Mittwoch, 7. April 2021
Mi., 7. April 2021
Dr. Lohse berichtet: Die 56. Woche der Pandemie in Münsing
In einer Pandemie ist ja wirklich nichts vorhersehbar. Heute in der Früh klares ruhiges Wetter, standesgemäß für einen Ostermontag. Nachdem meine Frau und ich gemeinsam mit einem anderen Ehepaar Quartett singen, war der Ostersonntag mit Singen gefüllt, da in den Kirchen der Gesang durch die Gemeinde nicht erlaubt ist. Da standen wir im Kloster Schäftlarn oben auf der Empore und füllten diese wunderschöne Kirche mit unseren Stimmen. Heute nun Ausschlafen, Osterfrühstück und dann mittags das Osterlamm ? gestern wäre es hektisch geworden.
Der ruhige Ostermontagshimmel, der noch so weiß-blau gelächelt hat, mutiert zum düsteren grauen Gewölk, aus dem es mit vollen Backen bläst. Mein Vogelhäuserl, frisch gefüllt mit lecker Futter hebt vom Unterbau ab und hat sich zur großen Freude der verblasenen Stare glatt auf der Wiese niedergelassen. Sturm, Getöse, in der Nacht soll es schneien.

Genauso unberechenbar läuft es auch im Land. Aus dem Impf-Chaos erwächst nun mit immer klareren Konturen eine zweite Säule: Die dezentrale Coronaimpfung bei den niedergelassenen Ärzten. Zwar stocken die Impfstofflieferungen immer noch und sind nicht recht im Fluss (vorgestern mussten unsere Impfzentren einen ganzen Tag zumachen, weil aller Impfstoff schon wieder verimpft war), aber wir leben ja im Jahr der hoffnungsvollen Ankündigung.
Da Mitte April bei Marburg/Lahn ein großes Werk von Biotech/Pfizer in Betrieb geht, wird ab diesem Zeitpunkt mit einer Verdoppelung, ja sogar einer Verdreifachung der mRNA-Impfstoffmengen für Deutschland gerechnet.
Im Landkreis habe ich eine Google-Group der impfinteressierten Ärzte gegründet, die inzwischen 115 Mitglieder umfasst. Hier verteile ich Fakten, notwendiges Wissen, rechtliche Hintergründe und ermutige die Kolleginnen und Kollegen, nun voll einzusteigen. Im Landkreis-haben wir in der Hoffnung auf die dezentralen Impfungen schon vielfache Vorarbeiten geleistet. Allerdings lief das in Verschwiegenheit ab, da die Politiker schon genug Unruhe stiften und himmelhohe Erwartungen wecken, die immer wieder enttäuscht werden.
Leider ist das mit der zweiten Säule des Impfens für die Bürger etwas unübersichtlich: Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten, an eine Impfung heranzukommen: Über eine Anmeldung online, um dann im Impfzentrum geimpft zu werden. Oder durch eine direkte Anmeldung bei dem eigenen Hausarzt.
Es ist ein gutes Gefühl, einen Schritt vorwärtszukommen. Das Impfen der eigenen Patienten ist nun nicht mehr das abstrakte Organisieren der Abläufe in den Impfzentren, was ich zwar ganz gut kann und was mir liegt. Wenn ich den Patienten aber schon lange kenne und betreue, dann wird die Arbeit wieder viel konkreter und fassbar. So ein echter Pieks hat schon was.
Heute bereite ich mir noch eine kleine Osterfreude: Ich markiere mir auf einer Karte des Landkreises alle Praxen, die ab übermorgen impfen werden. Es werden täglich mehr. Lauter kleine Impfspots, keine Hotspots. Hoffnung keimt auf.
Das ist ein schöner Kontrast zum Ende der vergangenen Woche: Wir testen ja aus allen Rohren, Schnelltests und PCR. Bei einer Patientin in der Praxisteststunde spricht der Schnelltest an, eindeutig positiv. Mist. Die Familie wird einberufen, alle werden sofort getestet. Von der fünfköpfigen Familie ist ein Mitglied berufsbedingt schon geimpft. Es sind tatsächlich alle nicht geimpften Familienmitglieder positiv, teilweise krank. Der Geimpfte, mitten drin in der Familie ist negativ. Toll! Für Gründonnerstag und Ostersamstag ist dann eine Stunde früher Aufstehen angesagt, da einer der Positiven in einem kleinen Betrieb arbeitet, bei denen alle Mitarbeiter vor der Arbeit, also bevor sie zusammen kommen, getestet werden. Bislang alle negativ ? Gott sei Dank.
Der Unterschied zum letzten Ostern ist riesig: Letztes Jahr saßen wir im harten Lockdown, keine Gottesdienste, eine gewisse Hilflosigkeit. Heute, trotz unerfreulicher Mutationen: Ein bisschen Lockdäunchen, Gottesdienste in speziellem Rahmen, schnelle Reaktion durch Tests und Erfahrung, wieder mehr Leben.
Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht, wir haben Vorzeichen für positive und negative Entwicklungen.
Draußen vor der Türe hat der Sturm nachgelassen, aber kälter ist`s und Schnee soll kommen. Frohe Ostern!

