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Dienstag, 8. September 2020
Di., 8. September
corona-muensing, 23:34h
Dr. Lohse berichtet – die 26. Woche der Pandemie in Münsing Vor einem halben Jahr kam die Pandemie. Kürzlich meinte ein Politiker, ich glaube es war Herr Steinmeier, sinngemäß „wir haben den Corona-Ausnahmezustand gut gemeistert, dann werden wir nun auch den Corona-Alltag hinbekommen“. Der Sinn dieses Satzes arbeitet etwas in mir nach, ich finde ihn bei längerem Betrachten echt gut.
Sehr gut kann ich mich an den Schrecken mit den dramatischen Bildern aus den Nachbarländern erinnern. Unsere Töchter waren als Ärztinnen involviert, in der Klinik entweder als Covid-19 Stationsärztin oder als Nachrücker in Krisenplänen, und wurde schließlich wegen Schwangerschaft aus dem Medizinbetrieb herausgenommen. Der Krisenfall. Krass. Unter diesem Eindruck begann ich auch, dieses Wochentagebuch zu schreiben.
Und jetzt befinden wir uns auf der Suche nach dem befürchteten Corona-Alltag, das heißt, einem umsichtigen verantwortungsvollen Verhalten ohne dramatische Bilder. Unsere Älteste zitiert immer wieder einen angloamerikanischen Satz (die sind ja etwas enthemmter in ihren Ausdrücken): „there is no sex in prevention“. In langweiligem Deutsch könnte man auch sagen: Vorsorge ist doof und macht keine Helden. Zu diesem Alltag gehören die vielen vielen Bedächtigen, die wenigen sehr Ängstlichen, die paar völligen Verleugner und die beträchtliche Zahl der Verunsicherten, natürlich auch die Wissengschaftler und die Rechthaber. Das Wissen um die Erkrankung wächst, damit natürlich auch die Widersprüche.
Hier bei uns tragen gerade viele den Samen neuer Infektionen wieder ins Land, junge erholte Reiserückkehrer. Wenn es schlecht läuft, vermehrt es sich wieder massiv, wenn es gut läuft, geht diese Saat nicht auf. Wir werden sehen – so etwa in vier Wochen.
Meine Familie behauptet immer wieder, ich sei verspielt. Tatsächlich spiele ich zur Zeit mit Duftstoffen. Immer wieder hört man von Geruchsstörungen durch eine Covid-19 Infektion. Von dem Holzhausener Cluster, also der Gruppe meist junger Menschen, die sich im März angesteckt hatten und zum Teil erkrankt waren, hat ein Teil Störungen in diesem Bereich. Eine längere Recherche der erreichbaren Literatur ergibt keine Behandlungsempfehlungen, und die Zahlen zu diesen Nebensymptomen sind unklar.
Also fange ich selber an, tätig zu werden. Da ich lange in der Neurologie tätig war, richte ich mir ein kleines Diagnostikset her und habe angefangen, zu testen: Vanille, Kaffee, Zimt und Pfeffer, abgefüllt in kleinen Dosen eignen sich super, da sie die Geruchsbahnen der oberen Atemwege testen. Süß und sauer sowie salzig läuft über Zungennerven, die werden durch den Covid-19 Infekt wohl nicht so betroffen. Erste Tests sind irritierend: Auch bei nur ganz leichtem Krankheitsverlauf finde ich oft deutliche Defizite. Die Theorie ist, dass das Virus auch Nervengeflechte zu schädigen vermag. Die Geruchsnerven des oberen Nasenraumes, die für diese Störungen verantwortlich sein können, kommen als ganz feine Fasern von der Basis des Stirnhirnes (vom bulbus olfactorius an der Basis des Frontalhirnes) durch einen löchrigen Bereich der Schädelbasis (lamina cribrosa) zu ihren Messgeräten, den Geschmackssensoren in der Nasenschleimhaut. Und hier kann ich teils massive Ausfälle messen. Die Menschen sind vorher alle kerngesund gewesen, die Störungen sind teils nur irritierend, teils aber auch berufsgefährdend (Koch, Ärztin).
