Sonntag, 12. April 2020
Osterso., 12. April
Franziskus allein zuhaus. Einfach weil es ein so epochales Ereignis war, das es in der langen Kirchengeschichte noch nie gegeben hat, muss dieses Bild auch hier seinen Platz finden: Der Papst alleine in dem riesigen Petersdom mit Leibwächter und zwei Begleitern auf dem Weg, um den Segen Urbi et Orbi in die Welt zu schicken.



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Gesunder Menschenverstand Ein Freund rief an: der Haussegen hänge schief, berichtet er.
– „Was ist los?“, frage ich.
Seine Frau wolle joggen gehen mit einer Freundin, und er findet, das geht nicht.
– „Geht auch nicht“, sage ich, „außer sie wohnt mit in eurer Wohnung.“
– „Tut sie natürlich nicht. Ich hab ihr auch gesagt, nur welche aus dem eigenen Hausstand dürften mitlaufen.“
– „Und?“
– „Sie sagt, sie würde das nach ihrem gesunden Menschenverstand entscheiden, und der sage ihr, es sei kein Problem, wenn sie mit ihrer Freundin läuft. Sie würden ohnehin den Sicherheitsabstand einhalten.“
– „Der Abstand beim Joggen sollte wegen der heftigen Atmung mehr als zehn Meter betragen, sagen die Experten, vor allem, wenn sie sich auch noch beim Rennen unterhalten – und darum geht’s ihnen ja wahrscheinlich.“
– „Außerdem ist sie der Meinung, es sollte sich einfach jeder anstecken, dann wären bald alle immun, und der Spuk wäre vorbei. Herdenimmunität.“
– „Das hat sich doch längst als Irrweg erwiesen. Boris Johnson war auch immer dafür, vermutlich sieht er das inzwischen anders.“
– „Sie sagt, ich sei ein Spießer ohne eigenes Denkvermögen.“
– „Nett!“
– „Ich habe sie dann gefragt, was denn wäre, wenn ihre Freundin sich zum Beispiel den Fuß verknacksen würde und nicht weiterlaufen könnte. Ob sie dann aus drei Metern Abstand Hilfe leisten wolle oder ob sie einfach weiterlaufen würde. Daraufhin sagte sie, ich würde mir irgendwelche absurden Situationen ausdenken, um ihr das Laufen mit ihrer Freundin zu vermiesen.“
– „Hast du auch gesagt, dass es richtig ins Geld gehen kann, wenn sie erwischt werden?“
– „Klar, aber sie sagt, sie würden sich schon nicht erwischen lassen.“
Nach einer kurzen Pause frage ich: „Und, wie seid ihr nun verblieben?“
– „Letztlich sind sie nicht gelaufen. Ihre Freundin ist beim Autowaschen von der Polizei geschnappt worden und muss 150 Euro zahlen. Danach hatte sie keinen Bock mehr auf Joggen.“

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Aha! Soeben in der Zeitung gelesen, dass Deutschlands Klimaziele aufgrund von Corona nun wohl doch erreicht werden könnten. Man sieht also: es könnte gehen. Andererseits wird aber dadurch auch klar, welch massive Maßnahmen notwendig wären, um diese Ziele dauerhaft zu erreichen oder in Zukunft noch ambitioniertere zu verfolgen. Das lässt die Hoffnung eher schwinden.

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Dr. Lohse berichtet (5) Die fünfte Pandemiewoche in Münsing – Ostern, Ostersonntag ist es, das erste Mal seit Wochen ausgeschlafen, kein morgentlicher Frühstart mit Kopfkarussell, was jetzt alles zu tun ist. Der Rasen gehört an einigen Stellen gemäht, so stark treibt die Natur, die Tulpen haben die Narzissen abgelöst und die Traubenhyazinthen geben den Bienen Nektar. Bald blüht unser kleines Apfelbäumchen.

