Freitag, 8. Oktober 2021
Fr., 8. Oktober 2021
Dr. Lohse berichtet: Die 81.Woche der Pandemie in Münsing
Freitag, später Mittag, eine schwere Woche mit leider vielen schwer kranken Patienten neigt sich. Herbstzeit, Krankheitszeit, mehrere neue Krebserkrankungen innerhalb kurzer Zeit neu zu diagnostizieren, so ganz ohne Spuren geht das an mir nicht vorüber.
Heimweg, das Handy klingelt, aufgeregtes Stimmgewirr ?mir brauchen an Jaga, da san Wuidsäu im Mais?. 10 Minuten später stehe ich (noch in Praxisklamotten) am Mais, der gerade gehäckselt wird und erlege zur Freude des Besitzers (und zu meiner eigenen großen Freude) eines der vier Wildschweine, die sich dort den Wildschweinranzen vollgeschlagen hatten. Wildschweinbraten, Gulasch, gegrilltes Schwein ? ich kann Obelix so gut verstehen.

Pandemisch geht alles seinen gesetzten Gang: Nachdem die STIKO eine Empfehlung zur Auffrischungsimpfung für immunschwache Senioren ausgesprochen hat und die Impfzentren auf geringes Ausmaß zurückgebaut werden, kommt das Thema Coronaimpfung zurück in die Praxen. Grippeimpfungen sind auch schon angelaufen, wir durchschreiten gerade eine erste Erkältungswelle.
Wo die medizinischen Impfungen friedlich per Pieks in den Oberarm in den Praxen vonstatten gehen, kommen auch die ?Wildimpfungen? gut voran: Heute findet wieder eine als ?Containerparty? getarnte Wildimpfaktion in lächerlicher Heimlichkeit in der Gemeinde statt. Mit großen Engagement und viel Alkohol erkämpft die Jugend einen der vorderen Ränge im Infektionsranking für unsere Kommune, unterstützt von den Eltern der unermüdlichen Helden. Erfreulich für die Wildimpfung ist eine neue Erkenntnis eine Studie: Für den hohen Preis der Gefährdung bekommt man doch einen guten Immunschutz: Nach einer Infektion scheint der Schutz länger zu halten, es wird nun über die Dauer von einem Jahr diskutiert.
So liegt der Fortschritt der Immunisierung durch eine medizinische Impfung bei 53.683.000 Bürgern und durch Wildimpfung mindestens 4.238.000 (+Dunkelziffer), also insgesamt knapp 58 Millionen. Durch die Nebenwirkungen der Infektion müssen pro Woche etwa 1320 Menschen mit Atemnot neu in eine Klinik. Ich hatte vor längerem gehofft, dass wir einen ruhigen Herbst und Winter erreichen könnten. Danach sieht es jetzt leider nicht aus, da ich die Bereitschaft zur Schutzimpfung überschätzt hatte.
Die Pandemie hat so allmählich ihren festen Platz in der Gesellschaft erreicht. Fast jeder Bürger hat seinen Weg, seine Position gefunden, die einen zahlen einen hohen gesundheitlichen Preis, die anderen können ihr Leben wieder fast vollständig entfalten. Hier liegt das weiterhin noch sehr Problematische: Es zahlen immer noch viele einen sehr hohen Preis für das ichbezogene Verhalten anderer Helden. Aber die Schulen laufen wieder, das gesellschaftliche Leben kommt wieder in Gang. Sogar Volksfeste sind gerade wieder von der bayerischen Staatsregierung gestattet ? was ich allerdings mehr als skeptisch sehe und sicher nicht nutzen werde. Es findet sich ein labiles Gleichgewicht ein. Dieses Gleichgewicht wird natürlich demnächst für eine weitere Runde mit hohen Infektionszahlen kippen, aber im Frühling wird es in ein dann wirklich stabileres Gleichgewicht übergehen ? hoffentlich.

Vor einiger Zeit sprach die beste aller Ehefrauen ?wenn das mal etwas nachlässt, dann schicken wir dich auch Kur?. Reflexmäßig antwortet natürlich der solchermaßen Angesprochene ?Quatsch?, bedenkt diese Worte aber bei sich und entgegnet am nächsten Tag ?vielleicht hast du recht?. Nach Besprechung mit den Kolleginnen, die in meiner Abwesenheit die Praxis mit reduziertem Personaleinsatz stemmen müssen, geht es auf die Suche. Eine normale Kur, eine Schrothkur, etwas Fernöstliches? Für alles finde ich Gegenargumente, bis ich eine Freundin zu den Möglichkeiten einer Einkehrzeit in einem Kloster befrage. So steht der Entschluss, dass ich im November für drei Wochen auf eine Einkehrzeit gehen werde. Die Pandemie wird auch ohne mich klarkommen.
Nachdem nun auch noch die Wildschweine aus dem Revier vertrieben sind und die Tiefkühltruhe gut gefüllt ist, steht einer solchen Aktion nichts mehr im Wege.


