Samstag, 26. Dezember 2020
Sa., 26. Dez. 2020
Home sweet home! Pünktlich zum Heiligabend wurde ich von meiner Frau abgeholt und erlebte noch einen spektakulären Abschied: Just in dem Moment, als ich – in der einen Hand meinen Rollkoffer, in der anderen eine Krücke – im dritten Stock vor dem Aufzug stand und auf den Knopf drückte, brach ein Höllenlärm los, von dem ich zunächst erschrocken dachte, ich hätte ihn per Tastendruck ausgelöst. Sirenen heulten, der Lift versperrte sich, Durchsagen erschallten, alle liefen und riefen durcheinander: Feueralarm!
Nach einer Weile der Ratlosigkeit sickerte durch, dass es sich um einen Probealarm handelt. Dennoch musste ich die drei Stockwerke zu Fuß bewältigen, samt Rollkoffer eine Riesenherausforderung für jemanden, der gerade dabei ist, wieder gehen zu lernen. Aber es wurde alles ganz authentisch durchgezogen, und als ich vom Foyer auf den Parkplatz trat, rauschten bereits Notärzte und mehrere Feuerwehrwägen herbei, die nicht den Eindruck machten, als wüssten sie, dass es sich um eine Übung handelte.



Ansonsten war das der erste Heiligabend seit ewiger Zeit, an dem ich keinerlei Pflichten zu erledigen hatte, alles war vorbereitet: Der Baum stand perfekt geschmückt und kerzengerade, Geschenke lagen verpackt davor und es duftete nach Plätzchen. Die Großeltern durften coronakonform kommen und brachten die üblichen Königsberger Klopse mit. Und ich konnte einfach nur schauen und genießen. Die heilige Familie!

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Mittwoch, 23. Dezember 2020
Mi., 23. Dez. 2020
Liebe Freunde des gepflegten Blogs, das hat jetzt leider nicht so geklappt, wie ich das geplant hatte. Gedacht war, jeden Tag des Aufenthalts im Krankenhaus und in der anschließenden Reha ein Protokoll darüber zu verfassen, was so alles passiert. Aber zum einen passiert fast nichts, jedenfalls so gut wie nichts, was den einen von den anderen Tagen unterscheiden würde, und zum anderen sind – vor allem seit ich in der Reha bin – die Tage so eng getaktet, dass ich zwischendrin kaum Zeit und Konzentration finde.



So wie der heutige letzte Reha-Tag liefen praktisch alle Tage ab:
7:30 Uhr, eigentlich schlafe ich noch, klopft es an die Tür, die zeitgleich aufgerissen wird, und ein Mann ruft auf östlich „Gutten Morrgen, Fruhstuck!“ und setzt klappernd ein Tablett auf meinem kleinen Tisch ab. Geistesgegenwärtig rufe ich ihm ein „Danke“ hinterher. Meistens bin ich unausgeschlafen, einerseits, weil ich die halbe Nacht hindurch besorgt bin, dass das neue Hüftgelenk bei einer falschen Bewegung herausspringen könnte, und andererseits wegen des Bingwatchings, das sich tief bis in die Nacht hingezogen hat. Bingwatching, das sei dem Laien erklärt, bedeutet TV-Serie gucken, und zwar alle oder zumindest möglichst viele Folgen einer Staffel auf einmal direkt hintereinander weg. Mein Rekord liegt bei dreieinhalb Stunden – ich bin also eher noch im Anfängerbereich unterwegs. Echte Fans decken sich mit Knabberware und Energydrinks ein und schauen mal locker 20 Stunden nonstop.

Ich muss mich beeilen, denn auf meinem Therapieplan steht „8:30 Uhr – Gangschule Crossfit“, was bedeutet, dass ich mehrere Kilometer auf einer Art Förderband laufe, ohne mich von der Stelle zu bewegen. Hamster machen sowas zum Spass, angeblich. Ich eher nicht.

Um 9:00 Uhr muss ich dann schon wieder drei Stockwerke höher in meinem Zimmer sein zur Visite. Der freundliche Stationsarzt wiegt meiner Schätzung nach gute 110 Kilo und verfügt über zwei künstliche Kniegelenke, wodurch er sehr authentisch rüberkommt.

