Montag, 2. November 2020
Mo., 2. November
Sepp oder Depp? Da werden sich die Amis morgen entscheiden müssen. Gäbe es bei uns einen Kandidaten, zu dessen Ehren sich seine Anhänger derart ihre Häuser verunstalten würden wie auf diesem Bild,



dann wüsste man schon, was zu tun ist: erstmal die Lokalbaukommission vorbeischicken, damit alles abgerissen wird, und dann den Hausbesitzer nach Haar einweisen – am besten gleich zusammen mit dem Kandidaten, der sowas auch noch toll findet.
Der hat seine Anwartschaft darauf gleich nochmal untermauert:
Als gestern rabiate Präsidenten-Anhänger auf einem texanischen Highway den Wahlkampfbus vom Sepp und ein Begleitfahrzeug mit ihren Pickups rammten und von der Straße drängen wollten, da postete der zukünftige Ex-Präsident: "I love Texas!"



Da bleibt als einzig mögliche Antwort nur noch, ein Werk unseres Ammerlander künstlerischen Lokalmatadors Ernst Grünwald zu posten. Noch zwei mal schlafen, dann wissen wir, ob's gewirkt hat

***



Dr. Lohse berichtet: Die 34. Woche der Pandemie in Münsing
Was bin ich froh, letzte Woche noch in den Bergen gewesen zu sein. Gestern war das Wetter zwar ganz nett, aber kein Vergleich. Und heute, grau, abends soll es regnen – der Allerheiligenklassiker. Nach einer sehr hektischen Zeit der letzten Wochen in der Praxis habe ich nun eine Woche frei, frei im neuerlichen Lockdown. Meine Vorsätze, jeden Tag etwas Schönes zu tun, werden davon nicht berührt. Garteln, Spazierengehen, in den Wald gehen kann man ja auch im Lockdown.
Letzte Woche war wieder das Treffen im ZRF im Weilheim. Inzwischen weiß ich, was die drei Buchstaben bedeuten: Zweckverband Rettungsdienst und Feuerwehren. Wieder in hochkarätiger Besetzung mit Ressortleitern, Landräten und den Codos der Landkreise. Besonders erwähnen möchte ich den Landrat von Garmisch Partenkirchen, eine akzentuierte Persönlichkeit, engagiert und authentisch. In meiner Bundeswehrzeit in Mittenwald hatte ich schon die werdenfelser Mundart bewundert, die polternd und teils guttural silbenverschluckend ein Gemisch aus allgäuer Zungendrehern mit tyroler roll „rrrr“ im Kehlkopf für mich in der Vollausprägung vollkommen unverständlich ist. Wenn der Garmischer Landrat eine längere Rede präsentiert, spricht er zunächst bestes Schriftdeutsch, um bei der geringsten emotionalen Regung eine Portion Mundart dazu zu geben, Stufe für Stufe. Er hat viele emotionale Regungen, es wird immer schwerer zu folgen.
Bei dieser letzten ZRF – Sitzung saßen wir wieder weit auseinander, er, der Landrat, 2 m hinter mir. Wenn alle auf ihrem Platz sitzen, kann man die Masken abnehmen, was viele, auch ich, taten. Gestern, drei Tage nach der Sitzung erfahre ich, dass der Garmischer Landrat positiv auf das SarsCov2virus getestet wurde, am Tag nach der Sitzung. Bei all meiner Entspanntheit fange ich nun doch zu Grübeln an, „waren es wirklich zwei Meter“, „sind wir uns nicht doch zu nahe gekommen“? Es nagt schon in mir, insbesondere da ich meine betagten Eltern besuche, Praxis mache (mit Schutz für mich und die anderen). Zwar kann nach den Regeln bei jetziger Kenntnis nichts passiert sein, aber weiß man?
In der Schweiz arbeitet unsere Tochter als Ärztin. Bei einem kleinen Pizzaessen im privatem Umfeld war einer der Teilnehmer positiv, unsere Tochter ist durch die zuständige Behörde unter Quarantäne gestellt worden. Aber sie darf / muss trotzdem im Krankenhaus auf einer normalen internistischen Station weiterarbeiten.
Ich merke, dass ich selbst strenger als die offiziellen Regeln werde. Die ZRF – Sitzung wird, da alle Regeln sehr richtig eingehalten wurden, als nicht kritisch eingestuft. Dennoch wiege ich mich nicht in Sicherheit, sondern mache bei mir selber in Abständen nun Schnelltests und vermeide Kontakte. Unsere Tochter arbeitet natürlich mit FFP2 Maske in der Schweiz und hält sich so fern von den Patienten, wie es geht.
Es ist wirklich höchste Zeit für diese eine Woche frei ohne Praxis, weil ich bei mir nun etwas zu viel an Kopfkarussell bemerke.
Die Zeit nutze ich, um die Infektambulanz in Wolfratshausen fertig an den Start zu bringen. Leider stellt sich die Anstellung der Sprechstundenhilfen als schwieriger heraus, als gedacht, jetzt muss ich noch eine Anzeige für einen 450 Eurojob aufgeben. Die Ärzte stehen schon im Dienstplan, den Rest werden wir sicher auch noch hinbekommen. Ab Montag dem 9.11. soll es ja laufen, dass infekterkrankte Patienten in eigens dazu bereitgestellten Räumen (der ehemaligen Radiologie) im alten Wolfratshauser Krankenhaus behandelt werden können. Sehr schön ist, dass inzwischen unsere Mitarbeiterinnen der Praxis die Lücke füllen, obwohl sie wirklich genug um die Ohren haben!
Nun wende ich mich mal dem nicht-corona-Teil meines Urlaubs zu und mache Frühstück, heute ist Sonntag, da gibt’s ein Ei.

