Mittwoch, 17. Februar 2021
Mi., 17. Februar 2021
Nur ned hudeln! Jedes Mal, wenn ich morgens in den Spiegel schaue, bin ich ganz stark dafür, dass die Friseure möglichst schnell wieder öffnen, und wenn ich beim Krümel einkaufe und die verwaisten Stehtische sehe, dann packt mich die Wehmut, und ich hoffe darauf, bald mal wieder mit irgendeinem Sepp oder Ernst einen Kaffee trinken und unglaublich wichtige Dinge besprechen zu können. Wenn dann aber in den Nachrichten kommt, dass über 200 Mitarbeiter einer Steckerleisfabrück in Osnabrik in Corona-Quarantäne mussten, dann frage ich mich nicht nur, was mit den möglicherweise kontaminierten Speiseeisbergen passiert (das Virus mag’s ja angeblich kalt!), sondern meine Wiederöffnungsphantasien wandeln sich schnell wieder in das Gefühl, man solle lieber noch damit warten.
Wir – also unser Verlag – haben seit Beginn des erneuten Lockdowns kein einziges Buch mehr an an eine Buchhandlung verkauft, und da kann ich mich schon mal aufregen. Aber wenn ich die Bilder vom verzweifelten Kampf auf den Intensivstationen sehe, werde ich ganz kleinlaut und demütig und halte es mit unser aller Kanzlerin,



wie sie es in einem ganz besonderen Video empfiehlt.

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Sonntag, 7. Februar 2021
So., 7. Februar 2021
Dr. Lohse berichtet: Die 48.Woche der Pandemie in Münsing
Aus der Sahara bläst es den roten Sand, vom Atlantik aus den Schnee und von Skandinavien her wird es kalt. Nichts ist so, wie es damals in der guten alten Zeit war – die Meldungen überschlagen sich. Und was da aus aller Herren Länder von Mutationen daher kommt, da möchte man ja weglaufen. Besser, ich klappe die Zeitung zu, und füttere nun erst einmal die Vögel. Mit kalten Fingern und roter Nasenspitze kehre ich ummantelt von frischer lebendiger Luft, ganz ohne Wüstensand wieder in die warme Küche zurück. Eier, das ist das Gebot der Stunde. Wenn schon der netten Nachbarin sorgsam gehegte Hühner in unserem Garten scharren (es sind nur zwei), dann soll doch ein Sonntagsei den Tag einleiten. Dazu eine schöne Musik, steht nur noch die Frage im Raum, ob das Brot getoastet werden möchte oder nicht ….

Diese Ruhe, das Bewusste herausnehmen aus dem Trommelfeuer der Informationen, das hilft. Nun beim Kaffee den Vögeln zusehen, relativiert die Schneewinterdramatik im Norden, mir fallen wieder Bilder meiner Kindheit ein, als Panzer der Bundeswehr im Schneechaos halfen, als Hubschrauber versuchten, den Schnee von den Baumwipfeln zu schütteln. Bilder der ersten „eisernen Lungen“ erinnern an die schrecklichen Polioepidemien meiner Urgroßeltern. Alle Zeiten hatten ihre Dramen, ihre Herausforderungen, das möchte ich nicht relativieren. Diese Zeiten konnten überwunden werden, forderten tragische Opfer, aber standen dann eines Tages in den Geschichtsbüchern.

Die äußere Lage um uns herum scheint sich zu beruhigen, die Infektionszahlen sinken, in den Kliniken sinkt die maximale Anspannung, auf den Intensivstationen werden weniger verzweifelte Kämpfe geführt. Aber viele Personen mit denen ich seit vielen Monaten zusammenarbeite und versuche die Folgen der Pandemie zu bekämpfen, sind erschöpft und brauchen Erholung. Der Aufbau der Impfzentren, der Impflogistik, die Aufholjagd dessen, was unsere Landespolitik im Sommer verschlafen hat, kostet Kraft und verschleißt Menschen. Mit Sorge sehe ich, dass Mitstreiter und Freunde ausbrennen. Diese Erschöpfung trifft auf Ungeduld. Ungeduld derer, die „endlich“ wieder am Leben teilnehmen wollen, die weniger Angst haben wollen, die das Kapitel SarsCov19 abhaken und in die persönlichen Geschichtsbücher verbannen wollen.
Als koordinierender Arzt im Landkreis bin ich mit anderen zuständig für das Impfzentrum und die Impfreihenfolge. Hier bin ich, wie die Verantwortlichen im Impfzentrum und im Landkreis, konfrontiert mit wöchentlich neuen Regeln. Mit neuen Schwerpunkten der Politik, die Zahlen fordert, dabei jedoch Erschwernisse und Vorschriften, aber nur wenig Impfstoff liefert. Wir sind konfrontiert mit vielen Bürgern, die voll der Überzeugung sind, dass sie dies und jenes Recht, auf jeden Fall mehr Recht als der andere haben. Das Gesellschaftsexperiment der Priorisierung ohne Rücksicht auf Stand, Herkunft oder Reichtum erfordert Härte – Härte gegen Begehrlichkeiten der Nimmersatten, aber auch Härte gegen wirklich bedauernswerte Menschen, die einfach noch nicht geimpft werden können und doch so dringend Schutz bedürften.
In diesem Umfeld, in dem erschöpfte Protagonisten auf vollmundige Politikerversprechen und eine ungeduldige Bevölkerung treffen, wird die Gefahr von Spaltung und Scheitern immer größer. In vielen Landkreisen beginnen Schuldzuweisungen, gegenseitiges Beobachten und Rechten – nicht wenige fallen mit Burnout oder Frust aus.
Nachdem es mir persönlich gut geht und meine Kraftquellen munter sprudeln, bin ich zwar oft angespannt und gelegentlich müde, habe aber nicht das Gefühl, kaputt zu gehen. Allabendlich nach der Arbeit in der Praxis sitze ich noch einige Zeit, oft mehrere Stunden und beantworte Mails, versuche den Ball flach zu halten und zu koordinieren. Ich kann nicht die Entscheidungen anderer treffen, aber ich kann versuchen, die Emotionen zu entspannen, die Müden ermutigen, eine Pause zu machen, die Müßigen anschieben und die Ungeduldigen zu besänftigen. Viele kleine undramatische Schritte, in der Summe ein langer wichtiger Weg.
Aber ich bin im Ganzen mit unserem Teil des Werkes recht zufrieden, wir kommen voran, wir können immer wieder Initiative entwickeln anstatt nur zu reagieren.
Angenommen wir hätten eine nicht realistische Fehlerquote von nur 1 % falsch gegebener Impfungen (an die „falschen“ Personen wohlgemerkt), dann hätten wir wohl schon 30-40 Fehler gemacht. Was wollen wir nun beurteilen? Die 99% Richtigen oder die 40 Falschen? Halb volles Glas oder halb leeres Glas?

