Montag, 25. Juli 2022
Mo., 18. Juli 2022
Dr. Lohse berichtet: Der 29.Monat der Pandemie in Münsing
Nachdem die Welt sich doch noch dreht, gieße ich im Morgengrauen schnell noch die Tomaten, die reich angesetzt haben und trotz des regelmäßigen Niederschlages durch ihre Position unter Dach regelmäßig ihre Portion Wasser brauchen.

Das Treffen der Landkreisärzte gemeinsam mit ihren Teams, den Mitstreitern des Landratsamtes und einiger wert geschätzter Vertreter der kassenärztlicher Vereinigung rückt näher, etwas nervös wird die Wetter-APP des deutschen Wetterdienstes zur Prognose für den 6. Juli in fast stündlichem Rhythmus befragt. Diese Feier habe ich nun ?Boxenstopp? getauft, da das Rennen nicht vorbei ist, aber wir alle einmal Zeit zum Innehalten, zur Wartung brauchen. Es haben sich sagenhafte 220 Personen angemeldet, was ich als höchsten Ausdruck gegenseitiger Wertschätzung betrachte und hoffe, durch richtige Worte in der kurzen Ansprache das Gefühl des Gemeinsamen stärken zu können.
Zwei Wochen später folgt eine Einladung der Landtagspräsidentin Ilse Aigner auf ein Schloss als Anerkennung der Pandemiehelfer. Um 18:00 besteht auch die Möglichkeit, ein Foto gemeinsam mit Ilse Aigner und Markus Söder anfertigen zu lassen. Sicher nur ein Trick der beiden, endlich einmal mit mir gemeinsam in die Zeitung zu kommen, da ich mich sonst eher ungerne ablichten lasse und bisherige Anfragen der beiden ignoriert hatte.

Der Juli wirkt wie eine Abschlußzeit, Endfeier, Abiturfest, auf jeden Fall wie ein ?wir haben es geschafft?.

Die Anfrage einer lokalen Zeitung mit der Bitte um ein Interview bringt mich zum Nachdenken, ich soll eine Prognose abgeben, wie es in Bezug auf Corona weiter geht.

Nun sind wir schon von vielen Propheten umzingelt, da braucht es nicht auch noch mich. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung hat getagt und gestern seine Weisheiten verkündet. Hätten wir ein Dutzend allgemein Gebildete Menschen aus Münchner Fußgängerzone zusammengesetzt, wäre auch nichts Klügeres herausgekommen. Ein windelweiches ?kann man nicht genau sagen?, ?dazu fehlen uns die Daten? ?das ist ja alles schon vorbei, daraus nichts für die Zukunft gefolgert werden? raschelt jetzt durch den Blätterwald, jeder kann sich heraussuchen, was er oder sie mag. Schade um das Geld und die Zeit.
Aber wie geht es nun weiter, was sollen wir tun?
Ich versuche mich mal zu sammeln und Konkretes zu prophezeien und zu empfehlen.

Natürlich wird uns das Coronavirus weiter begleiten. Die Zahlen werden hoch sein, es wird viele Kranke geben. Aber wir wissen noch nicht, wie krank die Kranken sein werden! Derzeit ? vor dem Hintergrund einer recht guten Impfschutzquote oder vieler bereits ehemals Infizierter ? macht uns das Virus krank, wir überstehen es nach mehr oder weniger langer Zeit meist gut. Zum Problem post covid Syndrom komme ich noch. Die aktuellen Mutationen (BA.3 und höher) betreffen Gott sei Dank vor allem die Geschwindigkeit der Ausbreitung, nicht aber die Schwere der Erkrankung. Dennoch müssen einige in Krankenhäuser, es versterben auch täglich Menschen an dieser Infektion. Je mehr Infizierte, desto höher auch dieser Anteil. Damit ist die Coronainfektion in der Schwere für mich zunächst vergleichbar mit einer Influenzagrippe. Ernst zu nehmen, aber nicht pandemischer Wahnsinn.
Ganz anders könnte es werden, wenn eine Mutation das Virus derart verändert, dass unser bislang aufgebauter Immunschutz die neue Variante nicht erkennt und gleichzeitig diese Mutation krankheitsgefährlicher ist. Diesbezüglich sind wir in der Hand des Schicksals. Sollte durch eine solche Mutation wieder Lebensgefahr heraufziehen, sind starke Eingriff in das gesellschaftliche Leben unvermeidlich.

