Dienstag, 17. Mai 2022
So., 3. April 2022
Dr. Lohse berichtet: Die 107. Woche der Pandemie in Münsing
Der Frühling hat beschlossen, Versäumtes nachzuholen und hat die Trockenheit durch heftigen Schneefall beendet. Die Dachlawinen rauschen mit Rumpeln und Tösen darnieder, die Stare sitzen als verfrorene Wollpuschel in den kahlen Bäumen.
Durch die geschlossene Schneedecke ragen gelbe Narzissen, aus jedem Winkel lugt Grün oder eine Blume hervor.
Er lässt sich nicht aufhalten, der Frühling. Auch in mir kribbelt es, das Hochbeet zu bestellen oder die neuen kleinen Bäumchen in den Wald zu pflanzen, damit wir in einigen Jahren mit den Enkeln Weihnachtsbäume ernten können.

Irgendwie hilft mir der nahende Frühling allmählich immer besser, die schwierigen Entwicklungen, die uns umgeben, wieder leichter zu tragen.
Wegen der ukrainischen Flüchtlinge saßen wir vor fünf Tagen im Landratsamt in bewährter Runde zusammen und gingen wichtige Punkte Schritt für Schritt durch. Jeder Ankömmling wird auf Corona untersucht, Positive werden in Quarantäneunterkünfte weitergeleitet. Familien können dabei zusammenbleiben. Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften (Turnhallen) werden mit Reihenuntersuchungen auf Tuberkulose hin untersucht, um ein unbemerktes Erscheinen dieser gefürchteten Erkrankung frühzeitig zu erkennen. Eine Sprechstunde für Kinder und Jugendliche in diesen Turnhallen wird eingerichtet.
Dabei ist der geringste Teil der Flüchtlinge in großen Einrichtungen: Von den derzeit etwa eintausend Menschen sind über achthundert in Privatwohnungen oder kleineren Einrichtungen (Hotel/Jugendherberge) untergekommen, nur 200 leben derzeit in Gemeinschaftsunterkünften. Wenig bemerkt leistet hier die Gesellschaft Großartiges. Diese Menschen werden meist durch ihre Gastgeber und deren Haus- und Kinderärzte betreut. Meine Aufgabe ist es, den Kolleginnen und Kollegen die Informationen zur Behandlung dieser Patienten zusammen zu sammeln und aufzubereiten, Übersetzungshilfen zu erstellen und beispielsweise die kinderärztliche Sprechstunde in den Einrichtungen zu organisieren. Gut, dass jeder Tag einen Abend hat, an dem man nach der Praxis noch etwas Arbeiten kann.

Aus Sicht der Pandemie in Bayern fallen morgen viele Beschränkungen, was ein sehr geteiltes Echo hervorruft. Ich kann mir definitiv nicht vorstellen, im Gedränge eines Geschäftes ohne Maske einzukaufen, es geht mir zu schnell. Das Ende der Vorschriften signalisiert vielen Bürgern, dass die Pandemie, die für einige sowieso nur ein Ärgernis war, nun vorbei sei.
Einer der politisch Hauptverantwortlichen für diesen ?Freedom Day?, der Bundesgesundheitsminister Lauterbach jammert jetzt schon rum, dass doch bitte die Bürger weiterhin Masken tragen sollen. Er, der die Vorschriften aktiv beendet, hat nun Angst vor der eigenen Courage! Schon ein Unterschied, ob man nun in der Rolle des Verantwortlichen steht, oder ob man in Talkshows der Welt erklärt, was die Verantwortlichen alles hätten besser machen sollten, so wie er es über Jahre betrieben hat.
Bei all dieser Kritik bin ich nicht so sicher, was nun kommen wird: In den USA, in denen die Pandemie böse gewütet hatte, liegen die Infektionszahlen bei 35/100 000, in England hingegen auf einem Allzeithoch, krasse Gegensätze.
In Ländern, die bislang aus vielfältigen Gründen verschont geblieben waren und gleichzeitig nicht gut geimpft sind (niedrige Impfzahlen oder vermutlich nicht so schützender Impfstoff) entwickelt sich das Infektionsgeschehen jetzt erst richtig: In Hongkong seien wohl unter 50% der Bürger überhaupt geimpft, gerade die Älteren trauen der Impfung nicht. Dort schlägt die aktuelle Omikronvariante schlimm zu und fordert viele Opfer.
Das Zauberwort scheint Immunnaivität zu sein: Wer schon Kontakt zu Corona hatte, sei es durch Impfung oder Infekt, scheint weitaus geringer schlimm zu erkranken. Somit könnte es durchaus sein, dass es für unseren Landkreis (130 000 Einwohner) mit seinen vielleicht 70 % Geimpften (91 000) und über 41 000 Infizierten (+Dunkelziffer) relativ glimpflich abgeht, mit dem Freedom Day.
Wir werden sehen.
Inzwischen haben die Stare, vormalige Wollpuschel im Baum, eine wundersame Wandlung durchgemacht, plustern sich, tänzeln, schlagen mit den Flügeln und versuchen mit prächtigem Federkleid die schönste aller Starinnnen herbeizuträllern. Und die Frühlingssonne belächelt das alles von oben, wobei weiterhin Schneeflocken vorbeitreiben.

***

... comment