Dienstag, 13. April 2021
Di., 13. April 2021
Was für ein Durcheinander! Gestern bekamen wir von der Schule unserer Tochter eine zweiseitige Anleitung zugesandt, in der detailliert beschrieben war, wie und wo das Testen vor Schulbeginn abzulaufen habe. Es sollte im Freien stattfinden, vor bestimmten Fenstern, getrennt nach Jahrgangsstufen, alles hübsch eingezeichnet in einem eigens dafür gefertigten Plan des Schulgeländes. Für den Fall schlechten Wetters waren sogar Überdachungen vorgesehen.
Heute morgen dann die Mitteilung der Schule, dass alles Geplante über den Haufen geworfen werden müsse, weil das Ministerium das so nicht akzeptiere: die Tests hätten im Gebäude zu erfolgen, weil dies sicherer sei.
Und das nach der gestrigen Meldung in den Nachrichten, dass nach Aussage und Studien der Aerosolforscher über 90 Prozent der Ansteckungen im Innenraum erfolgten und der Aufenthalt im Freien weitgehend ungefährlich sei...
Außerdem wurde gestern noch pressemäßig verkündet, dass Asthmaspray vor schweren Verläufen schütze. Verlockend liegt es neben mir in der Schreibtischschublade. Ich denke, ich setze mir jetzt erstmal einen ordentlichen Schuss damit.

***

Dr. Lohse berichtet: Die 57. Woche der Pandemie in Münsing
Nach einem Wochenende der sonnigen Art mit Temperaturen über 15°, summenden Bienen, flatternden Faltern nun wieder Schnee, kalt, feucht, schon den zweiten Tag. Das morgendliche Bild symbolisiert treffend die aktuelle Pandemiesituation: Alles liegt unter einer kalten Decke, in der Ferne ein leerer Tisch mit zwei wartenden kalten Stühlen. Er mag sich noch an die Kerzen und die Weingläser des letzten Sommers erinnern. Ganz in der Ferne hinter den Wäldern stehen in der Phantasie die Berge. Bis dorthin aber viel kaltes ungastliches Weiß, alles überdeckend. Alle? Nein, aus der Tiefe des Bodens durchbricht eine Tulpe das Weiß, noch zusammengezogen, sein Inneres schützend. Aber die Farbe lässt sich erahnen, gelb wird sie leuchten und den wirklichen Frühling künden.



Bei uns in den Arztpraxen geht es im Gegensatz zum starren kalten Weiß zu wie bei den emsigen Bienen im Bienenstock:
Impfen und Testen, Testen und Impfen, ?nebenher? noch die ganz normale Landarztpraxis mit Leiden des Körpers und der Seele, die nicht vernachlässigt werden dürfen.
Seit Beginn der Impfungen in den Hausarztpraxen vor einer Woche haben wir in der Praxis knapp 40 Patienten, im Landkreis knapp 2000 Bürger geimpft. Zusätzlich zu der ungebremsten Kraft der Impfzentren.
Die Praxis, von der personellen Besetzung her ausgerichtet auf einen ?Normalbetrieb? testet in der Woche etwa 60-100 Patienten auf Corona per Schnelltest oder PCR-Abstrich, nimmt laufend die Anmeldungen für Impfungen entgegen ? etwa 400 Kandidaten stehen auf der Liste. Zwar versuchen wir durch eine Anmeldung per Email für die modernen Digitalen oder per Zettel für die konservativen Analogen das Telefon etwas zu entlasten, aber der mittelgradige Wahnsinn ist das schon.
Wenn die Prognosen stimmen, werden wir in zwei Wochen immer mehr Impfstoff bekommen und rascher impfen können. Viele Patienten sind etwas ungläubig, wenn wir sie zur Impfung einladen, insbesondere, da es bei den Impfzentren auch gut vorwärts geht.
Aber, Die Intensivstationen laufen schneller voll, als es vorherbefürchtet war, die dritte Welle bekommt Schwung. Bereits jetzt haben wir fast so viele Schwerkranke in den Kliniken, wie auf dem Höhepunkt der zweiten Welle.
In den Schulen wird nun regelmäßig getestet (was sofort zu Demonstrationen vor dem Landratsamt durch wichtige Eltern geführt hat) erfreulicherweise bislang keine bösen Überraschungen. Etwas bang ist mir dennoch, da so vieles so entspannt scheint, aber sich unter dieser Oberfläche neues Unheil aufbaut, aus dem scheinbaren Nichts immer wieder neue Infektionsketten auftauchen. Die Schwierigkeit ist, dass der Alltag scheinbar für viele ?funktioniert?, und die Pandemie nicht sichtbar ist. Die Einschränkungen und der Verzicht, das ist für jedermann spürbar. Das Kranksein und das befürchtete Sterben aber geschieht hinter verschlossenen Türen, man erkennt es nur in Zahlen im Internet, dem Fernsehen, Zeitung oder Radio. Dieser Widerspruch, die Scheinnormalität und gleichzeitig die abstrakte Bedrohung, das lähmt und erschöpft viele, macht andere zu Zweiflern, viele ungeduldig.
Da haben wir es im Medizinberuf besser, sind privilegiert durch eine aktive Teilnahme im Kampf gegen die Pandemie. Aber wir stehen aber unter maximalem Arbeitsdruck, pausenlos. Beraten, Impfen, Testen, Kranke untersuchen und betreuen im Vollschutz.
Wenn dann der eine oder andere Impfvordrängler sich dann laut und wichtig macht, kann das schon einmal seltsame Züge annehmen. Es ist erstaunlich, welche Berufsgruppen sich inmitten strahlender jugendlicher Gesundheit, sicherem Büro und drängenden Urlaubsplänen als unverzichtbar systemrelevant entdeckt ?.
Gelobt sei die Priorisierung, das heißt die gesetzlich vorgeschriebene Rangfolge. Dadurch sind mir Mittel der objektiven emotionsfreien Einteilung der Impfreihenfolge an die Hand gegeben, um solchen Umtrieben Einhalt gebieten zu können.
Der Kaffee wird kalt, das Auto will noch abgekehrt werden, dann kommt eine Runde Hausbesuche, Zwischenstopp bei den Eltern und ab späterem Mittag dann ?wichteln? (Anmerkung des Verfassers: ?sich wichtig machen?) im Landratsamt mit diversen Besprechungen zu den Themen Impfen und Testen?

***

... comment