Donnerstag, 20. August 2020
Di., 18. August
Dr. Lohse berichtet: Die 23.Woche der Pandemie in Münsing
Die Schwalben sammeln sich zu ihren Flugschulen, drehen laut rufend ihre Pirouetten, fliegen atemberaubende Kurven über Obstbäume, die heuer reichlich tragen. Mein Wein an der Gartenwand hat unglaublich angesetzt, so stark, dass mir unsere Töchter zu Geburtstag eine kleine Wein/Beerenpresse geschenkt haben. Ich habe die Aufforderung verstanden.
Der Urlaub ging offiziell noch bis vorgestern, aber nun ist er rum.
Schon kam die erste Kontaktaufnahme durch das Landratsamt, um sich wegen des zu erwartenden ungemütlichen Herbstes abzusprechen. Gestern noch letzte Absprachen, um das Drive-In, unsere Münsinger Teststation wieder aufzubauen.
Dann die Megakatastrophe: Eine unserer Mitarbeiterinnen war in der Praxis, um den Start morgen vorzubereiten. Da fiel ihr auf, dass die Computeranlage und das Telefon nicht mehr funktioniert. Am Tag vorher, auch da fanden schon Vorbereitungsarbeiten statt, und es funktionierte noch alles. Mist.
Sämtliche Versuche, die Anlage selber wieder zu beleben, schlugen fehl. Unsere Computerfirma, ein dynamisches Einmannunternehmen, weilt noch eine Woche in Urlaub. Dunkle Phantasien von genervten Patienten, die uns ja auch telefonisch nicht erreichen können, geistern vor meinem inneren Auge. Menschen stehen Gruppen vor der Praxis, es geht nichts! Keine Laboruntersuchung kann gemacht werden, keine Akte aufgerufen werden, keine Krankschreibung verlängert oder Rezept gedruckt werden - nichts. Ich glaube, ich mache jetzt besser krank, oder fahre sofort wieder für zwei Tage nach Spanien und beharre danach auf der neu angeordneten Quarantäne.

Wahrscheinlich mache ich das aber doch nicht. Mit unserem Team haben wir schon Vieles durchgestanden, irgendwer hatte immer eine Idee, bis jetzt ging es ja auch immer weiter. Aber trotzdem ist es ein blöder Tag!.

Im Rückblick auf die Hochzeit vor drei Wochen und dann zwei Wochen Spanienurlaub bin ich schon nachdenklich und werde mir immer mehr bewusst, was ich doch für ein unglaubliches Glück habe.
Die Hochzeit wurde ein sehr schönes Fest, der Urlaub war ungestört und sehr erholsam.
Wie letzte Woche beschrieben, konnte man die Coronamüdigkeit auf der Urlaubsinsel sehr gut beobachten, die unterschiedlichen Verhaltensmuster von vorsichtig distanziert bis zu trotzig aufdringlich. Jetzt sind die Zahlen hochgeschossen und Mallorca, das eh schon zu kämpfen hat, ist zum Risikogebiet erklärt worden. Sowohl Hochzeit als auch Reise waren mit einer Reißleine („dann eben nicht – Absage“) versehen gewesen, waren aber beide mit gutem Gefühl möglich geworden. Davon werden wir lange zehren müssen, den Unvernünftigen und Supercoolen sei Dank. Vieles an unseren Fest-, Vereins-, Urlaubs- und Lebensgewohnheiten werden wir nachhaltig ändern müssen, sonst purzeln wir doch noch in ein Desaster.
Aber es hat sich bei mir eine Art der Wahrnehmung geändert: Dieser Urlaub war alles andere als selbstverständlich, jeder Tag ein Geschenk. Die Hochzeitsfeier war kein planbares Großevent, sondern musste sehr dynamisch angegangen werden, das Besondere war uns sehr bewusst. Die Wahrnehmung für das Gute des Ereignisses und die Wertschätzung für das Mögliche ist deutlich stärker geworden. Da die Zukunft fraglicher ist, ist tatsächlich der Augenblick bedeutsamer. Genug damit, sonst werde ich noch zum Prediger.

Apropos Glück gehabt. Zwischen den letzten Zeilen ruft der Vertreter unseres EDV-Fachmannes an und kommt uns zu Hilfe.
Es dauert einige Stunden des Tüftelns in der Praxis, dann kommt die erlösende Anweisung: „Fahrensn doch mal hoch“. Und die Anlage fährt hoch, und das Telefon geht wieder!