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Dr. Lohse berichtet: Die 80.Woche der Pandemie in Münsing
Die Natur beschert uns eine wunderschöne spätsommerliche Woche, ein Gewitter vor der Türe läutet gerade den Herbst ein. Nebenher läuft im Augenblick der Fernseher mit der ?Berliner Runde? nach der Wahl. Da sitzen die führenden Köpfe der Parteien vor zwei Moderatoren zusammen und sollen substantiiert antworten, was nun kommt. Ein interessanter Persönlichkeitstest, aber politischer Unfug.

In der Praxis ist ein neuer Alltag eingekehrt, der Herbst bringt Erkältungen, im Holzhauser Kindergarten grassiert ein Virus mit Namen RS-Virus. Macht krank, steckt rasch an, ist von den Symptomen her nicht von einer Covid-19 Infektion zu unterscheiden. Dieses Infektionsgeschehen wird begleitet von einer bislang nicht dagewesenen Anzahl von ernsthaften Covid-19 Erkrankungen, die wir zuhause betreuen. Diese vergangene Woche hat es in unserem Praxisumfeld drei Familien mit insgesamt neun Personen getroffen. Alle zusammen wohnenden Personen, also alle Familien infizierten sich komplett. Die Kinder stecken es gut weg, die Eltern von Anfang dreißig bis Mitte fünfzig erwischt es, je nach Impfstatus schlimm oder weniger schlimm.
Drei der neun Personen (alle nicht schwerwiegend erkrankt) steckten sich trotz Impfung an. In einem Fall war die gesamte nicht geimpfte Hausgemeinschaft Covid-19 erkrankt, nach einer Woche schließlich entwickelt auch die geimpfte Person (die die anderen versorgte) Schnupfen, Halsweh und einen positiven Test. In der anderen Konstellation nahmen zwei Geimpfte an einer Party teil, die nach den 3G Regeln ablief. Auf der Party dann Feiern wie vor zwei Jahren mit Tanz und Freude. Leider entwickelt sich diese Feier zu einem Spreadingevent, wie wir es auch in den Nachbarlandkreisen auf Hochzeiten und Geburtstagen sehen.
Alle anderen Erkrankten waren nicht geimpft und sind bis heute geschockt, dass sie ? teils auch sehr ernsthaft ? erkrankt sind. Ich hoffe, dass sich ein gewisser Lerneffekt einstellt und wir auch diesen Winter in Vorsicht und Disziplin durchstehen, um dann endlich einem Frühling der Besserung und einem Sommer des Abflauens der Pandemie entgegenzugehen.

Mein selbst verschuldetes zusätzliches Arbeitsfeld kommt recht gut voran: Die Untersuchung der Krankheitsverläufe aus Sicht der Betroffenen. Nachdem die Technische Uni München, das Landratsamt und ich als Koordinator zusammengefunden haben, sitzen wir schon virtuell zusammen und erstellen ein richtiges ?Studiendesign?. Alle PCR-Positiven unseres Landkreises sollen angeschrieben werden, damit sie uns in anonymisierter Form von ihren Symptomen, Beschwerden und Folgen ihrer Infektion berichten. Das werden an die 5000 Fragebögen. Ich bin total erstaunt und begeistert, wie offen und interessiert wir von vielen Seiten unterstützt werden, wie diese spontane Idee plötzlich groß wird und das Laufen anfängt.
Für mich hat dieser Blick zurück, die Betrachtung der Krankheitsverläufe viel mit Pandemieverarbeitung zu tun. Ganz ehrlich glaube ich nämlich, dass uns ganz viele antworten können, dass sie einen leichten Verlauf hatten und bald wieder gesund waren. Es ist zwar wichtig, auf die schlimmen Dinge der Pandemie mit all ihren Gefahren zu blicken, aber die anderen neunzig Prozent finde ich als Arzt wichtig und einer Untersuchung allemal würdig.
Zwischenzeitlich fällt mein Blick rüber zum Fernseher, zur ?Berliner Runde? und ich denke, dass ich, bevor ich hier etwas Boshaftes über Moderatoren schreibe, den Fernseher ausmache, mir ein Glas guten Weines einschenke und mich auf die neue Woche freue.

