Donnerstag, 26. März 2020
Do. 26. März
Mundschutz nähen! Überall gibt's einen Mangel an Mundschutzmasken. Im Nähcafe von Nicole Ebner werden Mundschutzmasken für die Arztpraxen genäht, da sie dort vergriffen sind. Nicole demonstriert per Videocall, wie man sie näht – gar nicht so einfach, aber wenn man es mal raus hat, klappt es gut. Nicole holt dann die fertigen ab und bringt sie in die Arztpraxen. Sie liefert auch Material dazu in den Briefkasten. Gerne können noch mehr Leute mitnähen und sich an Nicole wenden. Tel. 0178-1889297 oder info@ordnungsart.de
Hier Nicoles empfohlene Anleitung für den Behelf-Mund-Nasen-Schutz (so der offizielle Begriff), anschaulich erklärt. Auch für Nähanfänger geeignet. Nicoles Variante ist nur leicht abgewandelt.




Systemrelevant: Meine Frau arbeitet bei der Justizverwaltung, und während in diesen Zeiten alle anderen zu Hause bleiben müssen, darf sie es nicht. Sie findet das ungerecht. Um auch einmal in den Genuss des gemütlichen familiären Quarantänefeelings zu kommen, nimmt sie sich nun ein paar Tage Urlaub.

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Elke aus dem Wald: Viel Ansprache hat Elke im Ambacher Forst nicht gerade. Aber jetzt hat sie einen neuen Gesprächspartner gefunden: die riesige Buche bei ihr im Garten.




New York, New York? Auf NYC, für mich neben Venedig (und natürlich Münsing) der faszinierendste Ort auf dem Planeten, kommen ungewisse Zeiten zu. 30.000 Infizierte und zahllose Tote, die aus Platzmangel in Zelten vor einem Hospital gelagert werden, und die enorme Einwohnerdichte von über 40.000 pro Quadratkilometer (das Zehnfache von München!) haben die Stadt in kürzester Zeit zu einem Hotspot der Corona-Krise gemacht. Gestern war in den Nachrichten zu sehen, wie Luxusläden in Manhattan massiv verrammelt wurden. Wovor haben die Angst? Vor den 80.000 New Yorker Obdachlosen, vor Plünderern oder gleich vor einem Bürgerkrieg, was angesichts der ausufernden Waffen- und Munitionskäufe nicht völlig abwegig erscheint?


Gerontozid Der Texanische Vizegouverneur findet, dass ältere Menschen sich in der Corona-Krise für die Jungen opfern sollten, damit die Wirtschaft wieder in Schwung kommt. Bei welchem Alter er die Grenze zieht, bleibt unklar, er mit seinen 70 Jahren bezieht sich selbst aber bei den Älteren ausdrücklich mit ein. Ich könnte vielleicht gerade noch davonkommen. Aber ob er das mit Trump so richtig durchgesprochen hat?


Blick ins Ausland (1) Mit bangem Blick verfolgen wir, wie es in Ländern steht, in denen Freunde von uns leben. Wir haben sie gebeten, uns aktuelle Berichte aus ihrem Leben zu senden. Den Anfang macht Valeska, die alleine in einer kleinen Wohnung am Strand auf Teneriffa lebt, wo eine strenge Ausgangssperre herrscht:
Zimmer mit Aussicht
Gestern – Tag neun der Ausgangssperre in Spanien – stand viele Stunden lang ein Militärfahrzeug mit zwei Soldaten auf dem kleinen Dorfplatz des Küstenortes, indem ich diese unbeschreibliche Zeit verbringe. Obwohl ich von meiner Terrasse aus freie Sicht auf sie gehabt hätte, bemerkte ich sie erst, als ich mich kurz auf die Straße wagte, um den Müll wegzubringen. Ich war froh, dass mich mein Weg nicht an ihnen vorbeiführte, denn ich konnte beobachten, dass sie die wenigen Menschen, die in dem Moment unterwegs waren, anhielten und nach dem Grund für ihren „Ausflug“ befragten. Es ging nichts Bedrohliches von ihnen aus, dennoch schweifte mein Verstand kurz ins Drama ab – „Soweit ist es schon gekommen“ – und eine Stimme in mir wollte sich empören, was sie ausgerechnet an diesem kleinen Platz direkt am Meer suchten, war er doch seit Beginn der strengen Auflagen zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus im so schwer getroffenen Spanien wie ausgestorben.



Zurück in meiner Wohnung bemerkte ich nach einiger Zeit jedoch mit Erstaunen, wie ich immer wieder auf die Terrasse ging, um sie zu beobachten. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis mir auffiel, dass meine Augen und mein Verstand sich über die unverhoffte Abwechslung freuten. Da musste ich lachen. Tagelang hatte ich auf dem sonst so fröhlich-belebten Platz, dem Herzstück des Dorfes, bis auf vereinzelte Menschen, die ihren Hund ausführten oder mit hastigen Schritten zum Einkaufen gingen, nur gähnende Leere gesehen. Einzige Bewegung: die Wellen des Meeres, die sich, gänzlich unberührt von den äußeren Umständen, unerschütterlich und ungebrochen ihren Weg über die felsige Küste suchen.

