ort aus Applaus gespendet hatten, das scheint ihnen auf ihren kurz darauf zu Gefängniswachtürmen umfunktionieren Balkonen nicht bewusst zu sein.

In zunehmendem Maße trifft es auch Menschen, die einen psychisch kranken Familienangehörigen zu dessen Beruhigung auf einen kurzen Spaziergang durch die verlassenen Straßen begleiten. Oder Mütter und Väter, die ihrem unter Autismus leidenden Kind eine kurze Auszeit von dem für diese kaum nachzuvollziehenden Eingesperrtsein gönnen wollen. Alles gesetzlich verankerte Ausnahmen von den strengen Isolationsmaßnahmen. Und dennoch erregt es bei einigen einen so großen, unreflektierten Unmut, dass sie sich dazu berechtigt fühlen, ihrem Ärger lautstark Luft zu machen. Die spanische Vereinigung für Autisten hat sich angesichts dieser „nachbarschaftlichen Gestapo“ – ja davon ist wortwörtlich die Rede – inzwischen gezwungen gesehen, eine Aufklärungskampagne ins Leben zu rufen, um die Bevölkerung für die besonderen Bedürfnisse ihrer Schützlinge zu sensibilisieren. Betroffene sollen nun blaue Armbinden tragen, um sie möglichst schnell für vermeintliche Balkon-Polizisten erkenntlich zu machen und sie vor der ungebremsten Wut zu schützen.

Während ich noch darüber nachdenke und mir der Tatsache bewusstwerde, dass ich seit nunmehr sechzehn Tagen keinen echten physischen Kontakt mehr mit Menschen hatte, der über einen hastigen Wortwechsel aus mindestens 1,5 Meter Entfernung hinausgeht, erreiche ich den Eingang des Supermercado.

Es ist kurz vor 13 Uhr und ich hatte übersehen, dass die Öffnungszeiten geändert wurden und der Laden jetzt ausnahmsweise über Mittag schließt. Ich will mich bereits umdrehen, als mich eine der Kassiererinnen sieht und hereinbittet. Mir ist das unangenehm, ich weiß, wie hart sie momentan arbeiten müssen, doch sie zerstreut mein Zögern mit einem breiten Lächeln. Ich verspreche, mich zu beeilen, was schon allein aufgrund der Tatsache, dass ich mir erst einmal mit dem am Eingang bereitgestellten Desinfektionsmittel die Hände einreiben muss, um mir dann Einweg-Handschuhe überzustreifen, gar nicht so leicht ist. Sie zerstreut meine letzten Bedenken mit einem einladenden „Para eso estamos“, „Das ist unser Job“. Ich betrete also den kleinen Laden, in dem ich nun allein mit drei Verkäuferinnen bin, die bereits mit Aufräumen und Desinfizieren des Kassenbereichs und der Einkaufskörbe begonnen haben. Wir kennen uns seit Jahren, doch bislang ging unser Austausch nicht über ein paar freundliche Worte hinaus. Und auch in diesen letzten beiden Wochen hatte ich mich kaum getraut, sie anzusprechen, so ernst und sehr auf ihre Arbeit und die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften konzentriert kamen sie mir vor. Dieses Mal ist es jedoch anders.

