Donnerstag, 20. Mai 2021
Do., 20. Mai 2021
Dr. Lohse berichtet: Die 61. und 62. Woche der Pandemie in Münsing
Heute lege ich einen Pausentag ein. Es hat sich in den letzten drei Wochen eine massive Arbeitsverdichtung breitgemacht, jeder in der Praxis und drum herum ist am Limit. Ausschlafen bis zum Aufwachen, ein paar Hausbesuche, hier ein Ratsch, dort ein Besuch, Fische füttern, Singen und langsam tun.

In der massiven Verdichtung der letzten Wochen kommt mir ein Trupp Wildschweine gerade recht. Eine der Wildkameras macht weit nach Mitternacht ein wunderschönes Photo von drei Wildschweinen, die sich an einem Waldrand bei Holzhausen herumtreiben. Mit einem anderen Jäger wechsele ich mich ab, um nachts zu lauern. Der vergangene Freitag war vormittags mit hoch konzentrierter Praxisarbeit gut gefüllte, der letzte Patient geht um halb zwei. Emsig richten wir Impfungen her, es sind diesmal 84 Impfungen, die alle präzise aufgezogen sein wollen. Ab zwei Uhr mittags kommt dann bis um fünf ein Patient nach dem anderen und bekommt seine ersehnte Coronaimpfung. Dann noch Dokumentation, lüften und Computer ausschalten. Pause. Um Mitternacht löse ich den Jagdkollegen auf dem Hochstand ab, richte mich ein und freue mich über telefon- und anfragenfreie Stunden, ein kleines Nickerchen.



Eine Stunde später kommen sie geschlichen, die drei Wildschweine. Der grelle Blitz, Donner und Pulverdampf vertreibt zwei Schweine, eines bleibt liegen. Die Bratwürste für den Sommer sind gesichert! Der Metzger von Münsing kann nämlich laut fachkundiger Expertise meiner Thüringer Verwandtschaft ganz hervorragende Thüringer Wildschwein-Rostbratwürste herstellen, eine kritische Verkostung vor zwei Jahren erbrachte großes Lob für ihn.
Diese Bratwürste sind für unsere Praxis ein Symbol: Vor zwei Jahren, als die Welt noch in Ordnung war, feierten wir in froher Runde an einem langen Sommerabend eben diese Würste am offenen Feuer in unserem Garten. Jetzt haben wir wieder solche außerordentlichen Würste. Unser geheimer Plan: Bis zum Sommerurlaub, also bis Mitte August, werden wir zur Feier der beginnenden Normalität diesen Grillabend wiederholen.

Jetzt sind im Landkreis deutlich über 40 % aller Bürger mit einer ersten Impfung versehen. Das ist gigantisch!! Bis zum Urlaub sind es noch knappe drei Monate. Täglich trudeln Dutzende neue Anmeldungen ein, wöchentlich impfen wir inzwischen 120 Menschen alleine in unserer Praxis. Wenn noch mehr Impfstoff kommt, schaffen wir auch 200. Ich betrachte das als maximale Kraftanstrengung im Sinne eines Endspurtes dieser ersten Impfkampagne.
Dieses Zwischenziel ist für uns absolut wichtig ? auch wenn die Pandemie noch lange nicht vorüber ist. Ich glaube nämlich, dass mit dem Ende dieser ersten Impfkampagne eine Art neue Normalität beginnt. Die Impfzentren werden heruntergefahren, irgendwann kommt eine dritte Impfung, irgendwann kommt eine resistente Mutation, aber der August wird undramatisch.

Bis dahin aber haben wir noch genug Drama: Während wir in der Praxis alles auf das Impfen ausgerichtet haben, versprechen die Politiker, dass mit Aufhebung der Priorisierung auch das Impfen schneller ginge. Leider gibt es immer noch Menschen, die diesen Versprechungen glauben. Da hilft in den Praxen nur klare Kommunikation, guter Zusammenhalt, eine Portion Humor und Standhaftigkeit. Damit werden wir diese Sturmböen auch noch überstehen, uns dann zusammensetzen, tief durchatmen, ein Fassl Bier anstechen und das jüngst erlegte Wildschwein in Form traumhafter Thüringer Rostbratwürste ehren.