Es ist so widersprüchlich, es ist eine völlig absurde Zeit, bei der man sich im Halbschlaf dreht und brummelt, dass dieser seltsame Traum doch aufhören möge. Die Zahlen der Coronaopfer aus dem Ausland prasseln wie Giftpfeile durch die Medien. Die Praxisorganisation scheint zu funktionieren, auch wenn da und dort die Nerven blank liegen. Aber, die Fallzahlen in unserem Bereich steigen nicht so schnell weiter, der „Lockdown“, die Kontaktsperre funktioniert weitgehend, viele genesen wieder. Entspannung – geht das Schlimmste doch an uns vorüber?
Eine unserer Mitarbeiterinnen erkrankt, fällt längerfristig aus. Nein, kein Covid-19, etwas „ganz normales“. Aber Krankenhaus ist niemals schön.

Die Sirenen gehen, in Berg brennt ein Haus. Wir Feuerwehrler versuchen etwas Abstand voneinander zu halten, das Dach brennt, Atemgeschützte löschen von innen. Drei Tage später wieder die Sirenen. Nun brennt das Haus einer Mitarbeiterin in Degerndorf. Am Karfreitag. Es hat hier jahrelang nicht gebrannt, seit Jahren war niemand unserer Mitarbeiter länger krank. Eine völlig absurde Zeit. So dicht und irreal beutelt es unser Team.

In der Praxis erwachen die Patienten langsam wieder aus der Schockstarre. Die ersten sicheren Frühlingszeichen des Hausarztes – die ersten Fahrradunfälle – tauchen auf. Das gibt wieder den Anschein des Normalen. Wie jedes Frühjahr sitze ich dann über einem Knie oder einem Handballen, picke Kieselsteinchen aus der Wunde und beruhige den Patienten, der mir – wie immer – erklärt, dass es wirklich ganz dumm gelaufen sei. Oder ein anständiger Stich, der hat doch was, keinerlei Verbindung zu Covid-19! Vielleicht doch nur ein schlechter Traum. Nein. Wir haben nur eine Verschnaufpause.
Wenn wir uns in die schwierige Phase der Lockerung aller Sperren begeben, dann rollen wieder Infektwellen, dann geht der Tanz in seine nächste Runde.



So genieße ich den Ostersonntag, habe zwischen diesen Zeilen mit meiner Frau einen Spaziergang gemacht und ein Feld mit wunderschönen tiefdunkelblauen Enzianen gefunden. Frohe Ostern.

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Samstag, 11. April 2020
Sa., 11. April
Elke aus dem Wald: Jeden Tag sendet Elke einen Gruß aus dem Wald, sodass ich schon gar nicht mehr hinterherkomme. Nachdem nun schon einige Anfragen kamen, wer die Waldbewohnerin denn sei, eine komplette Namensnennung jedoch aufgrund der DGSVO unterbleiben muss, habe ich ein kurzes Interview mit ihr geführt, damit alle sie besser kennenlernen können:
Du wohnst im Wald in Ambach – ist das nicht recht einsam?
Hier ist es nie einsam. Hier gibt es mehr Lebewesen als in der Stadt.

Wieviele Menschen kommen täglich so vorbei?
Niemand, oder nur verirrte Wanderer, die die Natur genießen. Oder die Blaskapelle, immer am 1. Januar, das ist der größte Massenauflauf hier.

Du sprichst viel mit Tieren, Blumen und Bäumen?
Kommt drauf an, ob ich was hören will von denen.

Was machen deine Mäuse so? Sprichst Du mit denen auch?
Die bleiben sogar direkt vor meiner Nase sitzen und derblecken mich. Ellabätsch, hab wieder deine Blumen abgefressen! Was die Mäuse sonst noch so treiben, siehst du hier beim Blick aus meinem Fenster.



Du warst vorgestern wieder arbeiten, wird da der Abstand eingehalten?
Abstand in der Arbeit funktioniert ganz gut. Die Büros sind ausgedünnt. Da war die Maus näher an mir dran.

Deine Mutter, deinen Freund – siehst du die?
Zu meinem Freund hab ich den Abstand natürlich nicht eingehalten, wo kommen wir denn da hin?

Und sonst so?
Wer sich vor sich biegenden Bäumen und tosendem Lärm bei Sturm fürchtet, kann hier nicht wohnen. Ich genieße die Waldstille und das Vogelgeszwitscher, das erdet ungemein und entspannt.