Als ich die Kasse erreiche und vorsichtig nach einem Produkt frage, das ich seit zwei Wochen nicht bekommen konnte – nein, es ist kein Klopapier – versichern sie mir, dass es bereits zwei Tage später geliefert werden soll. Ich solle aber vormittags kommen, denn nachmittags sei der Laden geschlossen. Dann nämlich würde der gesamte Laden von Spezialisten desinfiziert, um das Risiko einer Ansteckung für Kunden und Personal möglichst gering zu halten. „Wir müssen das jetzt einmal die Woche machen lassen“, erklären sie mir und eine der Verkäuferinnen fügt noch hinzu, sie würden aber ohnehin nach jedem Kunden den benutzten Einkaufskorb auswischen und jeden Abend nach Ladenschluss selber dafür sorgen, dass der gesamte Verkaufsbereich so gründlich wie möglich gereinigt wird. „Das machen die im Mercado bestimmt nicht“, meint eine von ihnen in Bezug auf ihren großen Supermarkt-Konkurrenten im Nachbarort. Während sie noch erzählen, fallen mir auf einmal ihre strahlenden Augen auf.
Sie scheinen innerlich zu wachsen. Ihr Rücken wird gerade, ihre gesamte Haltung strahlt Stolz aus. Ja, es ist deutlich zu erkennen, sie sind stolz auf ihre Arbeit, stolz, helfen zu können, stolz aus Eigeninitiative mehr zu leisten, als von ihnen verlangt wird, und sicherlich auch stolz, endlich „gesehen“ zu werden. Ich frage sie, wie sie die Situation erleben, wie es ihnen geht, und plötzlich sind wir mitten drin in einem Gespräch, das weit über den üblichen Smalltalk hinausgeht. „Die Natur muss uns wohl eine Lektion erteilen, sonst lernen wir nicht“, meint eines der Mädchen, eine Aussage, über die ich selbst in den letzten Wochen immer wieder nachdenken musste, die ich aber in diesem Umfeld nicht erwartet hätte.



Wir tauschen uns über unseren Eindruck aus, dass schon jetzt das Meer sauberer und der nächtliche Himmel klarer wirken. Es ist egal, ob es Einbildung oder Tatsache ist, für einige Minuten verbindet uns der Wunsch, dass es so ist und dass alles, was jetzt um uns und mit uns geschieht, einen tieferen Sinn hat und die Chance in sich birgt, alle gemeinsam die Welt zu einem besseren Ort werden zu lassen. Für einige Minuten sind wir nicht Kundin und Verkäuferinnen, sondern nur vier Menschen, die sich unverhofft gegenseitig Einblick gewähren, in Dinge, die wir sonst lieber für uns behalten, zu groß ist die Gefahr, dafür belächelt oder als naive Träumer hingestellt zu werden. Für einige Minuten sind wir uns innerlich nah. Ich sehe die drei Frauen und ihren neu erwachten Stolz und will dort, mitten im Laden, ganz alleine für sie klatschen und traue mich doch nur, ihnen schüchtern meinen Dank auszusprechen, bevor ich mit leichterem Herzen und einem Lächeln auf den Lippen in meine Wohnung zurückkehre.

Heute war ich erneut in dem Laden, um jenes Produkt zu kaufen, das ich glaubte, es würde mir fehlen. Ihre geschäftliche, konzentrierte Arbeitshaltung ist zurück. Die Gesichter stecken wieder hinter Schutzmasken. Mehr als hola, gracias und adiós tauschen wir dieses Mal nicht aus. In mir lebt dieser Moment unverhoffter Nähe jedoch ungebrochen weiter. Ihren strahlenden Stolz werde ich nie vergessen, ebenso wenig, wie das Wissen darum, dass uns derselbe Wunsch nach Sinn, dass uns dieselbe Hoffnung auf eine bessere Welt verbindet. Ohne das vermisste Produkt mache ich mich wieder auf den Heimweg. Es wurde immer noch nicht geliefert. Es ist mir egal. Mir ist schon längst bewusst geworden, dass ich es in Wahrheit gar nicht brauche.
Valeska zur Linden,
Bajamar, Teneriffa, den 1. April 2020


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Elke aus dem Wald Nach dem Fake-Vogel von gestern lernt ihr heute meinen richtigen Nachbarn kennen. Er hat sein Haus bezogen und weckt mich jeden Morgen mit den ungewöhnlichsten Tönen. Stare können Stimmen imitieren. Meiner tut neben vielen anderen unglaublichen Varianten so wie eine Ente, ein Blesshuhn, ein Greifvogel (!), wie ein Delphin (wo er den wohl gehört hat?) wie eine Grille oder wie ein Hund.



Hier könnt ihr mal reinhören (es lohnt sich, die kompletten 3,5 Minuten anzuhören)

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