Bleiben wir ?optimistisch? Omikron beherrscht den Winter: In den Innenräumen sollten wir dringendst wieder Masken tragen, um die Anzahl der Infektionen zu bremsen. Aber es wird weder Schulschließungen noch einen Lockdown geben. Kostenlose Massentestungen halte ich als unpolitischer Mensch für das Verbrennen von Geld, solange Omikron der Bösewicht ist. Jeder kann sich für echt wenig Geld einen Selbsttest kaufen. Wer mir jetzt schon leid tut, das sind wieder die niedergelassenen Ärzte mit ihren Teams, die Firmen und viele Familien: Denn ein sehr hoher Krankenstand ist zu erwarten. Betriebe werden genauso wie alle Teile der Infrastruktur Lücken in der Besetzung haben.

Neben dem anlassbezogenen Tragen der Masken und vielleicht dem Pausieren von Massenveranstaltungen in geschlossenen Räumen ist das zweite Element in diesem Krankheitsgeschehen für den Herbst/Winter das Impfen.

Wir brauchen Immunität, zu Deutsch Abwehrkraft gegen diese Erkrankung: Durch Impfung (nebenwirkungsarm), Infektion (hohe Gefahr diverser Nebenwirkungen) und eine stabile innere wie äußere Kondition.
Bezüglich Impfungen bin ich sehr unfroh: 2019 trat das Virus in Erscheinung, 2020 spannten rund um den Globus viele Wissenschaftler ihr Wissen zusammen und konnten bis in den Herbst potente Impfungen gegen dieses wendige Virus entwickeln, die notwendigen Zulassungsprüfungen durchlaufen und der Welt Ende 2020 eine wirksame Waffe gegen diesen Wahnsinn präsentieren. Das wendige Virus entwickelt sich fortwährend weiter, wandelt alles Nase lang sein Gesicht ? die Impfung nicht. Der Hauptimpfstoff von Biontech/Pfizer oder Moderna ist immer noch der ursprüngliche von 2020. Dieses Schwert ist stumpf geworden! Zwar werden wir durch dreimalige Impfung ziemlich gut vor schwerer Erkrankung und Lebensgefahr geschützt ? nicht aber vor Ansteckung und Weitergabe. Da bin ich selbst ein gutes Beispiel. Vollmundig kündigten die inzwischen mit Orden behängten Chefs dieser Firmen bereits im November 2021 eine Omikronanpassung des Impfstoffes für März 2022 an, aber gekommen ist nichts.
Meine Forderung: Komplettiere ein jeder seinen Impfschutz auf drei Impfungen (oder einen Infekt und danach 2 Impfungen). Das ist ein guter Grundschutz, von dem wir allerdings noch nicht wissen, wie lange er hält. Wer diese Basis hat und sonst keinem speziellen Risiko durch sehr hohes Lebensalter oder gefährliche Erkrankung ausgesetzt, der soll warten. Bis Mitte September in der Hoffnung auf einen weiterentwickelten Impfstoff (?Modell2022?). Sollte dieses Modell nicht kommen, ist sehr ernsthaft der alternative 2022 gekommene Impfstoff Novavax als 4. Impfung zu erwägen, da dadurch eine bessere Chance besteht, dass die Lücken zu verringern, durch die das wendige Virus schlüpft. Dieser ?Todimpfstoff?, besser ?Impfstoff auf der Basis von Virusproteinen? zu nennen, ist real, verfügbar und schützt. Er ist aber bei Impfbefürwortern etwas in Verruf, da die Impfskeptiker immer laut nach diesem Impfstoff wie nach einem Heilsbringer riefen (und sich dann doch nicht impfen ließen). Schwierig ist es bei denen wie mir, die gerade selbst trotz der drei Impfungen Corona hatten, quasi jüngst ?naturgeboostert? wurden. Nachdem ich in der Praxis zunehmend Patienten erlebe, die nach Infektion im Spätwinter nun schon wieder an Omikron erkranken, lautet meine Empfehlung: Wenn jemand dieses Jahr infiziert war, sollte er drei Monate nach diesem Infekt so verfahren wie gerade beschrieben ? also diese Infektion nach drei Monaten ignorieren und im Herbst eine weitere Impfung in Betracht ziehen.