Jetzt könnte man sich doch ein kühles Tegernseer Helles einschenken, sich in den Garten setzen und nachsehen, ob sich noch ein paar Schwalben am Nachthimmel herumtreiben?!

... link (0 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 9. August 2020
So., 9. August 2020
Was für ein herrlicher Morgen. Gegen neun waren wir bereits am Ammerlander Badestrand, schwammen hinaus und genossen die ersten Sonnenstrahlen, die über die Bäume hinweg den See zum Glitzern brachten. Etwa alle 50 bis 100 Meter saßen vereinzelte Badegäste am schattigen Ufer. Plötzlich schallt es lautstark über das Wasser:
? Warum gehen Sie denn so nah her? Lassen Sie doch Abstand! ?
? Was wollen Sie denn? Ich bin doch mindestens zwei Meter weg. ?
Vom See aus sehe ich, wie zwei etwas beleibte ältere Herren im gerade noch zulässigen Corona-Abstand aufeinander einreden, während der neu Hinzugekommene sich umzieht.
? Aber es ist doch der ganze Strand frei, warum kommen Sie denn so nah? ?
? Ich bin immer hier. ?
? Aber Sie können doch ein paar Meter weiter rüber gehen, dann sind Sie doch immer noch da! ?
? Ich bin immer genau an diesem Baum. Das ist ein öffentlicher Badestrand und da kann jeder hingehen, wo er will. ?
? Aber doch nicht so nah, das muss doch nicht sein ?
? Dann gehen Sie halt weiter weg, wenn?s Ihnen nicht passt. ?
? Das wär ja noch schöner, ich war doch zuerst da ?
? Das spielt keine Rolle. ?
Der Eindringling steht nun splitternackt vor dem anderen Herrn, der dieser schamlosen Konfrontation offenbar nervlich nicht mehr gewachsen ist, denn er ruft nur noch laut ?Unverschämtheit!? und stürzt sich in die Fluten.
Da Ganze erinnert mich an folgende Situation: Ich sitze als einziger Passagier in einem Omnibus, dann steigt einer ein und setzt sich genau neben mich. Wäre der Bus voll: kein Problem, so aber irgendwie schon. Ich bin der ? vielleicht irrigen ? Annahme, jeder wolle gerne eine Sitzbank für sich alleine und seine Ruhe haben. Jetzt mal ganz unabhängig von Corona. Will einer das nicht, so wirkt das auf rätselhafte Weise verdächtig, ja sogar ein wenig unheimlich. Will der mich anquatschen, angreifen oder gar berauben? Oder will er nur einen Witz loswerden? Ich würde jedenfalls so tun, als müsste ich an der nächsten Station aussteigen und mich dann nach vorne in Fahrernähe platzieren.
Wohl um seine Habseligkeiten im Auge zu behalten schwimmt der Bedrängte rückwärts und dreht sich erst in Bauchlage, als er den anderen auch im Wasser weiß. Nun sticht er mit kräftigen Zügen auf den See hinaus und befindet sich dabei auf Kollisionskurs mit der einzigen weit und breit vorhandenen Möglichkeit, einer jungen Frau, die auf ihrem SUP steht und mit gemächlichen Schlägen über den See paddelt. Der Schwimmer hält unbeirrt auf den wahrscheinlichen Treffpunkt zu und ruft mehrfach ?hallo?, was die Supperin jedoch nicht bemerkt, da sie mit Ohrstöpseln Musik hört und den Blick in weite Ferne gerichtet hat. Im letzten Moment weicht der Schwimmer dann doch noch aus und schwimmt kopfschüttelnd weiter.

Es kann erstaunlich eng werden auf einer Uferlänge von 49 Kilometern und einer Wasserfläche von über 58 Quadratkilometern.

***

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 7. August 2020
Fr., 7. August
Dr. Lohse grüßt aus dem Urlaub



Die 22.Woche der Pandemie in Münsing, Pause auf Mallorca.
Die Zikaden können schon einen unglaublichen Lärm machen. An mein rechtes Ohr brandet das Sägen der Zikaden, das linke Ohr wird vom Klappern der Teller und Pfanne in der Küche verwöhnt, in die Nase kräuselt sich ganz langsam der Duft einer Tortilla de Patatas. Allerdings riecht da etwas leicht angebrannt – meine Frau tauscht sich gerade mit Vroni, unserer Nachbarin über die wesentlichen Dinge des Lebens aus. Wenn ich den Blick von der Tastatur hebe, blicke ich über einen weitläufigen spanischen Garten, Palmen, Olivenbäume und das blaue Schimmern des Pools.
Seit Jahrzehnten besitzt die Schwiegerfamilie auf Mallorca ein Haus, in dem vor etlichen Jahren die Zeit stehengeblieben ist. Der nächste Nachbar ist ein paar hundert Meter, das Meeresufer etwa fünf Kilometer und Ballermann etwa sechzig Kilometer entfernt.