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Dienstag, 6. April 2021
Di., 6. April 2021
Bridge over Troubled Water? NRW-Luschi schlägt also nun einen "Brücken-Lockdown" vor, und vielleicht hat er dabei ja an diesen Song aus seiner Jugend gedacht, als ihm das über Ostern einfiel.
Der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes wies jedenfalls schon mal vorsorglich darauf hin, dass es beim Bau einer Brücke gut wäre, wenn man das andere Ufer sehen und dadurch auch deren Länge einschätzen könne. Eigentlich waren doch alle bisherigen Lockdowns dazu gedacht, irgendwann das rettende Ufer zu erreichen, was also ist anders an einem Brückenlockdown? Wird der dann nach drei Wochen wieder aufgehoben, egal wie die Zahlen sind? Oder gibt es dann nach Bedarf ein neues Brückerl?
Jetzt sei absehbar, "dass schon in ganz kurzer Zeit 20 Prozent, danach 30, 40 Prozent der deutschen Bevölkerung geimpft sind", sagte der CDU-Chef. Das klingt zumindest von der numerischen Reihenfolge her durchaus logisch, aber was heißt "ganz kurze Zeit"?
Dass Bundesinnenminister Seehofer sich nicht mit dem Impfstoff von Astrazeneca impfen lassen will und damit dem Impfstoff erneut das erwünschte Vertrauen der Impflinge entzieht, lässt das rettende Ufer wieder ein Stück zurückweichen.
Über lange Zeit, mittlerweile gut ein Jahr lang, fand ich das Krisenmanagement durch die uns Regierenden vernünftig, ja sogar alternativlos und unterstützenswert, aber seit dieser peinlichen Nachtsitzung, die damit endete, den Gründonnerstag zum Feiertag zu erklären, kann ich verstehen, warum der IFO-Vorsitzende Fuest das Vorgehen der Regierung als "planlos" bezeichnet.
Die öffentliche Diskussion vermittelt mehr und mehr den Anschein, als ob führende Politiker die Virologen, Epidemiologen und andere Experten zunehmend als pessimistische Störenfriede und Spielverderber empfinden, und lieber freihändig aus der persönlichen Einschätzung heraus agieren. So, wie es auch Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Institut formuliert hat: "Die Politik wartet erstmal ab, ob unsere Prognosen auch tatsächlich eintreffen."
Leider ist es dann meistens zu spät.

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Montag, 29. März 2021
Mo., 29. März 2021
Dr. Lohse berichtet: Die 55. Woche der Pandemie in Münsing
Endlich scheint sich der Frühling gegen den Winter durchzusetzen. Zwar frostet es nachts noch, aber die morgentliche Luft und die Kraft der Sonne signalisieren die nahende warme Jahreszeit. Ich mache mich jetzt auf zu dem etwas längeren Fußweg zur Kirche nach Holzhausen, heute ist Palmsonntag. Die beste aller Ehefrauen ist schon unterwegs die kirchliche Außenveranstaltung vorzubereiten: Wegen der Kontaktbeschränkungen kann ein Gottesdienst mit nennenswerten Besucherzahlen nicht in der Kirche stattfinden, sondern man sammelt sich zu Außengottesdiensten.