Abgesehen von Corona scheint die Influenza dieses Jahr etwas bissiger zu werden: Aus Australien wird berichtet, dass die diesjährige echte Grippe (Influenza) ein hohes Potential hat, krank zu machen. Scheint Lauterbach noch nicht gehört zu haben, da er noch nicht mit seinem erhobenen Zeigefinger zur Nadel gerufen hat. Also im Katalog meiner Empfehlungen: Gefährdete sollten sich dieses Jahr tatsächlich ? sobald verfügbar ? eine Grippeschutzimpfung holen.

Post Covid ist für mich die große Unbekannte der nächsten Monate oder Jahre. Wenn die Zahlen stimmen, die unter anderem von uns selbst bei unserer COVITÖL-Studie erhoben werden, dann stehen wir vor großen Herausforderungen.
Bei einzelnen Patienten unserer Praxis sehe ich unfassbare Störungen durch die Infektionen, bis hin zu Bildern, die einer Demenz mit neurologischen Extras entsprechen. Nicht oft, aber ich bin ja auch nur einer von vielen Hausärzten. Das einzig Beruhigende ist die Tatsache, dass diese Bilder über mehrere Monate (!!) abblassen und die Patienten voraussichtlich nach einem halben bis einem Jahr (!!) wieder ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen können.

Die Behandlungsansätze sind samt und sonders noch im Experimentalstadium. Es kommen Empfehlungen im Transfer von anderen Erkrankungen: Training in körperlich wie geistiger Hinsicht. Dann wieder Erkenntnisse aus der Fatique-Syndromforschung mit teils hochexperimentellen Ansätzen. Mit dem Training bis ich sehr skeptisch. Meiner Beobachtung nach liegt manchmal eine massive organische Schädigung, manchmal eine schwere psychische Schädigung, manchmal eine Kombination vor, bei der Henne und Ei auch für Fachleute kaum unterschieden werden können. Patienten wie auch Behandler fühlen sich oft überfordert und alleingelassen, die Forschenden sind oft zu weit von der Basis entfernt. Hier erfolgt von meiner Seite keine Prognose, sondern die Forderung nach Wissens- und Erfahrungsaustausch, zur Schaffung runder Tische und Selbsthilfegruppen.

Oben ist als Notwendigkeit zum Schutz gegen Krankheit die ?stabile innere wie äußere Kondition? zu lesen. Damit meine ich als einen zentralen Punkt, quasi im Nebensatz verborgen uns selbst, unseren Körper und unsere innere Haltung. Hier sind wir nicht von der Entwicklung von Impfstoffen, der Erlassung von Vorschriften, der Verbreitung kruder Theorien oder der allgemeinen Welt- und Wetterlage abhängig, hier sind wir in unserem eigenen Universum.
Der allgemeine Überdruss, die Freudlosigkeit und die stets präsente Ernsthaftigkeit machen uns träge, unflexibel und zu Opfern unser Selbst. Spontanität, einen Hang zu kreativem Blödsinn ohne Schaden für andere, gegenseitiger Respekt und ein dichtes soziales Miteinander sind unbezahlbare Elemente der Stärke.
Klar, das ist uns nicht immer gegeben. Aber wir sehen eigentlich vor allem das, was wir suchen, also empfehle ich offe Augen für die anderen Seiten. Ich scheine als eine meiner Erbanlagen erfreulicherweise eine Suchfunktion auch für diese Elemente geschenkt bekommen zu haben. Zumindest wird mir von Familienmitgliedern eine gewisse Neigung zu wild wuchernder Phantasie und zu Unfug nachgesagt.
Aber das sind natürlich nur Gerüchte.

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