Nachdem eine Nervenschädigung vorzuliegen scheint, fange ich an, dies mit Mitteln gegen Nervenschädigung aus der Welt der Neurologie zu behandeln. Tatsächlich ist in einem ersten Fall eine völlige Besserung eingetreten, dass es mir fast etwas unheimlich ist. Bin gespannt, wie es da weitergeht. Das nächste Phänomen, das mir auffällt, ist eine psychische Veränderung, eine Veränderung des inneren Kraftflusses: Wo der Körper sich erholt hat, kommt der innere Pilot nicht mehr voll in die Reihe. Geringe Belastungen benötigen lange Erholung, die Initiative liegt darnieder, bei wieder anderen ist die Frustrationstoleranz deutlich verringert. Als Psychiater könnte ich ja auch annehmen, dass das alles ein Psychotrauma sei, ausgelöst durch den Schrecken einer Erkrankung. Aber das ist in dieser Häufung und in dieser speziellen Ausführung Unfug, es handelt sich tatsächlich um ein diskretes neuropsychiatrisches Phänomen. Der Ursprung dieses Komplexes könnte eine Störung im Frontalhirn, dem Stirnhirn, liegen, direkt über dem bulbus olfactorius, hochgeleitet durch die lamina cribrosa.
Nachdem ich aber nur ein Beobachter bin, der kleine verspielte Diagnoseinstrumente entwickelt, wird es noch eine Zeit dauern, bis diese Beobachtung in Studien zusammengefasst und einer breiteren Diskussion zugeführt werden. Ich werde auf jeden Fall diese Beobachtungen systematisch fortführen.
Alleine die Vorstellung, dass ein wunderbares Essen auf dem Tisch steht, dampft und verführerisch aussieht – und ich rieche oder schmecke es nicht – motiviert mich, mich weiter gut zu schützen und meine Beobachtungen fortzuführen.
***
Sehr gut kann ich mich an den Schrecken mit den dramatischen Bildern aus den Nachbarländern erinnern. Unsere Töchter waren als Ärztinnen involviert, in der Klinik entweder als Covid-19 Stationsärztin oder als Nachrücker in Krisenplänen, und wurde schließlich wegen Schwangerschaft aus dem Medizinbetrieb herausgenommen. Der Krisenfall. Krass. Unter diesem Eindruck begann ich auch, dieses Wochentagebuch zu schreiben.
Und jetzt befinden wir uns auf der Suche nach dem befürchteten Corona-Alltag, das heißt, einem umsichtigen verantwortungsvollen Verhalten ohne dramatische Bilder. Unsere Älteste zitiert immer wieder einen angloamerikanischen Satz (die sind ja etwas enthemmter in ihren Ausdrücken): „there is no sex in prevention“. In langweiligem Deutsch könnte man auch sagen: Vorsorge ist doof und macht keine Helden. Zu diesem Alltag gehören die vielen vielen Bedächtigen, die wenigen sehr Ängstlichen, die paar völligen Verleugner und die beträchtliche Zahl der Verunsicherten, natürlich auch die Wissengschaftler und die Rechthaber. Das Wissen um die Erkrankung wächst, damit natürlich auch die Widersprüche.
Hier bei uns tragen gerade viele den Samen neuer Infektionen wieder ins Land, junge erholte Reiserückkehrer. Wenn es schlecht läuft, vermehrt es sich wieder massiv, wenn es gut läuft, geht diese Saat nicht auf. Wir werden sehen – so etwa in vier Wochen.
Meine Familie behauptet immer wieder, ich sei verspielt. Tatsächlich spiele ich zur Zeit mit Duftstoffen. Immer wieder hört man von Geruchsstörungen durch eine Covid-19 Infektion. Von dem Holzhausener Cluster, also der Gruppe meist junger Menschen, die sich im März angesteckt hatten und zum Teil erkrankt waren, hat ein Teil Störungen in diesem Bereich. Eine längere Recherche der erreichbaren Literatur ergibt keine Behandlungsempfehlungen, und die Zahlen zu diesen Nebensymptomen sind unklar.
