Mittwoch, 22. Juni 2022
Mo., 6. Juni 2022
Dr. Lohse berichtet: Die 116. Woche der Pandemie in Münsing
Auf meinem Smartphone befrage ich fast täglich das Wettervorhersageprogramm, die hochmoderne App des deutschen Wetterdienstes, interessanterweise ?Warnapp? benannt. Gestern war für heute der meterologische Weltuntergang prophezeit worden, heute soll es ab Mittag regen, es wird eine Vorabinformation als Warnung vor einem schweren Gewitter abgegeben.
Da Corona mir durch meinen eigenen Infekt die Chance gegeben hat, die Garage aufzuräumen, werden wir vielleicht erstmals seit vielen Jahren das Auto dort unterstellen, um zu verhindern dass der sehr diskrete Hagelschaden des letzten Jahres durch neue Hagelkörner verunziert wird.
Die Virologen warnen auch. Lauterbauch auch. Nicht vor Hagelkörnern, sondern vor Viren. Vor Affenpocken, der fünften oder sechsten Welle (ich verliere den Überblick) der Pandemie, vor Influenza. Die Werbung warnt vor Herpes Zoster und ruft zum Schutz durch Impfung auf, die Hautärzte warnen vor der Sonne und seinem Mitbringsel, dem Hautkrebs, die Vitaminologen warnen vor zu wenig Sonne wegen der allzeit präsenten Gefahr des Vitamin D Mangels.
Wenn ich meinen Blick vom Handy hebe, sehe ich oben in den Wolken Westströmung, unten Ostwind ? der Stoff aus dem Wetterwechsel gewoben ist. Im erlebten Alltag erlebe ich täglich Erkrankungen, auch beängstigende Verläufe der Erkrankungen, vor denen gewarnt wird. Aber viel mehr bekümmern mich die Dinge, die mich schon immer bekümmern: Andere schwere Erkrankungen, die auch das Leben zerstören. Sei es multiple Sklerose oder Krebs, eine schwere Depression oder eine Essstörung.
Und dieses Jahr zusätzlich ganz viele Warnkranke. Die Warnungen können nicht mehr so richtig ?abgearbeitet? werden. Wenn Mami warnt, dass es kalt draußen ist, und Handschuhe/Mütze anordnet, dann kommt es auf den Entwicklungsstand an: Ob man einfach wohlerzogen das Angeordnete tut, ob man es pubertätsbedingt erst recht nicht tut oder ob man diese Warnung als Aspekt des aktuellen Zeitgeschehens betrachtet und seine eigenen Folgerungen zieht, also vielleicht Handschuhe einsteckt. Aber Angst kommt nicht auf. Mamis Warnung wird eingeordnet, abgearbeitet und abgehakt ? fertig.
Wenn aber heute Nachmittag der meterologische Weltuntergang anrückt, dann keimt Beklemmung auf, dann hat das Toben der Spatzen auf der Terrasse und die herrlich blühenden Blumen etwas Endzeitliches. Gerade picken Jungspatzen Krümel vor dem Fenster, gleich werden sie von unheimlichen Hagelkörnern erschlagen, die Pfingstrosen werden wie gemulcht aussehen. Nach dem Hagel kommt die Frage, was wir im Sommer machen. Merkur online warnt, dass aufgrund der Mutation BA.5 die Corona-Herbstwelle zur Sommerwelle mutiert und warnt. Ok. Und nun? Absagen, Endzeit? Aus?

Sicher nicht, sondern erst dann, wenn die Gefahr real wird. Warnen sollte uns zur Umsicht gemahnen und uns die Chance geben, Vorkehrungen zu treffen. Die Vorkehrungen werden uns helfen, den einen oder anderen Weltuntergang mehr oder weniger blessiert zu überstehen, wenn sie denn kommen. Aber derzeit prasseln täglich sicherlich eine Handvoll fundamentale Großwarnungen auf uns ein, die komplett unser Verhalten bestimmen würden ? nähmen wir sie komplett für bare Münze.
Jetzt, am 5.6.22 haben wir im Landkreis etwa 1200 aktiv Coronaerkrankte, davon sicher 120 mit beklemmenden Symptomen, sechs sind in Kliniken, eine Person auf einer Intensivstation.
Im Alltagsleben meide ich Großveranstaltungen und halte Abstand. Wir haben Vorkehrungen für den Fall einer Verschlechterung, im Gegensatz zu den Sommern der letzten 2 Jahre wird nicht alles stillgelegt, sondern bleibt in ?Standby?. Die Impfkampagne für den späteren Sommer wird geplant. Diese ?Warnung? habe ich ?abgearbeitet?, die Pandmie macht Arbeit und Erkrankungen, aber sie ist gelebter Alltag geworden.
Und jetzt ist Pause, echte Pause, da brauche ich keinen Alarmismus, sonst werde ich krank.
Und das sind leider viele, beileibe nicht nur wegen der Pandemie. Die allerdings hat die Alarmkrankheit verschlimmert. Wo vor Jahren punktuell Menschen aus ihrem Alarmismus nicht mehr herausfanden und eine Angsterkrankung entwickelten, sehe ich derzeit ganze Teile unseres Landes an der Alarmkrankheit leiden.
So die richtige Mischung zwischen blindem Ausführen von Anweisungen einerseits --pubertärer Auflehnung von allem, was gesagt wird andererseits -- und aufmerksamer Wahrnehmung mit dem Treffen von Vorkehrungen erwachsenerseits ist scheinbar gerade schwierig. Aber vielleicht übertreibe ich maßlos und es sind nur ein paar mehr Angsterkrankte in der Praxis und ich habe zu viel im Handy mit seinen warnenden Informations-Apps gestöbert.
Angesichts aufziehender dunkler Wolken werde ich jetzt die Pfingstrosen und den Rest des Gartens voller Freude und Zuwendung besuchen, die Garage freimachen für das Auto, um dann entspannt den weiteren Verlauf des Tages zu erwarten. Die Störche übrigens lassen sich nun öfters im Landstrich blicken.

