Mittwoch, 2. Dezember 2020
Mi., 2. Dezember
Klinik, Tag zwei Nach etwas unruhiger Nacht in ungewohnter Umgebung liege ich OP-fertig – d.h. mit kleidsamem Netzhöschen und geblümtem, hinten offenem Hemdchen – herum und warte. Vorhin kam der Stationsarzt in Begleitung von sechs weiteren Medizinern und setzte mir mit einem Edding-Stift eine Markierung in Form eines Fadenkreuzes auf die Hüfte, damit keiner auf die Idee kommt, auf der verkehrten Seite herumzuschnippeln. Finde ich beruhigend.

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Dienstag, 1. Dezember 2020
Di., 1. Dezember
Krankenhaus, Tag eins, 15:00 Uhr:
Mein Weihnachtsgeschenk – ein neues Hüfterl – erhalte ich in der Benediktus-Klinik in Tutzing, von wo aus ich die nächste Zeit meinem Freiwilligendienst als Blogwart nachkommen werde. Hier ist alles coronamäßig maskiert – außer mir. Ich bin der Einzige, der umaskiert herumlaufen darf, aber nur, solange ich in meinem Zimmer bleibe. Gerade war der Prof. da, der mich operieren wird, und den ich noch nie ohne Maske gesehen habe. Aber ich konnte mich per Google überzeugen, dass er (auch) ohne Maske ganz vertrauenswürdig aussieht. Morgen wird er mich also bearbeiten. Fünf OPs hat er vor, und obwohl er gleich unaufgefordert versichert, dass er sehr fit sei, bin ich doch froh, dass ich schon als Zweiter drankomme.

Es hat gute Gründe, warum ich mich zur OP hierher begeben habe: vor drei Jahren litt ich unter dem sog. Schaufenstersyndrom. Kein Witz. Angeblich heißt das so, weil man sich nach dem Betrachten von ein bis zwei Schaufenstern hinsetzen muss, weil einem unterm Gehen die Füße einschlafen und schließlich völlig taub werden. Also habe ich mir hier in der Klinik meinen Spinalkanal minimalinvasiv freiräumen lassen. Als ich aus der Narkose erwachte, fühlte sich das an, als wäre ich in Lourdes gewesen oder bei einem brasilianischen Heilheini: alle Symptome waren und sind seither sowas von wie weggeblasen, als hätte es sie niemals gegeben.

Gerade wollte ich in die Cafèteria runter gehen, um ein Privileg zu genießen, das coronabedingt nur die hiesige Isolationshaft zu bieten hat: Hinsetzen, Kaffee trinken, Kuchen essen. Ohnehin habe ich beste Erinnerungen an das Etablissement, denn als ich vor drei Jahren hier war, hing dort eine BILD-Zeitung aus mit der balkengroßen Schlagzeile, dass Schauspieler Fritz Wepper, der alte Schwerenöter, bei einer Affäre mit der teilaufgeblasenen Kollegin Dolly Buster erwischt worden war. Darüber geriet eine Besucherin mit dunkler Reibeisenstimme und Rotweinglas heftig in Rage und zog in derbsten Ausdrücken lautstark über den armen Wepper her. Als der Caféteria-Pächter sie mit gedämpfter Stimme zur Mäßigung aufforderte, wurde die Dame noch lauter und verkündete, dass es ihr eh völlig egal sei, was dieser ..... mit dieser ..... anstelle. Dann kaufte sie die Zeitung und zog ab.

Ich merke, dass ich noch nicht im Krankenhaus-Rhythmus angekommen bin, denn wenn es um halb fünf Abendessen gibt, ist natürlich auch klar, dass die Caféteria schon um zwei schließt.
Als die Stationsschwester meine Enttäuschung bemerkte, brachte sie mir netterweise einen Cappucino, der fast so gut schmeckte wie bei bei K & K in Münsing.

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Montag, 30. November 2020
Mo., 30. November
Dr. Lohse berichtet: Die 37. und 38. Woche der Pandemie in Münsing
Grau, frostig, kühl, so sind die Tage nun. Für mich ist das die Zeit der Kerzen, Lebkuchen, Tassen Tee und Singen. Zwischendurch friere ich mir die Nase auf dem Hochstand an, glühe dann den Rest des Abends mit roten Backen.
Abends und Wochenends sitze ich nun viel vor dem Laptop und organisiere, tüftle und plane. Am Horizont zeichnen sich nämlich die ersten Umrisse nahender Impfungen ab. Schon lernen wir wieder neue Begriffe: mRNA Impfung und Vektorimpfung. Bei einer Impfung zeigt man dem Immunsystem das Bild des Feindes. So spritzt man, um den gefährlichen Wundstarrkrampf zu verhindern, ein inaktiviertes Tetanusgift. Der Körper erkennt diesen Fremdkörper als Eindringling und bildet neutralisierende Antikörper gegen dieses inaktive Gift. Wenn nun giftproduzierende Tetanusbakterien (clostridium tetani) daherkommen, kann uns deren echtes Gift nichts mehr anhaben, da es sofort durch die vorhandenen Antikörper neutralisiert wird.