Mein nächster Termin ist dann um 10:30 Uhr. Ich kann morgens nicht gleich so viel essen, weshalb ich Vorbereitungen für ein zweites Frühstück getroffen habe, das ich nun in Ruhe einnehmen kann, d.h., ich musste die entsprechenden Lebensmittel vom Tablett nehmen und im Nachttisch verstauen, damit der Mann aus dem Osten sie nicht mitnimmt, wenn er das Tablett in meiner Abwesenheit abräumt. Also zum Termin – Lymphdrainage. Da werden Flüssigkeiten, die sich im Operationsgebiet, also am oberen Ende meines Beins, eingenistet haben, irgendwie herausgedrückt oder umgeleitet – wohin, bleibt unklar, aber es fühlt sich nicht schlecht an.

Kaum wieder im Zimmer, steht um 11:30 Uhr der nächste Termin an: „Teilmassage“, wie ich auf meinem Plan lese. Um welches Teil es sich dabei handeln soll, steht nicht dabei, aber ich bin auf alles gefasst. Die nette Therapeutin fragt dann auch gleich erwartungsvoll, welches Teil ich massiert haben wolle – erstaunlicherweise weiß sie es auch nicht. Nun, ich entscheide mich vorsichtshalber für das OP-Gebiet, und sie macht sich gleich munter darüber her. Es tut gut, und ich frage mich, warum mir diese schöne Behandlung erst am letzten Tag zuteil wird.

Mein Zimmer ist von einem deftigen Knoblauchdunst erfüllt, als ich zurückkehre. Das Mittagessen wurde bereits abgestellt: Cevapcici mit pikantem Reis und Tsaziki. Obwohl ich noch keinen Hunger empfinde, esse ich brav alles auf. Der nächste Termin ist eine Stunde später die „Medizinische Trainingstherapie“ an den chromblitzenden Kraftmaschinen in der "Muckibude", wie das hausintern heißt. Der dortige Aufseher kommt seinem Namen nach aus der selben Gegend wie die Cevapcici und wird sich an meinem Zwiebel-Knoblauch-Atem vermutlich nicht stören.

Um 15:30 Uhr dann das große Finale: Manuelle Physiotherapie. Das Bein wird mit der gebotenen Vorsicht in alle Richtungen gebogen, gedrückt, gezerrt. Der Therapeut ist sachkundig und freundlich. Seltsam ist: ich weiß nicht, wie er aussieht, zumindest nicht im physiognomisch interessanten Bereich zwischen Augen und Hals. Von keinem der Menschen, mit denen ich jetzt mehr als drei Wochen verbracht habe, weiß ich dies. Einzig meinen Operateur, den Prof. Dr., konnte ich mir im Vorfeld auf Google ansehen: er trug auf dem Bild jedoch einen dichten Vollbart.

Tja, das war’s. Es ist 17:30 Uhr, und das Abendessen steht bereits auf meinem Tisch. Ich werde es wohl noch etwas hinauszögern. Später hole ich mir unten an der Pforte noch eine Tafel Schokolade und eine Tüte Erdnüsse, um für meine beiden letzten Serienfolgen gerüstet zu sein.

Aber zuvor gehe ich noch ein letztes Mal zumeinem speziellen Meditationsplatz, an dem ich nahezu jeden Tag für ein paar Minuten verweilt habe – einfach nur um zu schauen und darin zu versinken:



in ein gut drei Meter breites Foto, das der Fotograf Florian Werner, dessen Bilder hier in der gesamten Klinik verteilt sind, vom winterlichen St. Bartholomä am Königssee vor dem Hintergrund der Watzmann-Ostwand aufgenommen hat – eine hinreißende Perspektive, die dem Normalsterblichen weitgehend verwehrt ist, da im Winter dort keine Schiffe hinfahren.

Und morgen früh geht’s Richtung Heimat. Bis bald!

