Dienstag, 5. Januar 2021
Di., 5. Januar 2021
Dr. Lohse berichtet:
Irgendwie ist gerade ein Hänger drin. Der Tag heute plätschert so vor sich hin, draußen ist es trübe und bisserl frostig. Die letzten Tage basteln wir an einem Fischweiher, setzen den Zulauf instand, fischen ihn ab, um dann in ein paar Wochen junge Fische einzusetzen. Die letzten großen Saiblinge und Bachforellen (die größte mit 2300 Gramm, kein Fischerlatein!!) würden uns alle kleinen Fischerl als willkommenes Weihnachtsgeschenk einfach wegfressen. Nach den 5-6 großen Fischen kommt ganz zum Schluss noch eine riesige Überraschung: Mitten in dem Forellenweiher hockt ein dicker fetter Aal, ein gieriger Raubfisch. Den wenn wir übersehen hätten ….

Aber trotzdem ist ein Hänger drin, der sich durch viele Schichten zieht:
Im Impfzentrum in Wolfratshausen geht etwas der Frust um, da Schreibtischorganisatoren die Pragmatiker blockieren: Am 22. 12. wird ein neues Aufklärungsblatt mit Einverständniserklärung entworfen, bei der gegenüber der vier Wochen alten Vorversion noch einmal extra auf das nun wirklich hinlänglich bekannte Allergierisiko bei den aktuellen Coronaimpfungen hingewiesen wird. Wenn ich es richtig überschlage, beträgt das Allergierisiko etwa 1:50 000. Das bedeutet, dass bei vollständiger Impfung des Landkreises zwei bis vier allergische Reaktionen zu befürchten wären (bislang nie eine tödlich, da ist eben rasches ärztliches Handeln gefragt).
Am 23.12. ordnete das zuständige bayerische Ministerium an, dass niemand geimpft werden dürfe, der nicht die neue Version unterschrieben habe und schickt diese Anordnung quasi als Weihnachtspost in die Landratsämter, denen gleichzeitig mitgeteilt wurde, dass die Impfungen am 27. 12. beginnen müssen. Im Klartext: Jeder demente Patient, der einen Betreuer/Bevollmächtigten hat, kann nach dieser Anordnung nicht geimpft werden, da dieses Jahr Weihnachten auf den 24. 12. fällt, gefolgt vom 1. Und 2. Weihnachtsfeiertag am 25. Und 26. 12. Der 27. 12. ist ein Sonntag. Wirklich schlecht organisiert, dass Weihnachten aber dieses Jahr ausgerechnet am 24. ist und keiner das vorausahnen konnte. Gleichzeitig sterben gerade fast täglich in eben diesen Altenheimen, die wir impfen wollen würden, Menschen. Wo wir am Ende der ersten Welle monatelang auf elf Covid-Verstorbenen standen, stehen wir jetzt auf 27 Coronatoten, Tendenz rasch steigend. Was hätten da die drei Menschen mit allergischem Geschehen, die daran ja auch nicht sterben, noch ausgemacht? Jetzt bestehen diese Allergierisiken ja weiter, man unterschreibt nun, dass man das weiß.
Ein zweiter dicker Hänger ist die Staatssoftware zum Impfen. Der bayerische Staat möchte alles richtig machen und schreibt eine unausweichliche Softwaredokumentation für jeden Stich vor. Diese Software entstammt – wir sind ja eine führende Nation in Bayern – der Gattung der eierlegenden Wollmilchsauen mit sechs Haxn. Sie funktioniert hinten und vorne schlecht, steigt gerne mal aus und führt zu einer eklatanten Verminderung der Geschwindigkeit – insbesondere beim mobilen Impfen. Neidisch blicken schon viele übers Mittelmeer nach Israel: Dort ist das alleroberste Ziel die schnellstmögliche Impfung. Aus der Ferne betrachtet, scheint es so zu sein, dass ohne Rücksicht auf das Drumrum jeder, der kommt, geimpft wird. Das ist wieder das andere Extrem, das ich auch falsch finde. Es ist schon richtig, die Impfungen gut zu begleiten und zu beobachten, aber diese ewigen Zeitverzögerungen kosten Leben und sind ein sehr frustrierender Sand im Getriebe.
Ich bewundere die Impfteams, die immer wieder losgezogen sind, um allen Widernissen und Problem zum Trotz kämpfen, um zu impfen. Losgezogen sind, aber jetzt:
Jetzt mangelt es an Impfstoff. Der Nachschub stockt. Fast täglich rufen mich Kollegen an, die als Impfärzte registriert sind und nicht abgerufen werden. Das mindert den Schwung, das bremst die Dynamik.
Wie gesagt, gerade hängt es etwas. Aber es ist auch die Zeit der längsten Nächte, des wenigen Lichtes. Wenn ich die Natur betrachte, hängt da gerade auch alles – und ist normal. Vielleicht muss es jetzt etwas hängen, vielleicht ist das unausweichlich.
Aber die Tage werden wieder länger, die Kräfte erwachen wieder und dann ist auch so eine Hängepartie vorüber…