***

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 31. Oktober 2020
Sa., 31. Oktober
Jetzt also halber Lockdown. Sofort tauchen die üblichen Phänomene auf, die man eigentlich schon hinter sich glaubte:

1. Meine Frau will sich mit drei alten Freundinnen (alt=hier nicht Lebensalter sondern Bekanntschaftsdauer!) zum Frühstück in einem Café treffen. Gefühlt 36 Stunden Grübeln, 25 Whatsapps und 15 kontroverse Telefonate später steht fest: Ja, man trifft sich – mit kürzestmöglicher Verweildauer im Café, dann Spazierengehen.

2. Unser Sohn hat heute das letzte Spiel mit der Münsinger A-Jugend, bei dem sie mit einem Sieg gegen den Tabellenletzten Ascholding noch Meister werden können. Ich sehe schon voller Besorgnis, wie sie vor den Anstoß einen engen Kreis bilden und sich gegenseitig "Uga, uga, Münsing, olé!" ins Gesicht brüllen. Wer sich bisher nicht angesteckt hat, könnte es damit noch hinkriegen. Danach soll beim Pino gefeiert werden. Will man das? Schwere Beratungen stehen bevor.

3. Wehmut. Das für dieses Jahr vermutlich letzte Mal bei Krümel zu Kaffee & Hörnchen. Dabei hatte ich mich schon so daran gewöhnt: Notfalls draußen warten, Maske auf, an der Theke bestellen, dann zum Tisch (Gebüsch in der Mitte als Abtrennung zum Nachbarn), Lebenslauf ausfüllen, Maske runter und genießen. Tja.

4. Einkauf bei Edeka – alles wie immer, aber was fehlt? Natürlich Klopapier. Wurde gar nicht erst geliefert, hieß es. Ein älterer Herr steht kopfschüttelnd vor dem leeren Regal und sagt: "Delphine sind gelehriger."

***

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 29. Oktober 2020
Do., 29 Oktober
Dr. Lohse berichtet: Die 33.Woche der Pandemie in Münsing
Sonntag am Brauneck, sonnig, warm und total überlaufen. Wir nehmen Abschied von den schönen Tagen, tanken Sonne am Latschenkopf und treffen Tausende, die ähnlich denken. Wir treffen auch den Georg samt Familie aus Holzhausen, besuchen unsere jüngste Tochter, die dort Bergwachtdienst als Ärztin tut. Später wird meine Frau ihren Mann aus Murnau abholen, da er einen Wanderer aus den Bergen per Hubschrauber nach mit Beinbruch dorthin gebracht hat und dort gestrandet ist.