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Dienstag, 22. Dezember 2020
Di., 22. Dez. 2020
Dr. Lohse berichtet: Die 41. Woche der Pandemie in Münsing.
Wir haben eine Grille. Richtig, eine Grille, die genau das macht, was Grillen nun mal so machen müssen: Sie zirpt. Jeden Abend, wenn es dunkel wird, haben wir ein wunderbares akustisches Sommerflair in unserem Keller. Wenn wir uns anpirschen und Licht machen – Stille. Aber nach dem Ausmachen dauert es nicht lange und es fängt erst vorsichtig, dann immer lauter an zu zirpen. Vielleicht sollten wir uns mit einer Sommerkerze und einem Fläschchen Rotwein in den Keller setzen, im Hintergrund noch etwas Meeresrauschen imitieren . Urlaubsfeeling?

Urlaub wäre jetzt schon eine Sache, aber nun hat uns erst einmal der Lockdown. Leider wird er von vielen nicht so ganz ernst genommen, die Zahlen steigen weiter. Die Zahlen der Menschen, die auf den Intensivstationen behandelt werden müssen, steigen auch, viele sterben. In Südengland ist eine neue Virusvariante aufgetreten, die sehr viel ansteckender sein soll als die bisherige. Deswegen wird der Verkehr nach Großbritannien wohl massiv eingeschränkt werden. Die Politik diskutiert gerade, ob die Gottesdienste zu Weihnachten stattfinden dürfen, oder ob nicht alles abgesagt werden soll. Der Profifußball läuft weiter.
Nun, man könnte trübe werden, so negativ wie es in dieser dunklen Jahreszeit auf uns hereinprasselt.
Aber wollen wir uns doch davon lösen und nach der Zukunft sehen:
Am 19.12. führen wir mit der Ambulanz Aicher und dem BRK eine Generalprobe im Impfzentrum Wolfratshausen durch. Wir haben nämlich ein Problem: Wo vor einer Woche noch der 5. Januar als Impfstart genannt worden war, hieß es dann 27.12. und nun vielleicht sogar 23.12. Beginn mit 1000 Impfungen an die oberste Prioritätengruppe. Alles was unmöglich erscheint, taufen wir einfach in Aufgabe um und versuchen sie zu lösen. Also üben wir mit 5 Teams (4 mobile Impfteams und dem Impfzentrum), um ab dem 24.12. oder 28.12. täglich 250 Menschen zu impfen. Dazu melden sich zusätzlich aus den Reihen der Ärzte unseres Landkreises über 35 Kolleginnen und Kollegen, um mitzuhelfen. Für jeden Tag vom 24.12.-31.12. steht jetzt schon eine Mannschaft von 5-10 Ärzten bereit, um den ganzen Tag zu helfen.
Dies ist die erste Phase. In dieser Phase kommt das Impfzentrum, das Landratsamt oder ich auf die Institutionen zu, um zum Impfen einzuladen. Da stehen die Heime mit ihren 1300 Bewohnern und deren Schwestern und Pfleger an allererster Stelle, gefolgt von den Kliniken. Wenn das so einigermaßen geschafft ist, geht es in die Breite. Dann kommen „Alte“ und Risikogruppen dran. Bis dahin steht dann hoffentlich auch eine Internetlösung, mithilfe derer sich die Bürger selbst anmelden können. Es geht zwar dann weiter streng nach Priorisierungen vor, aber man kann sich dann wenigstens schon einmal anmelden. Es wird wohl erst gegen Ende Januar so weit sein, solange wird es mindestens dauern, bis wir die impfwilligen Kandidaten der allerobersten Priorisierungsgruppe zweimal (im Abstand von 21 Tagen) geimpft haben werden. Ich bin ziemlich gespannt, wie viele überhaupt geimpft werden wollen.

Jetzt wird es langsam spät, Zeit Schluss zu machen. Vielleicht stelle ich der Grille noch ein Schüsselchen mit Wasser in den Keller. Und ich muss unbedingt herausfinden, was Grillen fressen, damit die uns nicht im Winter verhungert, wenn sie schon keinen Winterschlaf halten möchte.

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