Also fange ich selber an, tätig zu werden. Da ich lange in der Neurologie tätig war, richte ich mir ein kleines Diagnostikset her und habe angefangen, zu testen: Vanille, Kaffee, Zimt und Pfeffer, abgefüllt in kleinen Dosen eignen sich super, da sie die Geruchsbahnen der oberen Atemwege testen. Süß und sauer sowie salzig läuft über Zungennerven, die werden durch den Covid-19 Infekt wohl nicht so betroffen. Erste Tests sind irritierend: Auch bei nur ganz leichtem Krankheitsverlauf finde ich oft deutliche Defizite. Die Theorie ist, dass das Virus auch Nervengeflechte zu schädigen vermag. Die Geruchsnerven des oberen Nasenraumes, die für diese Störungen verantwortlich sein können, kommen als ganz feine Fasern von der Basis des Stirnhirnes (vom bulbus olfactorius an der Basis des Frontalhirnes) durch einen löchrigen Bereich der Schädelbasis (lamina cribrosa) zu ihren Messgeräten, den Geschmackssensoren in der Nasenschleimhaut. Und hier kann ich teils massive Ausfälle messen. Die Menschen sind vorher alle kerngesund gewesen, die Störungen sind teils nur irritierend, teils aber auch berufsgefährdend (Koch, Ärztin).
Nachdem eine Nervenschädigung vorzuliegen scheint, fange ich an, dies mit Mitteln gegen Nervenschädigung aus der Welt der Neurologie zu behandeln. Tatsächlich ist in einem ersten Fall eine völlige Besserung eingetreten, dass es mir fast etwas unheimlich ist. Bin gespannt, wie es da weitergeht. Das nächste Phänomen, das mir auffällt, ist eine psychische Veränderung, eine Veränderung des inneren Kraftflusses: Wo der Körper sich erholt hat, kommt der innere Pilot nicht mehr voll in die Reihe. Geringe Belastungen benötigen lange Erholung, die Initiative liegt darnieder, bei wieder anderen ist die Frustrationstoleranz deutlich verringert. Als Psychiater könnte ich ja auch annehmen, dass das alles ein Psychotrauma sei, ausgelöst durch den Schrecken einer Erkrankung. Aber das ist in dieser Häufung und in dieser speziellen Ausführung Unfug, es handelt sich tatsächlich um ein diskretes neuropsychiatrisches Phänomen. Der Ursprung dieses Komplexes könnte eine Störung im Frontalhirn, dem Stirnhirn, liegen, direkt über dem bulbus olfactorius, hochgeleitet durch die lamina cribrosa.
Nachdem ich aber nur ein Beobachter bin, der kleine verspielte Diagnoseinstrumente entwickelt, wird es noch eine Zeit dauern, bis diese Beobachtung in Studien zusammengefasst und einer breiteren Diskussion zugeführt werden. Ich werde auf jeden Fall diese Beobachtungen systematisch fortführen.
Alleine die Vorstellung, dass ein wunderbares Essen auf dem Tisch steht, dampft und verführerisch aussieht – und ich rieche oder schmecke es nicht – motiviert mich, mich weiter gut zu schützen und meine Beobachtungen fortzuführen.
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Freitag, 4. September 2020
Mi., 3. September
corona-muensing, 01:17h
Aha! Laut einer Umfrage der Friedrich-Naumann-Stiftung denkt jeder vierte Deutsche, das Coronavirus sei in einem chinesischen Labor gezüchtet worden. Und jeder fünfte im Alter von 18 bis 34 glaubt, es bestehe ein Zusammenhang zwischen der Pandemie und dem Ausbau des 5G-Netzes. Das war heute im SPIEGEL zu lesen. Unterm Strich denken die vermutlich, dass die Chinesen ihr Virus über Huawei per 5G-Netz weltweit verbreiten.
