Dienstag, 6. Oktober 2020
Di., 6. Oktober


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Dr. Lohse berichtet: Die 29. und 30. Woche der Pandemie in Münsing
Draußen regnet es, windet, ist a bisserl scheußlich, so richtig schön zum Tee kochen, die Kerzen vom letzten Winter suchen, Gummistiefel anziehen und eine kalte Nase bekommen. Ich mag das, diesen Wechsel. Es wird eh bald wieder anders sein, dann raschelt alles im Wald, riecht gut und wird bunt. Dieses Jahr gibt es unglaublich viele Eicheln und Bucheckern, da muss ich mir nicht zu viel Gedanken übers das Winterfutter für die Rehe machen. Bei den Wildschweinen ist's etwas anders, da schieben ja jetzt viele Panik wegen der afrikanischen Schweinepest, schon wieder so eine Virus-Seuche.
Mein neues Amt als „ärztlicher Koordinator“ ist recht interessant. Als erste Amtshandlung tausche ich den Namen, da „ärztlicher Koordinator“ doch etwas quer aus dem Mund kommt, auf jeden Fall zu kantig für den Alltagsgebrauch ist. Zu meiner Studentenzeit gab es ein Lied „Ich bin Codo, der dritte, aus der Sternenmitte …“ – damit kann ich mich besser identifizieren und nenne mich (außer auf meinem Briefkopf, da muss der Ernst auch ernstwichtig sein) fortan Codo – koordinierender Doc. Erste Sitzungen und Telkos liegen hinter mir, ich muss neue Abkürzungen lernen. ZRF und Telko. ZRF weiß ich bis heute nicht, was es heißt, ist aber interessant: Seit Jahrzehnten planen die drei Landkreise Garmisch-Partenkirchen, Weilheim und Bad Tölz Wolfratshausen gemeinsam die Koordination der Rettungsdienste, des Katastrophenschutzes und nun die Pandemiemaßnahmen in einem offiziellen Gremium namens ZRF. Letzten Mittwoch saßen wir, mit gebührendem Abstand, beisammen: Die drei Landräte, Vertreter der Gesundheits- und Ordnungsämter, Vertreter dieses ZRF und die Codos dieser Landkreise. Nach kurzer gegenseitiger Vorstellung tauscht man sich hier aus über die aktuelle Situation (nicht angespannt), die bereitstehenden Mittel (zum Beispiel mobile Teams zum Einsatz bei plötzlichen Corona-Hotspots), zu planende Mittel (Fieberpraxen, Ambulanzen und Abstriche für Erkrankte an sieben Tagen der Woche), Weihnachtsmärkte und Großveranstaltungen.
Da sitzt die geballte kommunale Struktur beisammen, angereichert durch uns Codos und diskutiert offen, gradlinig und ergebnisorientiert. Das ist die eine Seite.
Telko, der Profi weiß es schon, ich jetzt auch, heißt Telefonkonferenz. Die KVB berief zu einer ersten Telko der Codos mit den Verantwortlichen der KV ein. Da wird Oberbayern zusammengefasst, etwa zwei Dutzend Codos. Zwei Dutzend Ärzte. Zwei Dutzende Alphatierchen – zumindest viele davon. Jeder lebt dabei sein Alphatierchen anders aus. Ich tue nach außen meist so, als würde ich tiefstapeln, schreibe meine diversen Ämter und Qualifikationen nirgends hin, bin natürlich auch eitel, versuche es aber zu verbergen. Bei den Kollegen (weniger die Kolleginnen) im Kreise der ärztlichen Koordinatoren sind einige illustre Exemplare der Postensammler dabei mit so vielen Posten, dass man vor lauter Briefkopf die email gar nicht mehr findet. Da bin ich gespannt auf konstruktive Diskussionen! Aus der Ecke dieser Codo-Kollegen kam als erste Diskussion die Beschwerde, dass man zu einer Telko eingeteilt, nicht gefragt wird. Genau zu diesem Zeitpunkt hätten aber andere wichtige Posten und Ämter Vorzug, und überhaupt! Mit meinem Kommentar dazu habe ich mir möglicherweise in diesem Kreise das erste Mal die Finger verbrannt…Das ist die andere Seite.
Aber auch hier, bei dem Gros der Codos der anderen Landkreise und bei der KVB bemerke ich den Willen, Lösungen zu finden und voraus zu planen, um nicht naiv in eine zweite Welle zu stürzen.
Es ist ja wirklich beklemmend, was um uns herum in Europa so passiert, in Madrid werden ganze Stadtviertel abgesperrt, fast jedes Nachbarland ist Risikogebiet.
Jetzt hat es den US-amerikanischen Präsidenten ja auch noch erwischt, frei nach dem Motto: Dem Virus ist es egal, ob man dran glaubt …

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