Mittwoch, 23. Dezember 2020
Mi., 23. Dez. 2020
Liebe Freunde des gepflegten Blogs, das hat jetzt leider nicht so geklappt, wie ich das geplant hatte. Gedacht war, jeden Tag des Aufenthalts im Krankenhaus und in der anschließenden Reha ein Protokoll darüber zu verfassen, was so alles passiert. Aber zum einen passiert fast nichts, jedenfalls so gut wie nichts, was den einen von den anderen Tagen unterscheiden würde, und zum anderen sind – vor allem seit ich in der Reha bin – die Tage so eng getaktet, dass ich zwischendrin kaum Zeit und Konzentration finde.



So wie der heutige letzte Reha-Tag liefen praktisch alle Tage ab:
7:30 Uhr, eigentlich schlafe ich noch, klopft es an die Tür, die zeitgleich aufgerissen wird, und ein Mann ruft auf östlich „Gutten Morrgen, Fruhstuck!“ und setzt klappernd ein Tablett auf meinem kleinen Tisch ab. Geistesgegenwärtig rufe ich ihm ein „Danke“ hinterher. Meistens bin ich unausgeschlafen, einerseits, weil ich die halbe Nacht hindurch besorgt bin, dass das neue Hüftgelenk bei einer falschen Bewegung herausspringen könnte, und andererseits wegen des Bingwatchings, das sich tief bis in die Nacht hingezogen hat. Bingwatching, das sei dem Laien erklärt, bedeutet TV-Serie gucken, und zwar alle oder zumindest möglichst viele Folgen einer Staffel auf einmal direkt hintereinander weg. Mein Rekord liegt bei dreieinhalb Stunden – ich bin also eher noch im Anfängerbereich unterwegs. Echte Fans decken sich mit Knabberware und Energydrinks ein und schauen mal locker 20 Stunden nonstop.

Ich muss mich beeilen, denn auf meinem Therapieplan steht „8:30 Uhr – Gangschule Crossfit“, was bedeutet, dass ich mehrere Kilometer auf einer Art Förderband laufe, ohne mich von der Stelle zu bewegen. Hamster machen sowas zum Spass, angeblich. Ich eher nicht.

Um 9:00 Uhr muss ich dann schon wieder drei Stockwerke höher in meinem Zimmer sein zur Visite. Der freundliche Stationsarzt wiegt meiner Schätzung nach gute 110 Kilo und verfügt über zwei künstliche Kniegelenke, wodurch er sehr authentisch rüberkommt.

Mein nächster Termin ist dann um 10:30 Uhr. Ich kann morgens nicht gleich so viel essen, weshalb ich Vorbereitungen für ein zweites Frühstück getroffen habe, das ich nun in Ruhe einnehmen kann, d.h., ich musste die entsprechenden Lebensmittel vom Tablett nehmen und im Nachttisch verstauen, damit der Mann aus dem Osten sie nicht mitnimmt, wenn er das Tablett in meiner Abwesenheit abräumt. Also zum Termin – Lymphdrainage. Da werden Flüssigkeiten, die sich im Operationsgebiet, also am oberen Ende meines Beins, eingenistet haben, irgendwie herausgedrückt oder umgeleitet – wohin, bleibt unklar, aber es fühlt sich nicht schlecht an.

Kaum wieder im Zimmer, steht um 11:30 Uhr der nächste Termin an: „Teilmassage“, wie ich auf meinem Plan lese. Um welches Teil es sich dabei handeln soll, steht nicht dabei, aber ich bin auf alles gefasst. Die nette Therapeutin fragt dann auch gleich erwartungsvoll, welches Teil ich massiert haben wolle – erstaunlicherweise weiß sie es auch nicht. Nun, ich entscheide mich vorsichtshalber für das OP-Gebiet, und sie macht sich gleich munter darüber her. Es tut gut, und ich frage mich, warum mir diese schöne Behandlung erst am letzten Tag zuteil wird.

Mein Zimmer ist von einem deftigen Knoblauchdunst erfüllt, als ich zurückkehre. Das Mittagessen wurde bereits abgestellt: Cevapcici mit pikantem Reis und Tsaziki. Obwohl ich noch keinen Hunger empfinde, esse ich brav alles auf. Der nächste Termin ist eine Stunde später die „Medizinische Trainingstherapie“ an den chromblitzenden Kraftmaschinen in der "Muckibude", wie das hausintern heißt. Der dortige Aufseher kommt seinem Namen nach aus der selben Gegend wie die Cevapcici und wird sich an meinem Zwiebel-Knoblauch-Atem vermutlich nicht stören.

Um 15:30 Uhr dann das große Finale: Manuelle Physiotherapie. Das Bein wird mit der gebotenen Vorsicht in alle Richtungen gebogen, gedrückt, gezerrt. Der Therapeut ist sachkundig und freundlich. Seltsam ist: ich weiß nicht, wie er aussieht, zumindest nicht im physiognomisch interessanten Bereich zwischen Augen und Hals. Von keinem der Menschen, mit denen ich jetzt mehr als drei Wochen verbracht habe, weiß ich dies. Einzig meinen Operateur, den Prof. Dr., konnte ich mir im Vorfeld auf Google ansehen: er trug auf dem Bild jedoch einen dichten Vollbart.

Tja, das war’s. Es ist 17:30 Uhr, und das Abendessen steht bereits auf meinem Tisch. Ich werde es wohl noch etwas hinauszögern. Später hole ich mir unten an der Pforte noch eine Tafel Schokolade und eine Tüte Erdnüsse, um für meine beiden letzten Serienfolgen gerüstet zu sein.

Aber zuvor gehe ich noch ein letztes Mal zumeinem speziellen Meditationsplatz, an dem ich nahezu jeden Tag für ein paar Minuten verweilt habe – einfach nur um zu schauen und darin zu versinken:



in ein gut drei Meter breites Foto, das der Fotograf Florian Werner, dessen Bilder hier in der gesamten Klinik verteilt sind, vom winterlichen St. Bartholomä am Königssee vor dem Hintergrund der Watzmann-Ostwand aufgenommen hat – eine hinreißende Perspektive, die dem Normalsterblichen weitgehend verwehrt ist, da im Winter dort keine Schiffe hinfahren.

Und morgen früh geht’s Richtung Heimat. Bis bald!

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