Dienstag, 4. Mai 2021
Mo., 2. Mai 2021
Dr. Lohse berichtet: Die 60. Woche der Pandemie in Münsing 2.Mai 2021
Er ist da, der erste Mai! Trüb, regnerisch und kühl, der Alptraum einer jeden Maimusi, aber gerade recht für den Jäger.
Wo in Spanien und in der Türkei die Hotels leer stehen, da tummeln sich in unseren Breiten die erholungssuchenden Münchner und entdecken das Grün vor den Toren der Stadt neu.

Als Angehöriger des Landvolks beobachte ich dieses bunte Treiben natürlich missmutig-misstrauisch, gebe mir aber immer wieder einen Stups und stelle fest, dass die es genau richtig machen.
Wegfahren ist schon lange schwierig. Es ist nicht nur schwierig, es ist schlicht und ergreifend für Verantwortungsvolle sehr kompliziert geworden: Wie ist das Infektionsgeschehen am Urlaubsziel? Kann ich mich dort ungefährdet von Infektion bewegen, wandern, baden, Essen gehen? Komme ich hin und wieder zurück, muss ich Sperrungen fürchten, fehle ich danach am Arbeitsplatz durch Quarantäne.
Und da gibt es noch Fridays for Future, CO2-Fußabdruck und Nachhaltigkeit.
Was ist da sinnvoller, als im Umland einen Ausflug zu machen, sich zu bewegen, zu wandern, Brotzeit zu machen anstelle vor dem Fernseher, PC oder Smartphone zu sitzen und die Familie zu ärgern.
Also, da haben sie schon recht, die vielen Leute vor unserer Haustüre, auf den Feldern und in den Wäldern.
Aber wenn es dann am ersten Mai regnet und man sitzt alleine mit kaltem Nasenspitzel im menschenleeren Wald, dann ist das schöner, als Scharen von bimmelnden Radlern vor der Büchse zu haben.
Viel Zeit bleibt eh nicht, dann muss ich wieder zurück zum Laptop. Listen pflegen, Leute zur Impfung einladen, Anfragen beantworten?

Meine letzten Anliegen, Erhalt der Impfzentren und uneingeschränkte Staatshaftung für alle aktuellen Impfungen, die haben sich zum Guten entwickelt.

Jetzt ist eine hochdynamische Situation entstanden, viele wittern die Morgendämmerung, Unruhe macht sich immer breiter. Jetzt gilt es, die Ressourcen, also Impfstoff rasch zu verteilen, rasch zu impfen. Die Impfquote müsste sich allmählich über die 25 % in unserem Landkreis bewegen. Die Hausärzte haben in den vergangenen drei Wochen über 7000 Landkreisbürger geimpft.
Seit einer Woche tasten wir uns an das Thema Impfnachmittag heran. Wir impften vorletzten Freitag dreißig Patienten in zwei Stunden. Diesen Freitag wurden es siebzig Patienten in drei Stunden. Für nächste Woche haben wir uns dienstags und mittwochs je 17 Patienten vorgenommen, am Freitag wieder 70. So langsam bekommen wir Routine.
Für mich ein ganz neues Thema ist die Auswahl der Impflinge: Zur Zeit gibt es noch eine Prioritätsreihenfolge, nach der wir unsere Patienten ordnen müssen. Darüber bin ich sehr froh, da es mir die Verantwortung nimmt, wen ich als nächstes impfen kann. Wenn, wie von vielen Politikern gefordert, in 3-4 Wochen die Priorisierung abgeschafft wird, dann gilt ja nur noch das Windhundprinzip: first come, first shot. (Anmerkung: Shot bedeutet nicht ?erschossen?, sondern bedeutet hier ?gespritzt/geimpft?)
Dazu fällt mir sofort wieder ein Beitrag zum Thema ?Impfen in der Hausarztpraxis? des Fernsehmagazins Quer aus der letzten Woche ein (in der Mediathek abrufbar) : Eine Kollegin hatte mich gefragt, ob sie dem Fernsehteam die Möglichkeit des Filmens in der Praxis einräumen solle. Der Beitrag, kurz, knackig und provokant brachte die folgende Botschaft rüber: ?Du musst nur richtig motzen, dann kommst du schon dran?. Ein vollkommen vitaler Sechziger wurde gezeigt, der sich aufregt, dass er trotz Herzinfarkt immer noch nicht geimpft ist. Wie er sich dann ?Reißzwecken an die Ellbogen geklebt hat, um mal richtig Druck zu machen? Dieser Unsympath wurde als Vorbild und Erfolgsmodell inszeniert ? unfassbar. Der einzige Trost war, dass dieser Typ offensichtlich ein Schauspieler war, der wenig Ahnung von sich aufregenden Patienten hat, dass also diese Szenenausschnitte einfach Fake sind. Wenn er zu mir in die Praxis kommt, werde ich vermutlich mit meinem Verlangsamungsreflex reagieren, der mich immer beschleicht, wenn mir beim Autofahren ein Drängler am Kofferraum hängt.

Es wird spannend weitergehen.

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