Sonntag, 6. Februar 2022
So., 23. Januar 2022
Dr. Lohse berichtet: die 96. Und 97. Woche der Pandemie in Münsing
Es ist eine Übergangszeit. Die Tage werden merklich länger, die Sonne ? wenn sie scheint ? trägt wieder Wärme. Und gleichzeitig sind es die kältesten, die härtesten Winternächte. In meiner Erinnerung verknüpfen sich im Januar und Februar knackkalte Nächte mit Fasching, Tanz und zugefrorenen Weihern. Zwar ist es jetzt nicht knackkalt, die Weiher sind auch nicht zugefroren, aber für eine Schneedecke und eine kalte Nase reicht es.
Auch der zweite pandemische Winter mündet in eine Übergangszeit mit einer Nuance Fasching, Umzügen und einer nahenden Fastenzeit, einer Zeit der Beschränkung, nach der Ostern kommt und es wieder ganz anders aussehen wird.
Kürzlich waren wir, meine Frau und ich, seit vielen Jahren erstmals wieder auf einer Demonstration. Seit mehreren Wochen veranstalten in ganz Deutschland verschiedenste Menschen Montagsumzüge. Damit soll Unzufriedenheit mit den staatlichen Maßnahmen ausgedrückt werden, Ärger über Einschränkungen, über die Diskussion einer Impfpflicht, aber auch manchmal die staatliche Ordnung in Frage gestellt werden. Manchmal werden diese Montagsumzüge von politischen Destrukteuren genutzt, um Chaos zu stiften, zu provozieren und sich Auseinandersetzungen mit der Polizei zu liefern, in Einzelfällen auch bedrohliche Szenarien gegen einzelne Verantwortungsträger aufzubauen. Den Höhepunkt bislang bildeten Fackelzüge vor Wohnhäuser von Politikern in bitterer Reminiszenz an schwarze Episoden deutscher Geschichte.

Anders in unserem Landkreis: Seit einigen Wochen finden montags abendliche Umzüge von hunderten Menschen statt, die mehr oder weniger schweigend mit Kerzen durch die Orte ziehen. Sie melden sie ihre Versammlungen / Umzüge nicht an, halten sich nicht an gebotene Abstände. Nach außen gibt es bei diesen medial gut vernetzten Gruppen keine Organisationsstruktur, keinen offiziellen Leiter, keine Einzelperson nennt ihren Namen, keine Demonstrationsinhalte.
Viele Bürger fühlen sich durch diese Gruppen irritiert, teilweise real bedroht. Es herrscht Entsetzen, dass die meist 25-45 Jährigen ihre Kinder mitführen, deuten dies als menschliche Schutzschilde, wie es bei gewalttätigen Demonstrationen bereits geschehen ist.
Gegen diese Umzüge ? die durch Nichtanmeldung und anonymisierte Verantwortlichkeit eine Rechtswidrigkeit darstellen- formiert sich Widerstand von Bürgern. Da ich selbst meist ein regelbeachtender Mensch bin und mir die Bedeutung unserer gesellschaftlichen Ordnung mit all ihren Regularien wichtig ist, zeige ich hier mein Gesicht.