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Mittwoch, 2. September 2020
Mi., 2. Sept.
corona-muensing, 21:58h
Dr. Lohse berichtet – die 24. Und 25. Woche der Pandemie in Münsing Der Sommer macht Pause. Die Schwalben packen die Koffer, die Flugübungen haben sie gekräftigt, sie werden weniger. Dafür geben die Früchte der Natur noch einmal richtig Gas: Die Äpfel werden schwer und schwerer, nachts hört man manchmal ein lautes Plumpsen aus der Richtung des Apfelbaumes, wieder einer heruntergefallen. Meine Weinstöcke zeigen stolz ihre Trauben, sie sind schon violett geworden und werden dicker. Fast täglich koste ich eine, leider sind sie noch recht sauer.
Nach dem Urlaub war der Start in der Praxis – der EDV sei Dank - ja fast ein Fiasko geworden, Sonntagabend schien die Welt gerettet, Montagvormittag kommt aber noch ein Spannungsmoment durch einen erneuten Telefonausfall für eine Stunde, dann läuft wieder alles. Oh du wohltuender Alltag, wenn alles funktioniert.
Neben dem hausärztlichen Routinealltag schiebt sich nun doch unser kleines Virus wieder auf die Bühne.
Als grundbedächtiger Mensch forciere ich seit Anfang Juli den Auf- und Ausbau unseres Drive-In in Münsing mit Bedacht weit vorausplanend, erste Durchläufe finden statt, wir testen pro Tag etwa 40 Personen, fischen auch der ersten Covid-19 positiven heraus.
Dann werden wir mit Schwung rechts überholt: Die bayerische Staatsregierung hat eine Anordnung an alle Landkreise „rausgehauen“, die besagt, dass bis zum 31.8. jeder Landkreis ein großes Testzentrum bereitstellen muss. Auf der kommunalen Ebene war mit Ende des Katastrophenfalles schlagartig alles abgebaut worden. Nun wird festgestellt, dass die Ferien bald herum sind und dringendster Handlungsbedarf besteht. Die Zentren sollen pro Tag 2-3 Promille eines Landkreises testen können, in unserem Fall Landkreis also etwa 300 Menschen. Die EDV soll für täglich mehrere Tausend Fälle bereitstehen. Die Landratsämter wurden letzte Woche mit einer Serie hoch detaillierter Anweisungen bombardiert, dass sie mir wirklich leid tun. Bei genauem Studium kann man sich den Schreibtisch fast schon vorstellen, an dem ohne Störung durch lästige Realitäten begeistert getüftelt wurde. Es wird lieber vorgeschrieben, dass alle Teststationen standardisiert sein sollen, als auch nur ein Eckerl Gestaltungsfreiheit zu lassen. Die Kosten sind egal. Böse Zungen würden das teuren Aktionismus nennen. Jetzt sind Pressemitteilungen herausgekommen, der Merkur hat es auch schon abgedruckt: Am 1. September beginnen in der neu erstandenen Tölzer Teststation am Eisstadiondie ersten Testungen, vergeben an eine Privatfirma. Respekt, ganz tiefen Respekt vor den Mitarbeitern im Landratsamt!
Da freue ich mich wieder, ein kleiner Dorfarzt zu sein, und tun zu können, was ich gelernt habe. Klar ist: Aktiv sein müssen wir, aber dieses stopp und go, dieser aktuelle politische Schaufensteraktionismus nervt. Es ist schwierig geworden, zu durchschauen, was wirklich wichtig ist. Bei diesem Zickzack tun sich Allesablehner leicht, zu unterstellen, dass das alles Quatsch ist.
Zum Abschluss für heute eine kleine persönliche Anmerkung zu den Mund-Nase-Masken: Zu Beginn der Pandemie war ich ja begeistert von der kreativen Vielfältigkeit der Gesichtsbedeckungen aus Stoff. Bin ich immer noch.
Aber die zunehmende Angewohnheit, die Nase nicht zu bedecken, finde ich sehr unhöflich. Erstens schaut es aus, als würde ein Kleidungsstück zu tief hängen und da schaut was raus, zweitens ist es eine Respektlosigkeit sondersgleichen, da es ja nicht um den Eigen- sondern den Fremdschutz geht.