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So., 29. Mai 2022
Dr. Lohse berichtet: Die 114. und 115. Woche der Pandemie in Münsing
Münsing hat wieder Störche! Heute abends fahren meine Frau und ich vom Singen in schönen Kirchen wieder nach Hause, dank der Jahreszeit ist es nun lange hell. Zwischen Degerndorf und Attenkam traue ich meinen Augen nicht, spazieren doch glatt zwei Storche froschsuchend über die frisch gemähte Wiese links der Straße, als wüssten sie nicht, dass sie hier seit vielen Jahren eigentlich ausgestorben sind. Vor Jahren hatten wir in Benediktbeuern ein Nest mit Storchen gesehen, aber hier? Die Welt ist voller Überraschungen.
Leider merke ich beim Singen meine jüngst zurückliegende Corona-Infektion doch noch deutlich: Die Stimme ist belegt, die Bronchien noch nicht ganz frei. Überhaupt hängt mir dieser Infekt schon noch etwas mehr als erhofft nach: Die Energie ist geringer als sonst, nach kleiner körperlicher Belastung ist die Kraft weg, ich bin schneller als sonst außer Atem und die Konzentration, sonst eine meiner Stärken, ist gering. Aber von Woche zu Woche scheint es sich zu normalisieren.
Übermorgen stellen wir das gleiche Thema ? Coronainfekt und seine Folgen ? wissenschaftlich der Presse vor: Unsere Studie im Landkreis scheint der volle Erfolg zu werden: Wir schickten im Februar Fragebögen an die bis im November `21 etwa 9200 Erkrankten, um die vielen persönlichen Erfahrungen dieser betroffenen Bürger wissenschaftlich zu erfassen. Die erste Sensation: Etwa 35 % der Angeschriebenen antworteten, womit der ?Response? alle Erwartungen übertrifft. Heraus kommt, dass etwa ein Sechstel, also 15% aller Infizierten unter langen und vielschichtigen Folgestörungen nach ihrer Infektion leiden. Nachdem die Zahl von 50 000 Infizierten im Landkreis bald erreicht sind, reden wir von etwa 7500 Menschen, die in den Bereichen körperliche und psychische Unversehrtheit Einbußen erlitten haben.
Die Daten liegen bei der Studiengruppe in der Uni Rechts der Isar, eine Doktorandin versucht die vielen Antworten zu einer wissenschaftlichen Gesamtarbeit zusammenzufassen. Auf die genauen Details bin ich nun wirklich gespannt. Die Aussagen sind derart fundiert und repräsentativ, dass bereits das deutsche Ärzteblatt Interesse an einer bundesweiten Veröffentlichung angemeldet hat. Wenn ich bedenke, dass dies eine spontane sommerliche Idee bei einer Besprechung im Landratsam war, die nur realisiert werden konnte, weil wir schon lange und gut zusammengearbeitet hatten und Lust auf so eine Untersuchung hatten!
Genauso, wie unser Fest Anfang Juli nur zustande kommen wird, da ein vertrauensvolles Gemeinschaftsgefühl entstanden ist. Zwar fühlen wir uns immer wieder von ?denen da oben?, also von den Bundes- und Landespolitikern verlassen, müssen harten Gegenwind bis Anfeindungen von Coronaleugnern ertragen, aber intern sind wir echt gut zusammengewachsen. Vielleicht auch wegen dieser Widerstände?
Jetzt liegt das zwar alles aufgrund der erfreulich deeskalierenden Entwicklung im Schlummer, wir haben keine regelmäßigen Besprechungen mehr, aber an einem Strang ziehen wir noch immer. Regeneration, Suche des Normalen, einmal zusammen feiern und sich gegenseitig auf die Schultern klopfen. Das tut nun gut und hilft uns. Wir wissen alle nicht, was noch kommt, womit unsere Gesellschaft geprüft wird. Neue schlimme Pandemiewellen, oder Panikmache ohne wirkliches Drama? Wirtschaftskrisen, politische Krisen, ein europaweiter Krieg?
Unruhige Zeiten. Vor diesem Hintergrund ist es erst recht wichtig, zusammen zu feiern, dieser Gemeinschaft auch ein Gesicht zu verleihen.
Und dass Störche unseren Landstrich als zuhause entdecken, das empfinde ich ein sehr hoffnungsvolles Zeichen, in die Zukunft gerichtet.

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