Verdopplung alle 14 oder 7 Tage? Lassen Sie uns mal rechnen: Heute backen wir zwei Mandellebkuchen und verdoppeln das alle zwei Wochen. Dann haben wir Weihnachten 32 gerade fertig gewordene Mandellebkuchen – und die bis dahin gebackenen. Wenn wir heute 2 Schokolebkuchen backen und das alle sieben Tage verdoppeln, dann verfügen wir Weihnachten über 512, Sylvester über 1024 leckere Schokolebkuchen. Das ist Weihnachten ein Zentner Lebkuchen, neue Lebkuchen. Da liegen noch die bis dahin gebackenen Lebkuchen in meinen Dosen. Wie soll ich zweit Zentner Lebkuchen vertilgen? Die Dinger werden mir unheimlich.

Der R-Wert ist etwas Abstraktes, er ist regional unterschiedlich, in München etwa bei 1,5. was bedeutet, dass zehn Positive fünfzehn andere Menschen anstecken. Leicht vereinfacht kann man sagen, dass bei einem R-Wert von 1,5 die Verdopplungzeit der neuen positiven Fälle bei etwa neun Tagen liegt. In Frankreich und Belgien sehen wir unfälschbar vor Augen geführt, wie aus den reinen „Positivzahlen“ nun rasend schnell gefüllte Klinikbetten werden. Da es sich um schwer Kranke handelt, füllen diese Patienten über mehrere Wochen die Behandlungsplätze.
Wegen dieser kleinen Rechenspiele, die klare Realität werden, setze ich alles daran, diesen Zahlenwert unten zu halten. Das sind aus meiner Sicht als Hausarzt und Codo schnellste Testergebnisse und Unterscheidung von Schnupfennase und Covid-19 Patient. Wieviele verzweifelte, zornige, frustrierte Eltern habe ich in der Praxis, die mir von uns Zauberei brauchen: In die Kita dürfen sie bei Schnupfennase nur noch mit negativem Test. Die einzig offiziell vom Gesundheitsamt zugelassene Methode ist der PCR-Test, den wir übrigens inzwischen am Wertstoffhof Degerndorf vornehmen (siehe Bild).



Da jetzt millionenfach getestet wird, sind die Kapazitäten derart am Limit, dass bis zur Ergebnismitteilung 48-72 Stunden verstreichen. Und dann gibt es noch Wochenenden, an denen nicht getestet wird…
Da ich das unerträglich finde, fangen wir an, unseren Patienten (mit Schnupfennase), bei denen kein Verdacht auf eine Covid-19 Infektion vorliegt, einen Antigen-Schnelltest anzubieten. Allerdings müssen die Patienten diesen selbst zahlen (30.-), die Krankenkasse zögert weiterhin, die Kosten zu erstatten. Damit habe ich aber eine ziemlich sichere Einschätzung, ob eine Gefahr vorliegt und kann den Patienten und Angehörigen anstelle „jetzt müssen wir 2-3 Tage warten und Sie müssen in Isolation“ ersparen. Es bleibt ein Restrisiko, aber das Nichtwissen ist weitaus gefährlicher. Das Ergebnis des Schnelltests habe ich nach einer halben Stunde.
Aber: Obwohl von offiziellen Stellen nicht als vollwertig akzeptiert, ist der Markt leergefegt. Es gibt bei den hochqualitativen Tests viel zu wenig Nachschub, vor allem weil große Firmen und offizielle Stellen den Markt leerkaufen. Da bleibt für mich kleinen Landarzt mit seinen Kranken nichts übrig. Ich habe eine Großbestellung mit mehreren Tausend Tests laufen, um selbst wieder welche zu haben und sie an Kollegen weiter zu geben. Ob die jemals kommt?

Manchmal könnte man schon etwas emotional werden, da die Interessen doch weit auseinander gehen. Aber wenn ich vor Augen sehe, dass notwendige Schutzmaßnahmen schlanker und wendiger gestaltet werden könnten, und dann solche Dinge daher kommen, dann freut es mich nicht.
Aber zwei Dinge freuen mich definitiv:
Die Infektambulanz nimmt Konturen an, die Mannschaft steht, die Räume sind bald fertig, am 9. November fangen wir an. Das muss ich demnächst in Ruhe schreiben.

Nächste Woche habe ich „frei“ und der Wetterbericht sieht günstig aus – vielleicht können wir noch einmal Wandern gehen? Garteln, im Wald umherschauen, was die Rehe, die Wildschweine und sonstige Bewohner so treiben.

Bei all der Konzentration auf den kommenden Sturm das Schöne und Kraft Gebende nicht vernachlässigen…

***

... link (0 Kommentare)   ... comment