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Donnerstag, 13. Mai 2021
Di., 11. Mai 2021
Miese Beißer Momentan habe ich ein Projekt am Laufen: Zur Westseite hin baue ich eine kleine Plattform ans Haus, von wo aus man den Sonnenuntergang genießen und außerdem alle Fahrzeuge zählen kann, die die Weipertshausener Straße entlangfegen. Durch die Entfernung sehen die wie Spielzeugautos aus, geradezu niedlich und liebenswert. Abgesehen von gelegentlich vorbeirasenden Bikern, die ihre Maschinen auf gefühlt 350 kmh hochwinseln lassen, ist der Geräuschpegel durchaus erträglich.
Aber ich bin ja noch am Bauen, und nachdem ich schon ein paar juckende Stellen auf meinen kurzbehosten Beinen spürte, sah ich eine winzige Fliege, so etwa zwei Millimeter groß, oberhalb meines rechten Knöchels sitzen, die dort mit irgendetwas beschäftigt war. Sie wollte sich dabei offensichtlich nicht stören lassen und machte auch keinerlei Anstalten, wegzufliegen, als ich mich mit meiner Hand näherte, sondern blieb sitzen, bis ich sie derbazt (zerquetscht) hatte. Zurück blieb ein blutiger Fleck und ein kleines Loch in der Haut. Es fing gleich heftig an zu jucken, was ich aber zunächst ignorierte, weil mir mein Projekt wichtiger war. Gelegentliches Kratzen verschaffte temporäre Linderung. Mit der Zeit spürte ich jedoch, dass mein rechter Schuh immer enger wurde. Als ich schließlich mit Schrauben und Hämmern aufhörte und meine Schuhe auszog, war mein rechter Knöchel um die Hälfte dicker als der linke, und um um das Loch hatte sich ein handtellergroßer dunkelroter Hof gebildet. Es juckte und brannte wie die Hölle. Wie konnte eine Minifliege so einen Schaden anrichten?
Ich begab mich zu einer Nachfrage ins Internet und gab bei Google ein: "Fiese kleine Fliege" und sofort kam bei Wikipedia samt Bild das Ergebnis "Kriebelmücke"



Der Eintrag bei Wikipedia ist ungefähr fünfmal so lang wie der für ganz Münsing, und am Ende hat man den Eindruck, dass man von Glück reden kann, wenn man nach einer Kriebelmückenattacke wenigstens mit dem Leben davonkommt. Jetzt bin ich endlich gegen Corona geimpft und dann sowas!

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Dienstag, 4. Mai 2021
Mo., 2. Mai 2021
Dr. Lohse berichtet: Die 60. Woche der Pandemie in Münsing 2.Mai 2021
Er ist da, der erste Mai! Trüb, regnerisch und kühl, der Alptraum einer jeden Maimusi, aber gerade recht für den Jäger.
Wo in Spanien und in der Türkei die Hotels leer stehen, da tummeln sich in unseren Breiten die erholungssuchenden Münchner und entdecken das Grün vor den Toren der Stadt neu.

