Donnerstag, 29. Oktober 2020
Do., 29 Oktober
Dr. Lohse berichtet: Die 33.Woche der Pandemie in Münsing
Sonntag am Brauneck, sonnig, warm und total überlaufen. Wir nehmen Abschied von den schönen Tagen, tanken Sonne am Latschenkopf und treffen Tausende, die ähnlich denken. Wir treffen auch den Georg samt Familie aus Holzhausen, besuchen unsere jüngste Tochter, die dort Bergwachtdienst als Ärztin tut. Später wird meine Frau ihren Mann aus Murnau abholen, da er einen Wanderer aus den Bergen per Hubschrauber nach mit Beinbruch dorthin gebracht hat und dort gestrandet ist.

Verdopplung alle 14 oder 7 Tage? Lassen Sie uns mal rechnen: Heute backen wir zwei Mandellebkuchen und verdoppeln das alle zwei Wochen. Dann haben wir Weihnachten 32 gerade fertig gewordene Mandellebkuchen – und die bis dahin gebackenen. Wenn wir heute 2 Schokolebkuchen backen und das alle sieben Tage verdoppeln, dann verfügen wir Weihnachten über 512, Sylvester über 1024 leckere Schokolebkuchen. Das ist Weihnachten ein Zentner Lebkuchen, neue Lebkuchen. Da liegen noch die bis dahin gebackenen Lebkuchen in meinen Dosen. Wie soll ich zweit Zentner Lebkuchen vertilgen? Die Dinger werden mir unheimlich.

Der R-Wert ist etwas Abstraktes, er ist regional unterschiedlich, in München etwa bei 1,5. was bedeutet, dass zehn Positive fünfzehn andere Menschen anstecken. Leicht vereinfacht kann man sagen, dass bei einem R-Wert von 1,5 die Verdopplungzeit der neuen positiven Fälle bei etwa neun Tagen liegt. In Frankreich und Belgien sehen wir unfälschbar vor Augen geführt, wie aus den reinen „Positivzahlen“ nun rasend schnell gefüllte Klinikbetten werden. Da es sich um schwer Kranke handelt, füllen diese Patienten über mehrere Wochen die Behandlungsplätze.
Wegen dieser kleinen Rechenspiele, die klare Realität werden, setze ich alles daran, diesen Zahlenwert unten zu halten. Das sind aus meiner Sicht als Hausarzt und Codo schnellste Testergebnisse und Unterscheidung von Schnupfennase und Covid-19 Patient. Wieviele verzweifelte, zornige, frustrierte Eltern habe ich in der Praxis, die mir von uns Zauberei brauchen: In die Kita dürfen sie bei Schnupfennase nur noch mit negativem Test. Die einzig offiziell vom Gesundheitsamt zugelassene Methode ist der PCR-Test, den wir übrigens inzwischen am Wertstoffhof Degerndorf vornehmen (siehe Bild).



Da jetzt millionenfach getestet wird, sind die Kapazitäten derart am Limit, dass bis zur Ergebnismitteilung 48-72 Stunden verstreichen. Und dann gibt es noch Wochenenden, an denen nicht getestet wird…
Da ich das unerträglich finde, fangen wir an, unseren Patienten (mit Schnupfennase), bei denen kein Verdacht auf eine Covid-19 Infektion vorliegt, einen Antigen-Schnelltest anzubieten. Allerdings müssen die Patienten diesen selbst zahlen (30.-), die Krankenkasse zögert weiterhin, die Kosten zu erstatten. Damit habe ich aber eine ziemlich sichere Einschätzung, ob eine Gefahr vorliegt und kann den Patienten und Angehörigen anstelle „jetzt müssen wir 2-3 Tage warten und Sie müssen in Isolation“ ersparen. Es bleibt ein Restrisiko, aber das Nichtwissen ist weitaus gefährlicher. Das Ergebnis des Schnelltests habe ich nach einer halben Stunde.
Aber: Obwohl von offiziellen Stellen nicht als vollwertig akzeptiert, ist der Markt leergefegt. Es gibt bei den hochqualitativen Tests viel zu wenig Nachschub, vor allem weil große Firmen und offizielle Stellen den Markt leerkaufen. Da bleibt für mich kleinen Landarzt mit seinen Kranken nichts übrig. Ich habe eine Großbestellung mit mehreren Tausend Tests laufen, um selbst wieder welche zu haben und sie an Kollegen weiter zu geben. Ob die jemals kommt?

Manchmal könnte man schon etwas emotional werden, da die Interessen doch weit auseinander gehen. Aber wenn ich vor Augen sehe, dass notwendige Schutzmaßnahmen schlanker und wendiger gestaltet werden könnten, und dann solche Dinge daher kommen, dann freut es mich nicht.
Aber zwei Dinge freuen mich definitiv:
Die Infektambulanz nimmt Konturen an, die Mannschaft steht, die Räume sind bald fertig, am 9. November fangen wir an. Das muss ich demnächst in Ruhe schreiben.

Nächste Woche habe ich „frei“ und der Wetterbericht sieht günstig aus – vielleicht können wir noch einmal Wandern gehen? Garteln, im Wald umherschauen, was die Rehe, die Wildschweine und sonstige Bewohner so treiben.

Bei all der Konzentration auf den kommenden Sturm das Schöne und Kraft Gebende nicht vernachlässigen…

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