Was bin ich froh, sonntags die Vögel füttern zu können, in die warme Küche zu gehen und dies auch alles wirklich zu fühlen und zu leben. Das hält mich in der Balance, das hilft mir, weiterhin mit Gläsern zu jonglieren, seien sie voll, leer oder halb.

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Mittwoch, 3. Februar 2021
Mi., 3. Februar 2021
Dr. Lohse berichtet: Die 47. Woche der Pandemie in Münsing
Heute, am ersten Februar kommt tatsächlich der erste Star daher! Wichtig plustert er sich unterm Vogelhäusl, zwitschert und flattert, als gehöre er dahin. Zwar macht eine Schwalbe noch keinen Frühling, aber ein Star? Auf jeden Fall möchte er mir klar machen, dass die Sonne ihren Tiefpunkt durchschritten hat und sogar dieses Jahr wieder ein Frühling kommen wird. Hoffentlich kommt er nun öfters vorbei, auch wenn er etwas deplaziert wirkt, in seinem prächtigen Gewand. Ob Stare wohl Weintrauben mögen? Ich muss unbedingt welche organisieren, damit der arme Kerl nicht verhungert, wobei mir gleich wieder einfällt, dass ich die Weinstöcke noch schneiden muss, bevor es warm wird.

Mein Arm tut von der Impfung nicht mehr weh, krank bin ich auch nicht geworden, eigentlich geht es mir nach der Impfung so wie vor der Impfung.
In Ärztekreisen diskutieren wir viel um tatsächliche und behauptete Nebenwirkungen der Coronaimpfungen. Unmittelbar bekomme ich es von den Patienten aus dem Landkreis mit, außerdem von unseren Töchtern, die alle in der Akutmedizin arbeiten und in den Kliniken schon geimpft wurden. Fakt eins ist, der Arm tut fast immer ein bis drei Tage bisserl weh, bei mir persönlich viel geringer als bei der Tetanusimpfung. Fakt zwei ist, dass man in unterschiedlichem Maße den Körper reagieren spürt. Leichte grippale Symptome, bei mir persönlich leichtes Halskratzen für zwei Tage, bei einer unserer Töchter etwas heftiger. Darüber hinaus habe ich noch nichts Gravierenderes festgestellt. Auch bei den vielen Geimpften des Landkreises gibt es nichts, was über eine „normale“ Impfung hinausgeht. Bei der Wirkung bin ich mit Einschätzungen noch vorsichtig. In einem Heim im Landkreis erleben wir aktuell einen „Hotspot“, das bedeutet, dass dort viele Bewohner und Mitarbeiter erkrankt sind. Dort war die erste Impfung bereits gegeben worden, die Infektwelle tritt nun, kurz vor der geplanten zweiten Impfung auf. Diese erste Impfung hatte keine schützende Wirkung. Allerdings wird ja auch in den Untersuchungen darauf hingewiesen, dass ein guter Schutz erst eine Woche nach der zweiten Impfung eintritt.
Bei den behaupteten Nebenwirkungen ist die folgenreichste Falschbehauptung die, dass die Coronaimpfung die Fruchtbarkeit junger Frauen verschlechtere. Viel im Kollegenkreis diskutiert, steht die einhellige Meinung, dass dies eine absolut nicht haltbare Falschbehauptung ist. Und doch ist dies für viele Krankenschwestern und Arzthelferinnen ein heimlicher Grund, sich nicht impfen lassen zu wollen. Nun weiß man inzwischen, dass weder die Infektion mit Corona noch die Impfung dem ungeborenen Kind einen Schaden anhaben. Die Schwangere allerdings, die werdende Mutter, ist durch eine Coronainfektion mehr in Gefahr, das hat man in der ersten Welle gelernt. Fachgesellschaften raten inzwischen, sich bei Kinderwunsch impfen zu lassen, da ein Infekt während der Schwangerschaft wie gesagt gefährlich sein könnte. Eine interessante Empfehlung, allerdings gibt es eh keinen Impfstoff.

Ich freue mich auf meine zweite Impfung und hoffe auf erneut geringe Nebenwirkungen. Wenn meine zweite Impfung kommt, dann fängt auch schon wieder die Fastenzeit an – und nach der Fastenzeit der Frühling! Das mit den Weintrauben für den Star muss ich mir doch noch einmal durch den Kopf gehen lassen: Wenn ich den Kerl, so sympathisch er ist, jetzt mit Weintrauben anfixe und er kommt auf den Geschmack, dann futtert er mir im Herbst die Trauben vom Weinstock. Und mir bleibt nichts für den nächsten Rotwein. Schwere Entscheidungen…

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