Montag, 15. November 2021
Mo., 15. Nov. 2021
Dr. Lohse berichtet: Die 87. Woche der Pandemie in Münsing
Draußen grau, nieseln, November halt. Zeit für ein Glühweinstandl! Leicht gesagt. Nachdem sich in Oberbayern die Situation der Pandemie dramatisch in Richtung unkontrollierbar gedreht hat, ist nichts mehr einfach. Draußen bald 1000er Inzidenzen, drinnen volle Intensivstationen, steigende Sterbezahlen. Und das ist erst der Vorläufer des Anfanges. Schon jetzt ist mir vor einem schweren Verkehrsunfall auf der A95 bang: Wenn da drei Personen schwer verletzt und eingeklemmt in ihren Autos sitzen, sind wir gleich da, Feuerwehr mit Rettungsspreizer, mit Rettungswagen und drei Notärzten. Ob noch ein Hubschrauber kommt, ist fraglich, vielleicht muss der gerade eine dringende Verlegung in den Norden fliegen. Wenn dann aber die Personen aus ihren Fahrzeugen geborgen sind, dann steht der ganze Tross auf der Straße und muss warten, bis die Leitstelle irgendwo Intensivbetten für die Verletzten findet. Starnberg hat erste Patienten schon nach Hessen verlegt.

Da jetzt ein Glühweinstand?

Zugegeben, ich mag keinen Glühwein, er schlägt mir immer auf den Magen, besonders in der Kombination mit Lebkuchen. Aber ein paar soziale Herzen unseres Ortes meinen, dass wir wieder zusammenkommen sollten, ratschen und sozialisieren. Trotz Corona und ohne Gefahr, nicht heimlich und unkontrolliert, sondern offen und ehrlich. Bei einer ersten vorsichtigen Vorstellung kommen mir sofort wieder die schönen Bilder vom Jagdessen vor Augen, alle Geimpft, nur zwei ohne Impfung, die vor Ort getestet wurden.
Kaum wird die Idee publik, bricht eine Diskussion los. Kann man doch nicht machen - tolle Idee - bin dabei - was sollen denn die Leute sagen. Die Organisatoren sind schwer hin und her gerissen, es bricht aus einem heraus "verdammt, ich möchte mich doch nicht von 15% der Leute tyrannisieren lassen und nur noch vor dem Fernseher sitzen!" Da hat er nicht unrecht. Also wird ein kleiner 2G Glühweinstand geplant, für Geimpfte und frisch Genesene. Die Ungeschützten können leider nicht teilnehmen, zu gefährlich. Heute Abend ist ein erster Versuch auf Privatgrund, mit Privatpersonen als offizielle Veranstalter, ein erster Versuch als Kontrapunkt gegen das Heraufziehen eines traurigen Herbstes. Es ist ein Versuch, dass sich die Vorsichtigen und Geimpften nicht alles nehmen lassen und nur noch die Leere des Verlustes bleibt.
Den Winter könnten wir eigentlich schon noch für uns gewinnen. Ein wahrer Sturm des Impfens ist losgebrochen. Wo durch Zweifel, Nachlässigkeit und gelangweiltes "geht mich alles nichts an" der Herbst vergeigt ist, könnten wir eigentlich die Skisaison noch entscheidend beeinflussen. Heute erstgeimpft, in fünf Wochen geschützt. Natürlich können wir nicht jeden sofort heute impfen, aber bis Weihnachten schon. Und dann in den Urlaub fahren.
Um dieses Ziel zu erreichen wird nun geimpft, was die Nadel hält: In der Praxis am Freitagnachmittag wieder 77 Patienten, in den Impfzentren über 400 Impfungen pro Tag. Wo vorher der Impfbus oft gelangweilt gerade mal ein halbes Dutzend Bürger impfte, stehen jetzt weit über hundert Menschen an und regen sich auf, dass sie lange warten müssen ? oder schlimmer: nach Hause geschickt werden, weil der Impfstoff im Bus nicht gereicht hat. Gestern Abend, am Freitag hatte das Impfzentrum keine einzige Biontech-Impfung mehr, alles leer. Zwei Wochen vorher noch mussten verfallene Impfdosen weggeworfen werden. Natürlich regen sich einige Schlaubürger nun über die schlechte Organisation auf, aber die regen sich eigentlich immer auf: Gestern, dass es diese unnützen Einrichtungen wie Impfzentren für viel Steuergeld überhaupt gibt, heute, dass diese Impfzentren ja viel zu klein sind, morgen wahrscheinlich, dass sie für ihre neue Knieprothese bis Ostern warten müssen, weil gerade kein Platz für sie da ist. Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht über zu viel Besserwisserei ärgere, aber manchmal sind bestimmte Bevölkerungsgruppen schon a bisserl anstrengend. Und ich sollte gerecht bleiben: Die allermeisten, wirklich die allermeisten Bürger sind zutiefst dankbar, dass wir dieses Engagement zeigen und warten geduldig.

Um meine Zuneigung für den Mitbürger trotz einiger Quertreiber zu stärken, werde ich mir nachher eine Tasse schnappen, eine Magentablette einwerfen und nach Einbruch der Dämmerung zum nahegelegenen ersten Glühweinstandltreff gehen, quasi meine erste Demo in diesem Jahr.

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