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Freitag, 1. Januar 2021
Fr., 1. Januar 2021
Das seltsamste Jahr ging zu Ende. Jedenfalls das seltsamste seit ich lebe, und das ist ja jetzt doch schon eine Weile. Seinen Höhepunkt fand die Seltsamkeit für uns in der gestrigen Silvesternacht, als wir kurz nach elf auf unserem Weg vom Hof vor zur Weipertshausener Straße gingen: In der halben Stunde, die wir unterwegs waren, fuhr kein einziges Auto vorbei, keine Menschenseele war zu hören oder zu sehen.



Es herrschte absolute Stille. Wären auf den umliegenden Höfen nicht ein paar einzelne Fenster erleuchtet gewesen, so wäre das fahle Licht des nackten Vollmonds auf ein gänzlich unbewohnt wirkendes Land gefallen. Trotz des Bewusstseins, dass die Menschen durch den Lockdown gezwungen in ihren vier Wänden bleiben mussten, stellte sich ein Gefühl ein, das man sonst vielleicht in einer abgeschiedenen Bergwelt oder in der Wüste erlebt: absolute Ruhe und Bewegungslosigkeit, als sei die Welt in Schönheit und Erhabenheit einfach mal stehengeblieben. Vielleicht sollten wir davon etwas hinüberretten in die Zeit, in der wieder alles am Laufen sein wird.
Willkommen im Jahr 2021, in dem hoffentlich alles besser werden wird!

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Sonntag, 27. Dezember 2020
So., 27. Dez. 2020
Dr. Lohse berichtet: Die 42. Woche der Pandemie in Münsing
Vor 32 Jahren feierten meine Frau und ich unsere ersten gemeinsamen zweisamen Weihnachten als frisch verheiratetes Ehepaar. Da hatte ich noch mehr, aber weniger graue Haare als heute. Dafür war ich deutlich schlanker. Jetzt feiern wir unsere zweiten gemeinsamen zweisamen Weihnachten. Unsere drei Töchter, damals noch nicht einmal angedacht, sind nun aus dem Haus und gehen ihren Weg als Ärztinnen. Wäre jetzt nicht die Zeit der Pandemie, vielleicht wäre das Haus voller Gäste. So hat es aber auch etwas Schönes – das Haus ist ja nicht leer, weil die Töchter geflüchtet sind, sondern weil sie auf einem guten eigenen Weg sind.

Der Impfstoff ist da. Morgen wird er zum ersten Mal seinen Weg zu den ersten Patienten finden. Unsere ersten mobilen Impfteams werden nach Bad Tölz und Lenggries fahren und in zwei Seniorenheimen anfangen, die Bewohner durch die Impfungen zu schützen. Nach 21 Tagen kommt dort eine zweite Runde, dann dauert es noch eine Woche und wir dürfen auf guten Schutz hoffen. In der jetzt kommenden Woche wird es dann Schlag auf Schlag weitergehen, die nächsten Lieferungen, nun in Tausenderzahlen sind angekündigt.
Medial tost ein wildes Getümmel. Verantwortungsträger der Regierungen klopfen sich vorsichtig auf die Schultern. Viel lauter aber die kakophonen Nörgler, sei es der oberste FDPler, der sich damals, als es um die Übernahme von Regierungsverantwortung ging, sang- und klanglos davonschlich. Oder die AFDler, von denen einer der Parlamentarier, der stets ohne Mundschutz posierte, auf einer Intensivstation nach Atem ringt. Was hätten sie nicht alles besser gemacht, was läuft nicht alles falsch… Gestern stöberte ich etwas im Internet, da ich mal wissen wollte, was die aktuellen alternativen Fakten zu bieten haben. Staunend las ich, dass es die spanische Grippe eigentlich gar nicht gegeben habe, sondern dieses hunderttausendfache Sterben vor 100 Jahren auf giftigen Impfungen beruht habe. Dass die Existenz des Poliovirus nie bewiesen wurde. Und dass die nun kommende Impfung Frauen unfruchtbar mache.
Davon unbeeindruckt fahren morgen die ersten Teams nach Bad Tölz, Gott sei Dank.