Auf dem Weg riecht es nach Frühling, die Staren plustern, zwitschern und versuchen, die Holde von den Vorzügen der gefundenen Unterkunft zu überzeugen. Neu auf dem Weg ist das markante Knarzschnarren der Elstern, die erstmal mir bekannt hier nisten. Schwer beladen schleppen sie an der Grenze der Flugtauglichkeit Aststücke Richtung Nest.
Es geht mir beim Weitergehen die heutige Kolumne des SZ-Schreibers H. P. durch den Kopf, der den Ausfall von Ostern beklagte, klagt, dass dieses Jahr alles nichts sei.
Die Überschrift ?die gefährliche Lust am katastrophischen Denken? hat mich neugierig gemacht auf seinen Artikel, der auch mit ?grassierende Schwarzseherei führt zu Depression und Aggression? überschrieben ist. Er zitiert Goethes Gedicht Osterspaziergang, das mit der Zeile ?vom Eise befreit? beginnt, das von ?erwachendem Leben, bunten Getümmel in der Natur und von grünendem Hoffnungsglück? schwärmt. Und dann schmiert er ab in ?Es ist dies ein Gefühl, das sich an Ostern 2021 nicht einstellen mag. Der Lockdown sei wie ein immerwährender Winter?. Leider versinkt dieser Artikel immer tiefer in diesem Sumpf der Schwarzmalerei, den er doch so beklagt, aber selber immer tiefer gräbt.
In der Ferne übt jemand Flöte ? oder Klarinette? Zwischen den Vogeltiraden, die im freien Feld leiser werden, trägt ein Hauch leise Töne eines Melodiefragments heran, das noch geübt werden möchte. Aus dem nahenden Wald vor Holzhausen trommelt der Specht, Nachbarn aus dem Dorf kommen entgegen, freuen sich am Sonnenschein, ein kurzer Ratsch. Weiter durch eine Waldengstelle, voll mit Märzenbechern, Anemonen und scharrenden Amseln, oben in den Wipfeln blühende Weidenkatzerl.
Ob der Zeitungsschreiber immer noch am Bildschirm sitzt und den Lockdown beklagt? Seine Jammerei schiebt sich immer wieder in meine Wahrnehmung, macht mich kurz etwas zornig, dann aber mitleidig. Ob er blind ist für den Inhalt von Goethes Gedicht, das Leben nicht mehr wahrnehmen kann?
Nicht, dass ich Goethe besonders mag, aber einen guten Blick hat er schon gehabt, für die Natur und das Besondere. Inmitten einer Zeit, die wir heute gar nicht ertragen könnten, mit viel Krankheit, Tod und Kriegen, wenig Urlaub und keiner Sozialversicherung.
Die Blumenwiese rechts am Hang, liebevoll bepflanzt, reißt mich aus diesem Brummeldenken, Bienen kreisen schon am frühen Morgen.
Halb zehn, die Kirchenglocken rufen, mir wird vom flotten Gehen warm.
Der Gottesdienst findet, schön umgeben mit Blumengestecken, am alten Schulhaus in Holzhausen statt. Der Altar ist im Treppenbogen vor dem Hauseingang aufgestellt, als wäre dieser Ort dafür geschaffen. Der Boden ist mit Kreide in Abstandsflächen eingeteilt, jeder kennt jeden, mehr Besucher als sonst, aber alle in entspanntem Abstand, lächelnd hinter der Maske. Der Pfarrer macht es trotz nahendem Ostern pandemisch kurz, predigt zur Frage nach dem Wesentlichen. Nicht die kunsthistorisch bedeutsame Kirche, nicht die Pracht, sondern das Syn. (griechsich für zusammen/gemeinsam) ist wesentllich. Ein Brixener Bischof habe diese drei Buchstaben als Leitspruch gewählt. Das Zusammen, das Gemeinsame. Auch in diesen Zeiten viel Bedrohung, Kriege, Pest und Cholera.
In Gottesdiensten träume ich manchmal vor mich hin, besonders, wenn die Sonne so schön scheint. Mir fällt noch das ?carpe diem? (lateinisch: ?pflücke den Tag?) aus dem auch nicht unbekümmerten Rom vor zweitausend Jahren ein. Nimm ihn wahr, nimm ihn an, nimm ihn auf den Tag.
Bevor ich nun ganz ins Träumen komme, ruft mich die kleine Gruppe der Bläser zur Ordnung, die den Gottesdienst aus gebührendem Abstand musikalisch begleitet. Die ante Pandemie -Truppe war fehlerfrei, perfekt und professionell. Jetzt, nach einem Jahr Pandemie haut es nicht perfekt hin, sie bringen ihre Stückerl durcheinander. Ein wirklich perfekter Gottesdienst, ich freue mich bis ins Tiefste. Keiner zeigt Perfektion, wir stehen in der Sonne, spüren das Syn.
Und erlauben uns, den Tag zu pflücken, trotz Pandemie, trotz dräuender Mutationen, trotz trotz trotz.
Lieber Herr H. P., ich lade Sie ein zu einem Spaziergang. Und wenn es schneit zeige ich Ihnen die Faszination der Eiskristalle und die tiefere Bedeutung einer kalten Nase. Aber vielleicht übt in der Ferne auch wieder jemand Flöte.

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