Samstag, 12. Dezember 2020
Sa., 12. Dez.
Dr. Lohse berichtet: Die 39. Und 40. Woche der Pandemie in Münsing.
Was wäre Dezember ohne Lebkuchen! Die Dinger schmecken schon verflixt gut. Und ich habe den Eindruck, dass diese Vorweihnachtszeit im Jahr der Pandemie besser gebacken wird, als sonst. Oder mir schmeckt es besser. Wenn ich nach unten blicke, könnte ich verzweifeln: ein rätselhafter Ring schiebt sich um meinen Körper, seltsam. Wenn ich dann einen Entspannungslebkuchen vertilge, und dann noch einen, wird dieser Ring größer. Das kommt sicher von Corona, wie alles, was nicht klappt, durch Corona verschuldet ist.

Während es durch die vielen Hygiene- und Distanzmaßnahmen und die vielen Vernünftigen zu wenig Infekten, sei es Schnupfen oder Durchfall, kommt, grassiert das Coronavirus gewaltig. Sachsen, das in der ersten Welle weit aus dem Osten entspannt auf den betroffenen Süden geblickt hatte und alles für schwer übertrieben bezeichnet hatte, ist fest im Würgegriff der Pandemie. Die Kliniken sind nicht mehr richtig aufnahmefähig, verzweifelt hat die Landesregierung harte Maßnahmen Lockdown, Schul- und Kitaschließung, Alkoholverbot und Ausgangssperre verordnet. Auch in Bayern werden die Rufe unüberhörbar, in Augsburg nimmt die Klinik außer Notfallpatienten und Covid-19 Patienten niemanden mehr auf. Es riecht nach landesweitem Lockdown – also schnell alle noch einmal in die Geschäfte, Weihnachtsgeschenke kaufen, drängeln, prusten und husten. Der Lockdown soll ja durch steil steigende Zahlen dann auch legitimiert sein. Augenblicklich kann ich über den Ausdruck „mündige Bürger“ und Selbstverantwortung nur lachen. Die Quote derer, die sich nicht an die notwendigen Distanzgebote halten ist, einfach zu hoch, die Coolen sorgen für einen immer härter werdenden Winter.

Dies beklemmende Szenario wird konterkariert von den emsigen, chaotisch-dynamischen Impfvorbereitungen. Hoffnung und Optimismus mischt sich mit Anspannung und Chaos, da vieles vorgeschrieben werden soll, aber die Vorschriftenmacher nicht in die Gänge kommen. So ist klar, dass es viel zu wenig Impfungen geben wird.
Aktueller Stand ist, dass am 5. Januar erste Lieferungen abrufbar sein werden. Für die erste Welle (Januar) sollen nach den umlaufenden Gerüchten Impfungen für etwa 3000 Bürger eintreffen. Da es sich um eine nie dagewesene Aktion handelt, nämlich eine Massenimpfung in möglichst kurzer Zeit, gelten alte Weisheiten nur bedingt. Erstmals in meiner Erinnerung als Kind des reichen Deutschlands muss ich mit entscheiden, wer eine möglicherweise lebensschützende Impfung erhält – und wer nicht. Bereits jetzt stehen Patienten vor mir, die darum bitten, bei den ersten dabei zu sein. Die eine oder andere alltägliche Szene erinnert mich als phantasiebegabten Menschen an das Drängeln der Passagiere um die Rettungsboote auf der sinkenden Titanic. ABER: wir sind nicht auf der Titanic, wir sind nicht zum Ertrinken verurteilt, und die Impfung ist kein Rettungsboot. Nur manch einer steigert sich in diese Emotion hinein. Mit Disziplin und Verzicht können wir unendlich viel beitragen, es ist kein Eisberg und kein Eiswasser, was uns bedrängt, sondern unsere eigenen Frustrationstoleranz.
Wir werden am 5. Januar beginnen, mit zwei Impfteams und einem Impfzentrum in den Heimen zu impfen – die die geimpft werden wollen. Bewohner und Personal, dazu die Mitarbeiter von Covid-19 Stationen in den Kliniken und die Notaufnahmen. Dann kommen die anderen Senioren ab achtzig dran, in es geht Schritt für Schritt weiter. Bei den ersten Impfstaffeln im Januar werden wir noch oft einen Zettel und Stift brauchen, improvisieren müssen und uns schimpfen lassen, dass das alles so unprofessionell läuft. Wir werden umringt sein von Menschen die alles besser machen würden, die besonders berücksichtigt sein wollen, die uns Vorschriften machen, die eh alles ablehnen, sicher ein wildes Touwabou von widersprüchlichen Stimmen. Aber wir werden stur die Risikopatienten zu schützen versuchen, werden zunehmend die Instrumente einsetzen, die uns zur Verfügung gestellt werden. Wir werden ein weiteres Impfzentrum hochziehen und versuchen, keine einzige Impfung verfallen zu lassen.
Und im März werden die fünfundsiebzigjährigen Senioren geimpft sein, die Lehrer und Polizisten, der Rest der Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte. Da wird es dann schon glatt laufen, die Anmeldungen zu den Impfungen werden internetbasiert sein, Scanner werden Daten abgleichen und das Geholper am Anfang Januar wird uns etwas peinlich in Erinnerung stehen.