Hier übrigens mein heutiger Blumengruß: eine Traubenhyazinthe. Sie verfügt über eine besondere Farbe – dunkelblau. Die steht für Frieden und Treue.



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America immer firster. Kleine Zusammenfassung der Statistik: Die USA liegen mit mittlerweile einer halben Million Infizierten weit vorne und bei den Opferzahlen schicken sie sich an, den traurigen Spitzenreiter Italien zu überholen. Die Corona-bezogene Sterblichkeit (im Verhältnis zu den Infizierten) liegt mit 3,7% im Vergleich zu Italien (12,8%), GB (12%), Frankreich (10,5%) und Spanien (10,2%) in USA noch relativ günstig (zum Vergleich: Deutschland 2,2%) – aber was sagen all diese Zahlen, wenn man nicht weiß, wieviele Menschen in den jeweiligen Ländern eigentlich getestet wurden? Und wie hoch ist die Dunkelziffer weiterer Infizierter?
Außerdem wurde gestern im "Heute-Journal" berichtet, dass in NYC täglich Hunderte alleine und unbemerkt in ihren Wohnungen umkommen, die mangels Krankenversicherung in keiner offiziellen Statistik auftauchen.

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Irrungen & Wirrungen. Auch mich erreichen immer wieder Mails und Whatsapps, in denen abweichende und angeblich unterdrückte Corona-Theorien angepriesen werden, vor allem von Wolfgang Wodarg und Sucharit Bhakdi – beides Mediziner, deren Argumente von Laien (wie z.B. mir) kaum zu widerlegen sind. Hilfreich bei der Einordnung ist ein Artikel auf SZ-Online, den ich sehr empfehlen kann.

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Freitag, 10. April 2020
Karfr., 10. April
Null Bock auf Blog Aber das war gestern wegen Geburtstag – jetzt geht's wieder weiter. Nur noch kurz zu gestern: Meine Kinder haben mir tatsächlich eine Schwarzwälder Kirschtorte gebacken. Hervorragend! Sie haben das zum ersten Mal in ihrem Leben gemacht, und das Ergebnis konnte sich durchaus messen mit der Schwarzwälder von Frau Krümel von K&K. Und die schmeckt schon richtig gut.



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Risikogebiet Meine Frau war am Mittwoch nachmittags (unser Edeka geschlossen!) bei Rewe in WOR für die Ostereinkäufe. Es war brechend voll. Sie trug ihre Behelfsgesichtsmaske (Mundschutz darf man nicht mehr sagen, sonst kann man abgemahnt werden!) und war damit so ziemlich die Einzige im Laden – nicht einmal die Kassenkräfte trugen welche. An die herrschenden Abstandsregeln hielt sich fast niemand. Wartete sie vor den engen Gängen, bis die Vorgänger fertig waren, so drängten sich andere ungeduldig dazwischen, und auch an den Kassen standen alle dicht an dicht. Beim Verlassen des Geschäfts sah meine Frau zwei uniformierte Sicherheitsleute vor dem Eingang stehen. Sie Rauchten und lehnten eng beieinander – vielleicht sagen sich Raucher ja, bei ihnen sei es eh schon wurscht. Meine Frau sprach sie an: "Da drinnen geht's zu wie im Taubenschlag, warum machen Sie da nichts dagegen?" – "Rewe sagt, wir sollen erst morgen und am Samstag eingreifen", antwortete einer der beiden gelangweilt. Die Frage, warum sie dann überhaupt hier rumständen, ersparte sie sich.

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Auch interessant. Ein Freund von mir, der ebenso öfters bei Rewe einkauft, hat bei dieser Gelegenheit stets eine Flasche Whiskey im Auto dabei. Wenn er bei Rewe fertig ist, nimmt er einen Mund voll davon und gurgelt damit, um seinen Rachen von etwaigen Viren zu desinfizieren. Danach spuckt er alles samt den toten Coronas auf den Parkplatz – schließlich will er nicht betrunken heimfahren. Diese beispielhafte Hygiene-Aktion, die er sich selbst ausgedacht hat, verleiht ihm ein beruhigendes Gefühl von Sicherheit und sorgloser Zufriedenheit.

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