Mit Covid19 ist es etwas anders. Dies Virus sieht wie ein rundes Ufo mit stumpfen Kegeln an der Oberfläche aus. Diese Kegel bringen unsere Zellen bei Berührung dazu, das Virus wie ein trojanisches Pferd aufzunehmen. Dort setzt das Virus RNS (Ribonukleinsäure) frei. Diese RNS ist wie eine Datei auf einem USB-Stick für einen 3D-Drucker. Der 3D-Drucker der Zelle heißt Ribosom. Wenn diese RNS nun zu einem Ribosom kommt, fängt der an, zu produzieren, was auf der RNS steht – nämlich in diesem Falle alle Bauteile für ein neues Virus. Wenn dies etliche Mal passiert ist, sind viele neue Viren von unserem eigenen 3D-Drucker, dem Ribosom produziert worden und greifen uns weiter an. Die neuen Impfungen sind tricky: Sie wollen dem Körper das Bild des Feindes zeigen und schicken dazu nun die Information für die Viruskegel - geschrieben auf RNS - in die Zellen. Diese Impf-RNS geht nun zum Ribosom und lasst lauter Kegel drucken. Gegen diese Kegel produziert der Körper nach Freisetzung aus der Zelle neutralisierende Antikörper. Sollte nun ein Virus-Ufo vorbeikommen mit seinen Kegeln auf der Oberfläche, kleben sich dort sofort die vorgefertigten Antikörper hin und führen zu dessen Zerstörung.
Die aktuellen Impfungen unterscheiden sich in der Methode, wie diese RNS in die Zelle geschleust wird: Die mRNA Impfung von Biontech-Pfizer und Moderna verhüllt die RNS in Fettkörper, die in die Zelle aufgenommen werden. Die Vektorimpfung von AstraZeneca und Sputnik V benutzt Viren (Vektoren), die dem Menschen keinen Schaden antun (Parvoviren des Affen) und hängt hinten quasi die RNS wie einen USB-Stick dran. Diese Viren kommen in die Zelle, der Stick löst sich, geht zum 3D-Drucker Ribosom und so weiter. Der Vollprofi hat erkannt, dass von RNS und RNA geschrieben wird. Lösung: RNS = RibuNukleinSäure auf deutsch, RNA = RiboNucleinAcid auf englisch. Für Wissenschaftler gäbe es hier noch viel zu schreiben, aber die lesen diese Zeilen sowieso nicht.
Das Erstaunliche ist, es funktioniert. Die genauen Zahlen zur Wirksamkeit und unmittelbaren Nebenwirkungen sind nach einigen zehntausend Impfungen noch wacklig, aber wirken sehr gut. Natürlich kann man über Langzeitwirkung und -nebenwirkung nichts sagen, wie auch?
Wie oft habe ich in den letzten Monaten gehört „ich habe keine Lust mehr auf Corona“ „hört das denn nie auf“. Das Virus wird uns nicht von selbst den Gefallen tun, aufzuhören. Entweder warten wir ab bis zur Selektion der Unempfindlichen oder der Herdenimmunität mit dem Preis von vielen verlorenen Jahren und sehr vielen gestorbenen Menschen oder wir versuchen, mit Impfungen eine Immunität zu erreichen. Wenn die Impfungen verfügbar sind, werde ich versuchen, mich bald zu impfen.
Schon sind wir bei dem brennenden Thema, wer und wann kann geimpft werden?
Dieses Thema ist der Grund für viele Abende am PC und Stunden in Besprechungen, da ich als Codo hier im Landkreis gemeinsam mit den Verantwortlichen genau dieses Thema angehe. Bereits jetzt stehen die Umrisse für Impfzentren, mobile Impfteams und Impfstrategien. Aber die Fragen der Priorisierung, der Logistik und der Dokumentation sind noch ungelöst – und in paar Wochen sind die ersten Impfungen da.
Wie gesagt, die Umrisse nahender Impfungen und kommender Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, der Anfang vom Ende dieser Pandemie könnte sich abzeichnen.

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