Draußen naht die Nacht. Während ich weiß, dass im Landratsamt jetzt am Wochenende noch lange die Lichter an sein werden, kann ich mich erfreulicheren Dingen zuwenden und noch eine Runde singen.
***
Geht’s noch? Jetzt war ich eine Zeit lang echt sprachlos angesichts der Umtriebe meiner Zeitgenossen. Ich habe dauernd nach Amerika geschaut und mit offenem Mund gestaunt, wie dort ein Opa gegen den anderen einen Bürgerkrieg vom Zaum bricht, und hätte dabei fast übersehen, was hier so abgeht. Virologen erhalten Morddrohungen und Leute mit Regenbogenfahnen tun sich mit Reichbürgern und Nazis zusammen und wollen gemeinsam den Reichstag stürmen.
Geht’s eigentlich noch? Wegen eines Virus? Wegen der Maßnahmen, die dagegen ergriffen werden – die zwar nerven, die uns aber bei Einhaltung davor bewahren, dass weit einschneidendere ergriffen werden müssen oder dass die Pandemie sich sehr viele Opfer holt. Wissen die eigentlich, wie’s in anderen Ländern aussieht? Ich bin absolut kein Nationalist, noch nicht mal ein Patriot – es reicht vielleicht gerade noch zu ein bisschen Münsinger Lokalpatriotismus –, aber ich frage mich, in welchem Land würden die denn gern leben? Wo ist es derzeit besser als bei uns? Welches Europäische Land, welcher Industriestaat, welches Land überhaupt hat niedrigere Infektions- und Opferraten als wir? Ihr Ballermänner, Aluhutträger, Reichsflaggenschwenker, Holocaustleugner, Putinschreier, QAnonisten, Trumpisten, Pegidas und so weiter: Sucht euch ein Land aus, in dem es besser ist als bei uns und schreibt mir eine Ansichtskarte, denn es würde mich stark interessieren, wo Ihr da landet.
Und all Ihr netten Leute, die Ihr nicht so in Urlaub fahren konntet, wie Ihr’s gerne gehabt hättet, Ihr Eltern, die Ihr euch so viel mit Euren Kindern befassen müsst, und all die Feierbiester, die nicht so können wie sie wollen: Könnt Ihr nicht die Füße stillhalten und einfach mal abwarten? Es wird schon.
***
Nach dem Urlaub war der Start in der Praxis – der EDV sei Dank - ja fast ein Fiasko geworden, Sonntagabend schien die Welt gerettet, Montagvormittag kommt aber noch ein Spannungsmoment durch einen erneuten Telefonausfall für eine Stunde, dann läuft wieder alles. Oh du wohltuender Alltag, wenn alles funktioniert.
Neben dem hausärztlichen Routinealltag schiebt sich nun doch unser kleines Virus wieder auf die Bühne.
Als grundbedächtiger Mensch forciere ich seit Anfang Juli den Auf- und Ausbau unseres Drive-In in Münsing mit Bedacht weit vorausplanend, erste Durchläufe finden statt, wir testen pro Tag etwa 40 Personen, fischen auch der ersten Covid-19 positiven heraus.
Dann werden wir mit Schwung rechts überholt: Die bayerische Staatsregierung hat eine Anordnung an alle Landkreise „rausgehauen“, die besagt, dass bis zum 31.8. jeder Landkreis ein großes Testzentrum bereitstellen muss. Auf der kommunalen Ebene war mit Ende des Katastrophenfalles schlagartig alles abgebaut worden. Nun wird festgestellt, dass die Ferien bald herum sind und dringendster Handlungsbedarf besteht. Die Zentren sollen pro Tag 2-3 Promille eines Landkreises testen können, in unserem Fall Landkreis also etwa 300 Menschen. Die EDV soll für täglich mehrere Tausend Fälle bereitstehen. Die Landratsämter wurden letzte Woche mit einer Serie hoch detaillierter Anweisungen bombardiert, dass sie mir wirklich leid tun. Bei genauem Studium kann man sich den Schreibtisch fast schon vorstellen, an dem ohne Störung durch lästige Realitäten begeistert getüftelt wurde. Es wird lieber vorgeschrieben, dass alle Teststationen standardisiert sein sollen, als auch nur ein Eckerl Gestaltungsfreiheit zu lassen. Die Kosten sind egal. Böse Zungen würden das teuren Aktionismus nennen. Jetzt sind Pressemitteilungen herausgekommen, der Merkur hat es auch schon abgedruckt: Am 1. September beginnen in der neu erstandenen Tölzer Teststation am Eisstadiondie ersten Testungen, vergeben an eine Privatfirma. Respekt, ganz tiefen Respekt vor den Mitarbeitern im Landratsamt!