Während die Einleitung der Impfaktionen von der konzentrierten Arbeit und Koordination einiger Dutzend Menschen im Landkreis abhängt, kommt es auf 130 000 Menschen in unserem Landkreis an, wie die zweite Welle uns überrollt – und ob im März eine dritte kommt.
Es sind so zwiespältige Gefühle – Hoffnung und Anspannung.

Ich glaube, ich werde mich nun noch einem Lebkuchen zuwenden, die übrigens dieses Jahr besonders gut schmecken und morgen in kalter Morgenluft einen langen Spaziergang machen.

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Freitag, 11. Dezember 2020
Fr., 11. Dez.
Viel passiert in einer Woche. Eigentlich wollte ich ja jeden Tag einen kleinen Bericht rauslassen, aber da sieht man mal wieder, wie weit Realität und Wirklichkeit gelegentlich auseinanderklaffen. Ich hab's einfach nicht geschafft, und darum zäume ich's jetzt nochmal von hinten auf: Also erstmal der Beweis, das eingebaute Ersatzgelenk, hier im Bild.



Sieht alles ziemlich aufgeräumt aus. Auf meine Frage, wo denn das abgesägte Stück Knochen abgeblieben sei, meinte der Prof. etwas irritiert, es sei entsorgt worden. Weggeschmissen also, vermutlich zusammen mit anderen ehemals wichtigen Körperteilen achtlos in einen blutigen Blecheimer. Ärzte! Dabei hätte ich das Trumm echt gern mitgenommen – wer hat schon einen Knochen von sich selbst daheim auf der Anrichte. Mit dem kugeligen Ende wäre er auch ideal als Stopfei zum Sockenreparieren geeignet gewesen.

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Donnerstag, 3. Dezember 2020
Do., 3. Dezember
Der dritte Klinik-Tag: Nachdem ich gestern um 7:30 Uhr gehorsamst für die OP bereitstand, warf ich gegen 11 eine sog. Wurschtigkeitspille ein, wobei die bei mir wie ich von zahlreichen früheren OPs schon kannte, eher das Gegenteil bewirkt. Ich finde alles mega-interessant, was da in der OP-Vorbereitung passiert, wo es piept und saugt und rauscht und klackert. Dabei werde ich seltsam redselig und stelle die eine oder andere Frage, die die vermummten OPler bereitwillig und freundlich beantworten. Klar, wenn's denen zu lästig wird, brauchen sie nur ein kleines Schräubchen drehen, und ich schwebe federleicht davon ins Nirwana. Und jedesmal will ich den Moment bewusst erleben, wo ich hinüberschwappe, aber es gelingt wieder nicht. Als ich gerade noch am Darübernachdenken bin, sagt mir jemand im OP-Grün, dass alles bereits vorbei ist. Naja, vielleicht klappt's ja bei der nächsten Prothese.
Nun zahlt es sich wieder einmal aus, dass ich seit Jahren in eine Zusatzversicherung einbezahle, die mir ein Einzelzimmer ermöglicht. Das unangenehmste für mich sind Schnarcher oder Leute, die an eine Schnaufmaschine angeschlossen sind, wo man zwangsweise die ganze Zeit hinhört, ob das Ding noch läuft. Einmal lag ich wegen Überfüllung mit einem im Zimmer, der ständig laut pfurzte, und dann auch noch immer, wenn er einen abließ, vorher den rechten Zeigefinger hob.

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