Unsere Attenkamer Nachbarn ließen sich von der Idee „wir fahren (mit dem Auto) nach Mallorca“ schon vor Weihnachten, als Corona gerade geboren war, anstecken. So konnten wir uns das ganze Flughafengedrängel ersparen und fuhren mit den eigenen Autos über Toulon in Frankreich mit der Fähre nach Alcudia, einer kleinen Hafenstadt auf Mallorca.

Mallorca, bislang wenig von der Pandemie direkt betroffen, leidet extrem unter den Folgen der weltweiten Infektion. Wo sich Abertausende von Touristen drängelten, herrscht meist distanzierte Ruhe. Die Hotels scheinen oft leer zu stehen, die gesamte Saison fällt fast komplett aus.
Da wir aber „Selbstversorger“ sind, bekommen wir kaum etwas davon mit. Die Fähre war nur halb voll, die Straßen sind frei, die Geschäfte freuen sich über Besuch. Die Kinder der Nachbarfamilie profitieren, da nun die Tropfsteinhöhlen ohne Wartezeit besucht werden können. So können wir tief Luft holen für die zweite Runde, eine sicher sehr anstrengende Phase der Herbst-Winter-Infekte, garniert mit Coronainfekten.

Interessant finde ich den Umgang mit den Basisregeln Maske und Abstand:
In jedem Geschäft, in jeder Kneipe tragen die Inhaber und Angestellten Masken und halten Distanz. Die Touristen, deutsche, italienische, skandinavische und auch spanische sind eigentlich alle ähnlich: Die Morgenfraktion, also die, die morgens an den Strand gehen, um gegen zwei mittags wieder heim gehen, tragen zu mindestens achtzig Prozent Maske und halten Distanz. Die zweite Welle, ab mittags, schein das kaum mehr zu benötigen, gerade ein Drittel hält alle Regeln ein. Das ist dann auch die Gruppe der Kinderlosen, sei es ein Rudel Schulabsolventen oder ein paar stark tätowierte coole Pärchen oder ein paar sonnenverbruzzelte Alte. Zwar verallgemeinere ich gerade fürchterlich, aber statistisch stimmt das schon meist.
Die Story von den schlimmen Touristen im Allgemeinen kann ich definitiv nicht bestätigen, befürchte, dass auch zuhause die Coronamüdigkeit schwer um sich greift und die Regeln gerne vergessen oder missachtet werden.
Bei täglichen Neuinfektionen von über tausend pro Tag in Deutschland, den höchsten Zahlen seit Mai, werden wir diese Müdigkeit wohl bald wieder mit einem tiefen Seufzer beiseite schieben müssen.
Mittlerweise hätten wir ja gelernt, was sicher gefährlich ist – Party mit viel Alkohol. Ob Schule und Kindergarten problematisch sind, werden wir sehr bald wissen. Da fürchte ich, wird es noch viel Streit geben, da die Eltern schlicht und ergreifend die Zeit in unserer heutigen Gesellschaft nicht mehr haben. Mit dem Fußball habe ich, so fürchte ich, eine Außenseitermeinung: Da wird trotz steigender Zahlen tatsächlich über Stadienöffnungen diskutiert, also dem Zusammenführen von zigtausenden Menschen, die sich begeistern wollen, die bei einem Tor nicht nur leise klatschen wollen und sicher nicht nur Wasser trinken. In einer Kirche soll „ohne Inbrunst“ gesungen werden, und dort sollen Tausende leise Tooor meditieren? Corona zeigt doch auch Ausfallserscheinungen beim logischen Denken, nicht nur beim Geruchssinn.

Hier ist nun nach dem Genuss einer Tortilla de Patatas mit Allioli die Siesta ausgebrochen. Danach möchte noch ein Zitronenbäumchen eingepflanzt werden, sowie ein frühabendlicher Besuch des Strandes erfolgen. Das Bild von Amelie und mir am Strand ist AUSDRÜCKLICH FAKE. Natürlich sind wir ohne Masken am Strand. Aber wir fanden es als Urlaubsbild für 2020 irgendwie passend.

***

... link (0 Kommentare)   ... comment