Samstag, 12. März 2022
Mo., 28. Febr. 2022
Dr. Lohse berichtet: Die 102. Woche der Pandemie in Münsing 28.02.2022
Da gibt es einen Film ?und täglich grüßt das Murmeltier?. (Für die Jüngeren der Leser: sehenswert, völlig sinnlos aber irgendwie wirklich nett) ? so geht es mir gerade: Die Sonne scheint bei blauem Himmel, die Krokusse malen Farbtupfen auf die braune Wiese, die Vögel überbieten sich im Gezwitscher, die ersten Stare machen sich wichtig. Und ich sitze wieder in Quarantäne, so wie vor zwei Jahren, als die Pandemie diesen Landstrich heimsuchte. Fast alles wirkt gleich.

Aber es ist vieles anders geworden: Die Inzidenzen liegen nun bei unvorstellbaren 1700 Infektionen pro 100 000 Einwohnern pro Woche, die allermeisten sind geimpft und die Erkrankung ist im häufigsten Fall nicht mehr so bedrohlich. Da die Impfung immer noch vor einem schweren Verlauf schützt, liegt meist nur ein Zustand wie bei einer Grippe vor. Allerdings sind es unglaublich viele Fälle, so dass die Kliniken vollgelaufen sind ? nicht allerdings auf den Intensivstationen, sondern auf den Normalstationen.
Letzte Woche bei der gemeinsamen Pandemiebesprechung unser drei Landkreise, die sich gegenseitig unterstützen, war für unseren eigenen Landkreis nicht ein einziges Bett auf Normalstationen für Coronapatienten mehr frei, unsere Patienten mussten dann im Landkreis Weilheim oder Garmisch-Partenkirchen versorgt werden. Die Leitstelle musste wegen 50% Personalausfalls wegen Corona alle Reserven aktivieren, um die Funktion aufrecht zu erhalten. In die Arztpraxen und Kliniken fallen reihenweise Mitarbeiter wegen Corona aus ? sei es, weil sie krank sind, in Quarantäne müssen oder sie sich um erkrankte Familienmitglieder kümmern müssen.
Der neue Subtyp BA.2 der Omikronmutation, die neueste Ausgabe dieses Virus, hat noch etwas mehr Durchschlagskraft als die Omikonmutation schon hat. Dadurch steigen die Inzidenzzahlen wieder ein Stück an, wobei ich bei meiner Prognose bleibe, dass es um Ostern herum ?vorbei? ist.

Mit ?vorbei? meine ich, dass wir uns wieder treffen können, die Schutzmaßnahmen beiseitelegen können und mehrere Monate ohne die Last der Pandemie leben können. Hoffentlich tun wir das dann auch, es besteht durchaus die Gefahr, dass wir es verlernt haben, das freie Leben!

Leider ist im Osten ein neues Unwetter aufgezogen, es gibt Krieg. Seit einer knappen Woche versucht der russische Machthaber, dem ukrainischen Staat seine Ansicht der Weltsicht aufzuzwingen. Dazu marschieren nun über hunderttausend Soldaten in das ehemalige Bruderland ein, Panzer, Bomben und Raketen sind an die Stelle von Recht und Vertrauen getreten.

Ob das indirekt Auswirkungen dieser Pandemie sind? Ob die innere Ordnung Russlands durch wirtschaftlichen Abstieg, die Perspektivlosigkeit und Verzweiflung vieler Menschen so bedroht ist, dass die Machthaber nicht zögern, einen völlig irrationalen Krieg vom Zaun zu brechen?
Vorstellen kann ich mir das schon. In der gesamten Geschichte gehören Seuchen und Krieg immer wieder zusammen, mal erst die Seuchen, dann der Krieg, mal umgekehrt.
Hoffentlich haben wir im Laufe dieses Jahres nicht nur die Seuche, sondern auch diese fürchterlichen Entwicklungen auch allmählich wieder überwunden. Das Schlimmste wäre, wenn sich auch dieser Krieg auf immer größere Regionen legte, so wie es die Pandemie gemacht hat.

Als sollte ich davor geschützt werden, nicht zu viel zu phantasieren, kommt das weiße Huhn unserer Nachbarin vorbei und scharrt vor meiner Nase nach Würmern und ähnlich leckeren Gaben des Gartens. Die Vögel machen Lärm und um die Ecke, ja da blickt das Murmeltier ?