Als Angehöriger des Landvolks beobachte ich dieses bunte Treiben natürlich missmutig-misstrauisch, gebe mir aber immer wieder einen Stups und stelle fest, dass die es genau richtig machen.
Wegfahren ist schon lange schwierig. Es ist nicht nur schwierig, es ist schlicht und ergreifend für Verantwortungsvolle sehr kompliziert geworden: Wie ist das Infektionsgeschehen am Urlaubsziel? Kann ich mich dort ungefährdet von Infektion bewegen, wandern, baden, Essen gehen? Komme ich hin und wieder zurück, muss ich Sperrungen fürchten, fehle ich danach am Arbeitsplatz durch Quarantäne.
Und da gibt es noch Fridays for Future, CO2-Fußabdruck und Nachhaltigkeit.
Was ist da sinnvoller, als im Umland einen Ausflug zu machen, sich zu bewegen, zu wandern, Brotzeit zu machen anstelle vor dem Fernseher, PC oder Smartphone zu sitzen und die Familie zu ärgern.
Also, da haben sie schon recht, die vielen Leute vor unserer Haustüre, auf den Feldern und in den Wäldern.
Aber wenn es dann am ersten Mai regnet und man sitzt alleine mit kaltem Nasenspitzel im menschenleeren Wald, dann ist das schöner, als Scharen von bimmelnden Radlern vor der Büchse zu haben.
Viel Zeit bleibt eh nicht, dann muss ich wieder zurück zum Laptop. Listen pflegen, Leute zur Impfung einladen, Anfragen beantworten?

Meine letzten Anliegen, Erhalt der Impfzentren und uneingeschränkte Staatshaftung für alle aktuellen Impfungen, die haben sich zum Guten entwickelt.

Jetzt ist eine hochdynamische Situation entstanden, viele wittern die Morgendämmerung, Unruhe macht sich immer breiter. Jetzt gilt es, die Ressourcen, also Impfstoff rasch zu verteilen, rasch zu impfen. Die Impfquote müsste sich allmählich über die 25 % in unserem Landkreis bewegen. Die Hausärzte haben in den vergangenen drei Wochen über 7000 Landkreisbürger geimpft.
Seit einer Woche tasten wir uns an das Thema Impfnachmittag heran. Wir impften vorletzten Freitag dreißig Patienten in zwei Stunden. Diesen Freitag wurden es siebzig Patienten in drei Stunden. Für nächste Woche haben wir uns dienstags und mittwochs je 17 Patienten vorgenommen, am Freitag wieder 70. So langsam bekommen wir Routine.
Für mich ein ganz neues Thema ist die Auswahl der Impflinge: Zur Zeit gibt es noch eine Prioritätsreihenfolge, nach der wir unsere Patienten ordnen müssen. Darüber bin ich sehr froh, da es mir die Verantwortung nimmt, wen ich als nächstes impfen kann. Wenn, wie von vielen Politikern gefordert, in 3-4 Wochen die Priorisierung abgeschafft wird, dann gilt ja nur noch das Windhundprinzip: first come, first shot. (Anmerkung: Shot bedeutet nicht ?erschossen?, sondern bedeutet hier ?gespritzt/geimpft?)
Dazu fällt mir sofort wieder ein Beitrag zum Thema ?Impfen in der Hausarztpraxis? des Fernsehmagazins Quer aus der letzten Woche ein (in der Mediathek abrufbar) : Eine Kollegin hatte mich gefragt, ob sie dem Fernsehteam die Möglichkeit des Filmens in der Praxis einräumen solle. Der Beitrag, kurz, knackig und provokant brachte die folgende Botschaft rüber: ?Du musst nur richtig motzen, dann kommst du schon dran?. Ein vollkommen vitaler Sechziger wurde gezeigt, der sich aufregt, dass er trotz Herzinfarkt immer noch nicht geimpft ist. Wie er sich dann ?Reißzwecken an die Ellbogen geklebt hat, um mal richtig Druck zu machen? Dieser Unsympath wurde als Vorbild und Erfolgsmodell inszeniert ? unfassbar. Der einzige Trost war, dass dieser Typ offensichtlich ein Schauspieler war, der wenig Ahnung von sich aufregenden Patienten hat, dass also diese Szenenausschnitte einfach Fake sind. Wenn er zu mir in die Praxis kommt, werde ich vermutlich mit meinem Verlangsamungsreflex reagieren, der mich immer beschleicht, wenn mir beim Autofahren ein Drängler am Kofferraum hängt.

Es wird spannend weitergehen.

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