Einige lokale Politikerinnen und Politiker gemeinsam mit normalen Bürgern meldeten nun zweimal in Wolfratshausen eine Demo als Gegendemonstration an. So standen am Montag vor einer Woche auf der Bergseite des Obermarktes etwa 400 Personen (Gegendemonstranten) ab 18:30 auf dem Gehsteig in langer Menschenkette nebeneinander. Es war angemeldet, es gab Verantwortliche, Ordner waren mit Warnweste bemüht, Provokationen zu vermeiden und das Ganze geordnet ablaufen zu lassen. Gegen 19:00 ergoss sich eine lange Karawane der unangemeldeten Umzügler auf der Flussseite des Obermarktes, etwa 800 Personen. Dazwischen lediglich die acht Meter breite Straße mit insgesamt 12 Polizisten der hiesigen Polizeiinspektion.
Diese Szene, diese Stimmung war nicht schön, insbesondere da in den Medien Bilder von Eskalation mit Gewalttaten täglich in die Wohnzimmer getragen werden und auf beiden Seiten große Nervosität herrschte
Letzten Montag war es deutlich distanzierter, die Umzügler zogen wieder ihre Runde, wir Gegendemonstranten bekamen die Floßlände und den Sebastianisteg als Demonstrationsort. Alleine durch die räumliche Entzerrung, aber auch durch gemeinsame Gespräche war die Anspannung weitaus geringer. Die Diskrepanz aber bleibt in einer Sache weiterhin sehr klar vor Augen, nämlich Anonymität gegenüber Transparenz. Kein Mensch übernimmt bei den Umzüglern die Verantwortung einer Anmeldung, es wird von ?Spaziergängen? und nicht von einer Demo gesprochen. Während die Namen verborgen werden, sind die Gesichter frei, es werden keine Masken getragen (sie sind im Freien auch nicht vorgeschrieben). Auf der Seite der ?Gegendemonstranten? in Wolfratshausen machen sich die Verantwortlichen kenntlich, Namen werden offen genannt, Reden werden ohne jede Anonymität gehalten. Dafür verhüllen sich die ?Gegendemonstranten? das Gesicht mit Schutzmasken.
Das Interessante ist ja, dass eine regelkonforme Anmeldung einer Demonstration jederzeit möglich ist und die Umzüge in dieser Form auch weitgehend genehmigt würden.

Bei all dem Unwohl und dem nicht Richtigen, was da geschieht: Von kleinen Ausnahmen abgesehen fallen mir keine Radikalisierungsprovokateure auf, keine politisch radikalen Strömungen. Ein eher agitierender Trittbrettfahrer, der die Umzüge als ?seine Demo? kapern wollte und ganz offensichtlich andere Ziele verfolgte, versank mit zehn Demonstranten in der Bedeutungslosigkeit. Es ist sogar so, dass Demonstranten und Gegendemonstranten eine gemeinsame Erklärung verfassten, die sich klar von Radikalisierung abgrenzt und sich Demonstrationstourismus verbittet.
Ich hoffe zutiefst, dass es bei dieser friedfertigen Bewegung bleibt, würde mich noch mehr freuen, wenn sich die verschiedenen Parteien getrauen würden, auch offen und regelkonform zu demonstrieren und nicht so viel Angst vor ihrer eigenen Meinungsäußerung hätten.
Eigentlich ist das ja auch eine bayerische Tugend: ?Ich sage, was ich meine und dazu stehe ich auch?.
Die steigenden Infektionszahlen ? aktuell liegt die Inzidenz bei 1300 ? haben die Organisatoren der Wolfratshauser Gegendemonstrationen dazu gebracht, zunächst keine weiteren Demos mehr zu organisieren.
Erfreulicherweise funktionieren die Kliniken nach vorübergehender Überlastung in der Deltawelle wieder gut, auch bei den niedergelassenen Ärzten sind nicht viele Ausfälle zu beklagen.
Es ist in der Situation unserer Pandemie gerade genau die gleiche Stimmung wie in der Jahreszeit:
Es wird noch einmal richtig schwierig und kalt, aber dann haben wir diesen Winter, diese Pandemie hinter uns. Ich bin sogar so optimistisch, dass wir für Ostern in der Praxis einen Urlaub planen. Nicht weil wir uns davonschleichen wollen, sondern weil es da wieder ruhiger wird und wir endlich einmal eine Pause machen können. Ob Pause oder Ende der schlimmsten Zeit der Pandemie? Ich glaube, dass wir dann das weitaus Schlimmste hinter uns haben und im nächsten Winter wieder normale Umzüge zu dieser Jahreszeit machen können, mit bunten Masken.

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