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Dr. Lohse berichtet: Die 79.Woche der Pandemie in Münsing
Nebel, Herbst, die Sonne bricht durch.
Es hat sich noch nicht entschieden, das Wetter und die Pandemielage, ein Wechselbad der Informationen und der Gefühle.
Bundesweit sinken die Inzidenzen, liegen im siebziger Bereich, im Landkreis taumeln die Infektionszahlen wieder nach oben, binnen dreier Tage von 70 auf über 120, dann wieder weniger. Allein in unserer Praxis sind in dieser Woche von 12 PCR Testungen sechs positiv, nach bisher vorliegenden Daten alle mit der Deltamutation infiziert. Wie schon bei der britischen Variante trifft es einfach blitzschnell ganze Familien ? jung und alt. Keiner der jetzt betroffenen Patienten unserer Praxis ist im Rentenalter, bis auf einen alle jünger als ich. Drei unter fünfundzwanzig. In den letzten Tagen musste ich einen der Patienten bei immer schlechter werdender Lungenfunktion in eine Klinik einweisen.
Irgendwie habe ich das Gefühl, auf einem Pulverfass zu sitzen. Mein Kopf gibt mit mir widersprüchliche Berechnungen, alles ist möglich. Meine Emotion ist in einem Zustand des mittelgradigen Alarmzustandes. Da ist es schwer, zwischen emotionaler Überreaktion und zuverlässigem Instinkt zu unterscheiden.
Eine Entwicklung macht mir große Sorgen, ich kann es bei mir selbst beobachten: Sinkendes Verständnis und ein Riss durch die Gesellschaft. Mein sehr persönlicher Blickwinkel sieht unsere drei Töchter - alle im Beruf, die älteste ist bereits Mutter zweier Kinder. Alle drei sind Ärztinnen geworden, alle arbeiten in Kliniken. Die mittlere erkrankte vor 10 Monaten an Covid-19, überstand es nach 2 Wochen krank und 4 Wochen Husten gut. Wir alle sind geimpft. Täglich haben wir vier, also 4/5 meiner Familie beruflich Kontakt mit Covid-19 Patienten, sei es als Überraschung mitten in der Hausarztsprechstunde (?ich habe nur Rücken?), sei es in der Notaufnahme der Klinik für die älteste Tochter, auf der Coronastation in der Schweiz für die mittlere Tochter oder auf der Intensivstation für die jüngste Tochter. Bis auf zwei der vielen Patienten sind alle Patienten, die uns vier Familienmitglieder mit Covid-19 konfrontieren, nicht geimpft. Diese beiden Patientin, die geimpft sind und erkrankten, sind nicht im Krankenhaus, sondern bei mir in der hausärztlichen Praxis.
Noch vor einem Jahr gab es keine Impfung, da waren wir alle dem Geschehen schicksalshaft ausgeliefert, der eine wie der andere. Aber nun fühlt sich das anders an.
Die Jüngste (Intensivstation) musste erleben, dass ein neunundzwanzig Jahre junger ungeimpfter Patient durch die Lungenveränderung im akuten Covid-19 Erkrankungsgipfel derart heftig atmen musste, dass es zu akuten und lebensbedrohlichen Lungenrissen gekommen ist. Ob hier nun die Lungenspezialklinik mit einer Notoperation noch helfen kann, ist ungewiss. Natürlich hören wir täglich von diesen Patienten ?hätte ich mich doch nur geimpft?. Aber Stunden vorher und nachher steht wieder ein unfassbar missionarisch erfüllter Typ vor uns und posaunt laut heraus, dass er sich sicher nicht impfen lasse! Er ? Frauen sind oft noch missionarischer ? kennt sich aus und hat sich gut informiert - wir würden schon sehen?
Diese Diskrepanz setzt viele ? auch mich unter Spannung. Vielerorts bekomme ich mit, dass die Schwestern und Pfleger der Covid-19 Stationen, die 8 Stundenschichten rund um die Uhr Dienst tun, die Schnauze voll haben. Denn die allermeisten der Patienten sind nicht geimpft. Fast drei Viertel der Menschen sind geimpft, wir im Gesundheitssystem fast alle, aber die Patienten, die uns weiter mit Covid-19 gefährden, sind es eben weitaus überwiegend nicht. Mein neunzigprozentiger Impfschutz bedeutet, dass von hundert Virusattacken dann doch mal etwas durchkommt und dass bei dieser intensiven Konfrontation auch mein Schutz einmal nicht mehr reichen wird. Dann zähle ich vermutlich für Impfgegner als Beweis für die Unwirksamkeit der Impfung ? wie zynisch.
Vor einem Jahr hatte ein Coronapatient einfach Pech gehabt oder war vielleicht unvorsichtig gewesen. Jetzt aber, da man sich ja nun durch eine Impfung schützen könnte und Geschützte wirklich sehr viel seltener erkranken, stellen sich die Dinge ganz anders da.
Da entscheidet sich ein Mensch bewusst gegen eine Schutzimpfung. Würde er nur sich selbst gefährden, so wäre das weniger ein Problem ? ähnlich wie bei Risikosportarten.
Aber dieser Mensch gefährdet in seiner Erkrankung eine Vielzahl anderer, Arzthelferin, Krankenschwester, Ärzte und seine Umwelt.
Unter diesen veränderten Voraussetzungen ist die Stimmung auf Intensivstationen und in Kliniken schon oft gekippt, es besteht wenig Verständnis für die ?Freiheitsentscheidung? der Ungeimpften, die dann intensive Hilfe benötigen.