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So., 20. Februar 2022
Dr. Lohse berichtet: Die 100. Und 101. Woche der Pandemie in Münsing
Und schon wieder stürmt es, ein Tief jagt das andere. Wo im Norden die See gegen die Gestade peitscht und Wangerooge den Strand entrissen hat, entdecke ich im Süden wieder das nette Wort ?Sturmwichteln?. Der Sturm trägt so manches davon und stellt es dem nächsten in den Garten: Hüte, Planen, alles, was man halt so dringend braucht. Es lohnt ein Gang durch den blankgeblasenen Garten.
Der Omikronwintersturm hat vermutlich seinen Höhepunkt erreicht, viele Menschen sind gerade krank oder genesen, anderen steht ihre Infektion noch bevor. Die Pandemie ist sehr real, omnipräsent. Gestern erst kam eine Mitarbeiterin kurz vor Praxisschluss, um aufgeregt mitzuteilen, dass ihre Tochter, bei der sie tags zuvor eine lange Mittagspause gemacht hatte, nun ebenfalls positiv sei. Trotz Impfung kann diese Mitarbeiter nun angesteckt sein, wenngleich sie vor schwerer Erkrankung geschützt ist. Zwar suchen wir uns in der Praxis durch kontinuierliches Maskentragen vor dieser gegenseitigen Ansteckung zu schützen, aber durch diese Hintertüren kann es uns jederzeit erwischen.
Der Arbeitsalltag ist geprägt von Testungen, Krankschreibungen wegen der Infekte, vielen betreuenden Telefonaten der Erkrankten, es sind lange und erschöpfende Arbeitstage.
In der Rolle als ärztlicher Koordinator kommen unverhoffte neue Themen dazu:
Einige inzwischen auch befreundete Mitstreiter sind nach zwei Jahren vollkommen erschöpft, dünnhäutig und reizbar, wodurch Besprechungen manchmal spannungsreich werden können. Meinem Klosteraufenthalt sei Dank bin ich zwar angestrengt und immer wieder müde, aber psychisch stabil und meist gelassen.
Eine andere neue Rolle ist mir unverhofft durch die Idee der Long-Covid-Studie (COVITÖLZ) zugeflogen. Ich bin Fachmann und Spezialist für Long Covid, so glaubt die mediale Welt. Der bayerische Rundfunk kommt zum Drehen und macht in unserer Praxis mit einer Patientin einen Beitrag für das Fernsehen. Dieser Beitrag ist zwar wirklich nett geworden, aber es ist seltsam, sich und seine Patienten im bayerischen Fernsehen zu entdecken. Die Deutsche Welle aus Berlin bittet um ein Interview. Misstrauisch versuche ich etwas über die beteiligten Personen herauszufinden und entdecke mit Staunen, dass es sich um renommierte Journalisten dieses internationalen Senders handelt und erlebe ein onlinegestütztes Interview. Der Beitrag soll dieser Tage kommen, vermutlich werde ich 5 Sekunden als Fachmann der ersten Front zum Thema Long/Post Covid über die internationalen Bildschirme huschen.
Natürlich sind solche Anfragen Anlass, sich vorzubereiten und die eigene Position zu definieren, also zu überlegen, was ich eigentlich zu sagen habe. Bei dieser inneren Recherche entdecke ich, dass ich im Gegensatz zu vielen Schwarzmalern aktuell ein gnadenloser Optimist in Sachen Pandemie bin. Wo ich vor einem halben Jahr zum Impfen gemahnt hatte (?der Sommer entscheidet über den Winter!?) und allseits als Kassandra belächelt worden war, heben jetzt viele mahnend den Lauterbachschen Zeigefinger und betonen, wie wichtig JETZT die Impfung sei. Kommende Mutationen und weitere furchtbare Wellen stünden uns bevor, schwarze Szenarien werden gemalt, so dass jeder vernunftbegabte Bundesbürger dazu in Opposition gehen muss. Ein weiteres pandemisches Gespenst ist Long Covid, das neue Unheimliche. Kurz zur Definition: Laut den neuesten Leitlinien nennt man ?Long Covid? das Krankheitsbild, wenn Symptome länger als 4 Wochen andauern. ?Post Covid? wird das Ganze genannt, wenn es länger als 12 Monate geht. Hat zwar keine zwingende Logik, wird auch von jedem Fachmann durcheinander gebracht, aber gesagt sein will es einmal.

Zu beiden Gespenstern ? der pandemischen Zukunft und der Post Covid Thematik ? schließe ich mich nicht der überwiegend verbreiteten Fachmeinung an. Ich bleibe bei meinem Optimismus, dass es ab Ostern wirklich bezüglich Pandemie sehr entspannt sein wird. Wir werden in den darauffolgenden Monaten ohne Masken miteinander feiern können ? wenn wir es nicht verlernt haben. Für die nähere Zukunft sind natürlich neue Mutationen zu erwarten, erneut wird der Sommer über die Dramatik des Winters entscheiden, erneut werde ich vergeblich im Sommer zum Impfen aufrufen. Jetzige Impfungen machen nur für die echten Risikogruppen Sinn ? und für Ungeimpfte. Erst im Sommer müssen wir uns erneut wappnen. Aber schrittweise wird es in die Normalität übergehen und wenn jeder mehrfach durch Impfung oder Infektion am Virus trainieren konnte, wird die Bedrohung gering.

Das zweite Gespenst ? Long/Post Covid - trifft manche hart. Auch in meiner Praxis begleite ich Patienten mit dieser hartnäckigen Problematik. Aber es sind niemals die behaupteten zehn Prozent, es ist auch nichts, dass sich Monate nach einer Infektion regelhaft über einen Menschen legt. Der Journalist der deutschen Welle erzählte mir, dass er um die Jahreswende an Corona erkrankte, es ihm zehn Tage nicht gut ging, er dann aber wieder vollständig gesundete. Jetzt lebt er in der realen Angst im Gefolge dieser Erkrankung von einem Post Covid Syndrom befallen zu werden ? nach Ausheilung und Wiedererstarkung. Hier zeigt sich ein fataler Fehler vieler Fachleute: Sehr seltene Einzelfälle werden als Maßstab des Wahrscheinlichen genommen und darum die allgemeine Wahrheit definiert. Es ist aber andersherum. Ich bin sehr gespannt, wie sich die Zahlen unserer COVITÖLZ-Studie entwickeln werden, vielleicht liege ich ja auch falsch?
Bei allem Optimismus darf ich natürlich nicht vergessen, was gerade los ist: Wir sind mitten im Omikronsturm, Inzidenz über 1600 Infizierte / 100 000 Einwohner pro Woche, täglich neue Fälle. Aber der Blick in den Frühling, der ist es, der mich so optimistisch und froh macht.

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