Da freue ich mich wieder, ein kleiner Dorfarzt zu sein, und tun zu können, was ich gelernt habe. Klar ist: Aktiv sein müssen wir, aber dieses stopp und go, dieser aktuelle politische Schaufensteraktionismus nervt. Es ist schwierig geworden, zu durchschauen, was wirklich wichtig ist. Bei diesem Zickzack tun sich Allesablehner leicht, zu unterstellen, dass das alles Quatsch ist.
Zum Abschluss für heute eine kleine persönliche Anmerkung zu den Mund-Nase-Masken: Zu Beginn der Pandemie war ich ja begeistert von der kreativen Vielfältigkeit der Gesichtsbedeckungen aus Stoff. Bin ich immer noch.
Aber die zunehmende Angewohnheit, die Nase nicht zu bedecken, finde ich sehr unhöflich. Erstens schaut es aus, als würde ein Kleidungsstück zu tief hängen und da schaut was raus, zweitens ist es eine Respektlosigkeit sondersgleichen, da es ja nicht um den Eigen- sondern den Fremdschutz geht.
Draußen naht die Nacht. Während ich weiß, dass im Landratsamt jetzt am Wochenende noch lange die Lichter an sein werden, kann ich mich erfreulicheren Dingen zuwenden und noch eine Runde singen.
***
Geht’s noch? Jetzt war ich eine Zeit lang echt sprachlos angesichts der Umtriebe meiner Zeitgenossen. Ich habe dauernd nach Amerika geschaut und mit offenem Mund gestaunt, wie dort ein Opa gegen den anderen einen Bürgerkrieg vom Zaum bricht, und hätte dabei fast übersehen, was hier so abgeht. Virologen erhalten Morddrohungen und Leute mit Regenbogenfahnen tun sich mit Reichbürgern und Nazis zusammen und wollen gemeinsam den Reichstag stürmen.
Geht’s eigentlich noch? Wegen eines Virus? Wegen der Maßnahmen, die dagegen ergriffen werden – die zwar nerven, die uns aber bei Einhaltung davor bewahren, dass weit einschneidendere ergriffen werden müssen oder dass die Pandemie sich sehr viele Opfer holt. Wissen die eigentlich, wie’s in anderen Ländern aussieht? Ich bin absolut kein Nationalist, noch nicht mal ein Patriot – es reicht vielleicht gerade noch zu ein bisschen Münsinger Lokalpatriotismus –, aber ich frage mich, in welchem Land würden die denn gern leben? Wo ist es derzeit besser als bei uns? Welches Europäische Land, welcher Industriestaat, welches Land überhaupt hat niedrigere Infektions- und Opferraten als wir? Ihr Ballermänner, Aluhutträger, Reichsflaggenschwenker, Holocaustleugner, Putinschreier, QAnonisten, Trumpisten, Pegidas und so weiter: Sucht euch ein Land aus, in dem es besser ist als bei uns und schreibt mir eine Ansichtskarte, denn es würde mich stark interessieren, wo Ihr da landet.
Und all Ihr netten Leute, die Ihr nicht so in Urlaub fahren konntet, wie Ihr’s gerne gehabt hättet, Ihr Eltern, die Ihr euch so viel mit Euren Kindern befassen müsst, und all die Feierbiester, die nicht so können wie sie wollen: Könnt Ihr nicht die Füße stillhalten und einfach mal abwarten? Es wird schon.
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