Es ist ein wenig so, als würde der gut informierte Tourist mit Navi und teurer Ausrüstung bei aufziehendem Unwetter gegen alle Ratschläge der Einheimischen in die Berge aufbrechen. Stunden später wird verzweifelt der Notruf abgesetzt und die Hilfe der Bergwacht unter widrigsten Bedingungen benötigt. Diese Ehrenamtlichen, oft sogar die gleichen Einheimischen, die von diesem Unternehmen abgeraten hatten, gefährden jetzt ihre körperliche Gesundheit und brechen zähneknirschend auf, um diesen Menschen zu retten. Meist bekommen sie dann wenigstens ein Danke, was aber auch schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Der coolste Kommentar ist dann ?Ihr müsst das ja nicht machen, das ist doch Eure Wahl (Bergwachtler zu sein)?. Erfreulicherweise zeigen Bergwachtler meist eine große Selbstbeherrschung.
Auch bei mir verspüre ich eine sinkende Toleranz gegen diese Freiheitshelden (?ich bin doch nicht blöd und lasse mich impfen?). Diese Freiheit, die da so lautstark proklamiert wird, geht schließlich genau auf meine Kosten. Wegen deren Entscheidung trage ich heute noch eine Maske und bin genauso wie meine Familie, die Krankenschwestern und medizinischen Mitarbeiter persönlich gefährdet.
Kurz gesagt, deren Freiheit kostet die Freiheit der vielen anderen.

Ich arbeite aktiv gegen solche Tendenzen, da es viele Gründe gibt, sich nicht zu impfen. Meistens ist es die schiere Angst. In den täglichen Informations- und Aufklärungsgesprächen sehe ich die vielen nichtideologischen Gründe, die für den Einzelnen gegen eine Schutzimpfung sprechen ? fast immer mit der Komponente Angst. Angst geschürt durch Misstrauen gegen Autoritäten, Misstrauen gegen ?die Schulmedizin?, Vertrauen auf paramedizinische Maßnahmen, Verführung durch Rattenfänger, blinder Glaube an Fakte-?Fakten?. So sind diese zehn Prozent Schwerkranken vor diesem Hintergrund nicht schuld an ihrem Zustand. Und es kommt auch nur in zehn Prozent zu einem schwereren Verlauf, sonst geht es oft harmloser ab.

Für mich persönlich habe ich nun einen gewissen Weg gefunden, ich habe nämlich zwei Impfungen entdeckt ? die medizinische Impfung und die Wildimpfung.
Die medizinische Impfung mit einem Pieks hat bekannte unmittelbare Nebenwirkungen, meist einige Schmerzen, selten auch länger anhaltende Probleme. Es kam bis Anfang August bei 92 000 000 Impfungen in Deutschland aber auch zu 48 Todesfällen durch die Impfung (Quelle Paul Ehrlich Institut). Negative Spätfolgen sehen wir noch nicht. Diese medizinische Impfung scheint etwa 6-12 Monate zu schützen, hier müssen wir noch beobachten.
Die Wildimpfung (so nenne ich jetzt die Infektionen) zeigt auch eine unmittelbare Reaktion des Immunsystems. Im 90 % kommt es zu einer ?Reaktion? über mehrere Tage, sehr gering oder auch heftiger mit Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerz und Schwäche. Zehn Prozent haben von der Wildimpfung schwere bis schwerste Nebenwirkungen. Die Wildimpfung erfolgte in Deutschland bislang etwa 4 125 000 mal. Durch diese Art der Immunisierung sind in Deutschland über 92 000 Menschen, in Bayern 15 500, im Landkreis 80 (Quelle Robert Koch Institut) Menschen gestorben. Spätfolgen sieht scheinbar häufig, das nennt man dann long Covid Syndrom.

Somit entscheiden sich die Bürger gar nicht gegen eine Impfung, sondern nur, wie sie die Pandemie besiegen wollen: Durch die medizinische Impfung oder durch die Wildimpfung.

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