Wie oft hatte ich auf den Stufen der durch unzählige Stürme der letzten Jahre reichlich mitgenommenen Mole gesessen, die den kleinen Dorfstand direkt vor meiner Wohnung vor allzu wildem Wellengang schützt? Nun scheint es fast so, als ob sich das Meer seinen natürlichen Lebensraum nach und nach zurückerobert. So friedlich und sauber, so zwanglos unberührt wie in diesen Tagen, habe ich den Strand noch nie zuvor gesehen. Fast möchte man glauben, während wir Menschen aufgrund des für uns so ungewohnten Stillstands des Alltäglichen damit beginnen, auszumisten – unsere Schränke und, wer weiß, vielleicht auch unser Inneres, unsere Gedanken, Wünsche und Bestrebungen – ist auch die Natur damit beschäftigt, die ihr eigene Ordnung wieder herzustellen. Und wenn ich mir die Fotos von dem bereits jetzt wieder klaren Gewässern in den Kanälen Venedigs oder die zahlreichen Satelliten-Bilder ansehe, die den drastischen Rückgang der Luftverschmutzung über Europa seit Beginn der Isolationsmaßnahmen zeigen, dann kann ich den Eindruck nicht abschütteln, dass sich die Natur viel leichter damit tut als wir Menschen, zu dem zurückzukehren, was für sie Essentiell ist. Während ich mich innerlich noch mehr schlecht als recht durch den Tag manövriere, oft reichlich erfolglos versuche, meine Gefühlsschwankungen aufgrund allzu exzessiven Nachrichtenkonsums, den ersten spürbaren Auswirkungen der Isolation und aufsteigenden Sorgen um die Zukunft wieder ins Lot zu bringen und mir Tag für Tag aufs Neue vornehme, mir angesichts dessen, was jetzt einfach so ist, wie es ist, einen neuen, möglichst konstruktiven Tagesrhythmus anzueignen, hat die Natur nicht eine Sekunde mit Überlegungen vergeudet. Sobald die Kreuzfahrtschiffe stillstanden, Flugzeuge nicht mehr in dem Übermaß abhoben wie bisher und der Straßenverkehr massiv zurückging, hat sie einfach mit dem weitergemacht, was sie ohnehin unermüdlich und urteilsfrei immer getan hat: zu reparieren, was unser moderner Lifestyle ihr zumutet, und alles daranzusetzen, das auch für uns so überlebenswichtige Gleichgewicht wiederherzustellen.

Während ich die beide Soldaten dabei beobachte, wie sie angesichts mangelnder Arbeit aufgrund extrem disziplinierter Einwohner einen Spaziergang an der Küste entlang wagen, nehme ich mir fest vor, es ab jetzt der Natur gleichzutun. Keine Zeit mehr damit zu verlieren, Vergangenem nachzutrauern und Altgewohntes festhalten zu wollen, sondern einfach Schritt für Schritt und Stück für Stück in mir und um mich herum aufzuräumen, auszumisten, neuzuordnen, mich auf das zu besinnen, was im Leben wirklich wichtig ist, wenn alles andere wegbricht. Man könnte auch sagen, was „systemrelevant“ ist. Denn darum geht es jetzt wohl in unserem Leben. Ebenso wie die Wirtschaft und Politik auf einmal feststellt, was und vor allem wer das Leben aufrechterhält, wenn alles stillsteht, könnten ja auch wir im Kleinen erkennen, mit wie vielen Nichtigkeiten wir uns bislang abgemüht haben, wie viel Überflüssiges wir dachten zu brauchen und an wie vielen Baustellen wir kämpften, deren Bedeutung sich jetzt in Luft auflöst.


Es ist ein surreales Bild, diese beiden Soldaten in ihren Uniformen, Atemschutzmasken und Handschuhen dabei zu beobachten, wie sie am Strand entlangschlendern, ein Gebiet das für uns alle, die wir hier leben, noch mindestens drei Wochen lang Sperrzone sein wird. Ich freue mich für sie über diese kurze Auszeit von einer Arbeit, die auch ihnen in Wahrheit gänzlich surreal erscheinen muss. Schon jetzt weiß ich: nie wieder werde ich einen Lauf am Strand für selbstverständlich ansehen. Gerade jetzt freue ich mich auf wenig so sehr, wie mit bloßen Füßen über den Sand laufen und das Meerwasser auf meiner Haut zu fühlen können. Schon jetzt hat das Wort „Freiheit“ eine ganz neue Bedeutung für mich.

Heute ist die Stelle, an der gestern das Militärfahrzeug stand, wieder leer. Fast vermisse ich seine uniformierten Insassen, dank denen mir gestern bewusst wurde, wie wichtig mir Dinge geworden sind, an die ich bisher nicht einen Gedanken verschwendet habe.

Valeska zur Linden,
Bajamar, den 26. März 2020

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