Montag, 25. Oktober 2021
Mo., 25. Oktober 2021
Dr. Lohse berichtet: die 82. Und 83, Woche der Pandemie in Münsing
Die Zeit der schönen Sonnenuntergänge ist gekommen, die wunderschöne herbstliche Tage mit Blätterrascheln unter knallbunten Bäumen zur Nacht führen. In den Nächten zwickt es schon ordentlich in der Nase, wie ich heute erfahren konnte. Unter schillerndem Sternenhimmel lauerte ich noch auf das eine oder andere Wildschwein - sie sind doch noch da, wollten sich aber nicht erjagen lassen. Dafür verteile ich nun blaue Tonnen mit Winterfutter im Revier, um im Falle einer Hungerszeit den Rehen etwas zum Knabbern bieten zu können. Sonst knabbern sie nämlich an den Bäumen, was wiederum den Waldbesitzer unfroh macht.

Kirtamarkt bei einer Inzidenz von 234, Jagdessen bei einer Inzidenz von vielleicht 350. Die Herausforderung lautet Gemeinschaft in Zeiten der Pandemie leben. Der Pfarrgemeinderat hatte vor längerem beschlossen, den zweijährlichen Kirtamarkt stattfinden zu lassen. Bauchzwicken vielerorts. Die Vorschriften geben es her, die Auflagen sind gering. Jetzt, da der Termin nahe rückt und die Inzidenzen steigen, fällt auch angesichts des guten Wetters der Entschluss: Alles draußen. Ich gehöre zur Bauchzwickfraktion, bin aber gerade dabei, dieses vorsichtig zu überwinden. Denn ich sehe heute auch die Bedeutung dieses Geschehens: In dem einen Hof hat die Seniorin extra zehn Schürzen genäht, aus einem anderen Haushalt wurden Marmeladen eingekocht, jemand anders macht Hunderte Schmalnudeln, Kranze wurden gebunden. Und heute beim Aufbau arbeiten Leute zusammen, die sich über lange Zeit nur virtuell gesehen hatten, nur kurz und distanziert miteinander gesprochen hatten. Wenn morgen Gäste und Besucher kommen, dann stehen dort Menschen am Kuchenverkauf, beim Schmalznudelbacken, beim Kränzeverkauf, die wieder in Gemeinschaft etwas darbieten, die für sich wieder Gemeinschaft erleben.
Was zu Beginn der Pandemie unsere Stärke war, ist müde geworden. Das Miteinander und der "Gemeinsinn" fing an abzublassen, viele haben sich eingeigelt. Diese Spaltung in coronavorsichtige Impfbefürworter und coronaleugnende Impfgegner ist so giftig, dass vielleicht solche Aktionen trotz des Restrisikos von Ansteckungen genau richtig sind. Die Verantwortlichen des Kirtamarktes versuchen alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um Ansteckung zu verhindern. Nun ist es an den Besuchern, sich verantwortungsvoll zu verhalten um den Tag gemeinsam zu genießen. Wahrscheinlich wird der Erlös aufgrund der Gesamtsituation nicht groß sein, aber es ist eine Antispaltaktion, ein Wert für sich.
Bei dem nun anstehenden Jagdessen ist es ähnlich: Als Jagdpächter bin ich verpflichtet, die "Jagdgenossen", d.h. die Besitzer der Flächen, auf denen ich jagen darf, mit ihren Partnern einmal im Jahr zum Essen einzuladen. Normalerweise sitzen wir, bekocht von einer leckeren Gastronomie, vollgepropft in der Floriansstube, bis das Kondenswasser von den Fenstern tropft, Mitternacht war oft noch nicht Schluss. In Coronazeiten undenkbar, daher letztes Jahr ausgefallen. Dieses Jahr aber sollte schon wieder einmal ein Zusammentreffen sein. Also ersinne ich einen "jagdgenossenschaftlichen Frühschoppen". Das Letzte Wildschwein wird helfen: Rostbratwürste, Käsewürste in einer Semmel mit Getränken an Biertischen im Freien vor der Feuerwehr - bei Regen mit Zeltdach. Danach kann jeder noch geräucherte Salami und andere Wildleckereinen mit nach Hause nehmen. Als Vertreter der Bauchzwickfraktion (können wir so etwas bei so hohen Inzidenzen überhaupt verantworten?) war der Plan "2G", also frisch genesen oder geimpft. Etwas Trotz war bei diesem Ursprungsplan schon dabei: Unter der Woche riskiere ich meine eigene Haut durch vielfache Behandlung ungeimpfter Covid-19 Erkrankter, dann soll ich diese Leute auch noch zum Essen einladen? Ups? böser Spalt? ich fange ja an in Gruppen ("die Guten und die Anderen") zu denken. Das verhärtet die Positionen, ja, das ist ein bitterböser Kollateralschaden der Pandemie. Okay, man lernt in dieser Zeit die einzelnen Leute schon von überraschenden Seiten kennen, aber muss ich sie deswegen in Gruppen wegstempeln? Da ist es zum einigeln und Graben graben nicht mehr weit. Also ändere ich meinen Beschluss und mache einen "3G spezial"-Jagdfrühschoppen: Genesen, geimpft oder vor Ort frisch getestet.
So insgesamt meine ich nämlich drei Gruppen zu erkennen:

Vorsichtige rational denkende Bürger, die sich schützen, vorausschauend handeln, sich auch zeitig impfen. Oft mischt sich Angst hinein, oft ein Einigeln, insbesondere wenn schutzbedürftige Senioren oder Kinder in der Familie sind.

Eher gleichgültige Menschen, die sich als Unbeteiligte am Geschehen fühlen, ihrer Wege gehen und alles mit Skepsis und einer ausgeprägten Genervtheit betrachten. Wenn es zu ungemütlich wird und der Urlaub in Ferne rückt, dann wird halt widerstrebend geimpft. Maske wird dann getragen, wenn es alle anderen auch tun oder es der Ladenbesitzer einfordert. Oft sieht man hier auch Generalskeptiker, die eigentlich nichts gegen eine Impfung hätten, aber sich gegen den Mainstream stemmen müssen, um wenigstens etwas besonders zu sein.

Menschen, die angefüllt sind mit dem Thema Impfablehnung. Hier gibt es unterschiedliche Entwicklungen, Bildung von Gruppen, die täglich stundenlang chatten, Einzelne, die im Sumpf der Fehlinformation versacken, in Katastrophenszenarien versinken und andere missionarisch davor zu bewahren suchen. Teils aggressive Abgrenzung.
Wenn eines Tages die Pandemie abgeklungen ist und diese Gruppen sinnlos geworden sind, fallen wir uns dann wieder in die Arme? Oder haben wir uns soweit in Gruppen verschanzt, dass wir gar keine Pandemie mehr brauchen, um unglücklich zu sein?

Vor diesem Hintergrund sind solche vorsichtigen Veranstaltungen echte Trainingseinheiten des Gruppensports, um "an einem zu Strang ziehen".

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