Was hat es nicht für unglaubliche Vorarbeiten gebraucht: Seit Anfang diesen Jahres wird an allen Ecken der Weltkugel gesucht und geforscht. Tausende entwickeln und tüfteln, diskutieren, beobachten und experimentieren. Seit Mai haben zehntausende den Mut und stellen sich als Probanden für die verschiedenen Impfungen zur Verfügung (kleine Anekdote am Rande: Putin ließ seine Tochter Katerina Tichonowa Mitte August mit dem russischen Phase 3 Impfkandidaten medienwirksam zu impfen, jetzt erwägt er, drei Monate und viele 10.000 Russen später, sich selber impfen zu lassen – das ist echter Männermut!).
Seit vielen Wochen bauen rund um die Welt Hunderttausende die Logistik zur Verteilung des Impfstoffes auf, damit ab jetzt erst Millionen, vielleicht Milliarden Menschen geimpft werden können.
Aber noch sind wir nicht so weit, ich wollte nur kurz innehalten, um am Weg zurück und dann wieder nach vorne zu blicken.

Die Herausforderung nun ist, dass kein einziger Impfstoff verfällt. Wir haben eine klare Priorisierung, das heißt, zuerst werden die am höchsten von tödlichen Komplikationen bedrohten Menschen geimpft – und die, die sie versorgen (Altenheime und deren Mitarbeiter). Ganz dicht dahinter sind Kliniken, dort insbesondere die Intensivstationen und Notaufnahmen dran. Da aber Lücken zu befürchten sind, d.h. dass geplante Impfungen nicht stattfinden, besteht die Gefahr, dass Impfstoff, der nach der Lieferung nur vier Tage lang haltbar ist, verfällt. Dazu bilden wir nun kleinere rasch abrufbare „Reservekontingente“ mit Kandidaten hoher Priorität. Rettungsdienste, Arztpraxen mit vielen Covid-19 Patienten und die Polizei stellen solche Reservekontingente dar, die für „Restimpfungen“ einberufen werden können. Wenn sich die erste Phase dann gegen Ende neigt (mitsamt ihrer 2. Runde nach 21 Tagen), dann wird wohl auch die staatliche Software so weit sein, dass sich jedermann im Internet unter Angabe seiner Priorisierungsdaten um einen Impftermin bewerben kann. Streng nach Landkreis zugeordnet und nach der Priorisierungsreihenfolge gestaffelt.

Beim Blick nach vorne bin ich wirklich wirklich gespannt, wie viele Menschen sich impfen lassen wollen. Man kann sich ja nicht so ein bisschen impfen lassen. Es geht auch nicht so nebenbei oder aus Versehen. Es ist eine bewusste Entscheidung. Es ist eine Konfrontation mit der Realität. Und es ist eine Frage des Vertrauens, Vertrauen in die bisherigen Untersuchungen und in die Zukunft. Für mich ist es auch ein klares Bekenntnis zu meiner eigenen Authentizität, zur Ernsthaftigkeit dessen, was ich wissenschaftlich denke, ärztlich spreche und tue. Natürlich werde ich mich impfen lassen, sobald es möglich ist und ich an der Reihe bin. Vordrängeln und jemandem Schutzbedürftigen die Impfung wegnehmen werde ich mich nicht – aber bisserl hoffen, als Reservekontingent bald dran zu kommen, tu ich schon.

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