Dienstag, 17. Mai 2022
So., 1. Mai 2022
Dr. Lohse berichtet: Die 110. und 111. Woche der Pandemie in Münsing
Jetzt ist er da, der Frühling! Gestern, am letzten April packe ich erstmals den Rasenmäher aus und mähe ein paar Wege in unsere Wiese, die wir seit Jahren auswachsen lassen. Das Vogelhäusel verschwindet, Kübelpflanzen kommen aus der Garage auf die Schattenseite des Hauses, das Jagdgewehr wird geölt und gereinigt, ein paar Probeschüsse donnern übers Feld.

Vor zwei Jahren erstarrte alles, die Wachhütten für die Maibäume wurden verschlossen, nun gab es wieder die ersten Wachhütten, eng auf eng wie eh. Im Nachbarort wurde ein Theaterstück im Gemeindesaal aufgeführt, das Leben erwacht nach zwei Jahren Erstarrung wieder. Zwar weiß ich inzwischen von etwa zwei Dutzend Infektionen nach dem Theaterabend, zwar gibt auch meine Coronawarn-APP Alarm, da im Rückflug von Mallorca wohl Infizierte an Bord waren. Aber die Emotionen bleiben bei den meisten gelassen, wir testen uns, die Infizierten werden krankgeschrieben und bei schwierigerem Verlauf medizinisch betreut. Die Inzidenzen liegen im 500-600er Bereich. Der ganz große Unterschied ist, dass die Verläufe weit überwiegend relativ milde verlaufen. Zwar sind viele beeindruckt, wie plötzlich man doch sehr krank werden kann, aber es dauert nicht lange und die Besserung stellt sich wieder ein. Allerdings treten bei dieser Masse von Infizierten, im Landkreis immerhin über 45 000 offiziell bestätigte Ansteckungen (+eine hohe Dunkelziffer) zusätzlich zu den sehr vielen Impfungen kaum schwere Verläufe auf. Etwas irritiert bin ich über die in Deutschland immer noch oft hohen Sterbezahlen. In unserem Landkreis sind es wirklich nur noch wenige.
Ist die Pandemie vorbei?
In Europa entspannt es sich, die Vorschriften werden wöchentlich weniger. Die Maske wird sicher viele von uns noch lange begleiten: Uns in der Arztpraxis, dort sind viel zu viele Erkrankte. Mich auch beim Einkaufen und bei Ereignissen, deren Getümmel ich nicht vorhersehen kann, einen krankheitsbedingten Ausfall möchte ich zumindest nicht fahrlässig herbeiführen. Erstaunlicherweise bin ich immer noch nicht erkrankt, Gelegenheit wäre reichlich gewesen. Vielleicht verdanke ich das der ungeliebten Maske, wer weiß? Aber wenn ich das allgemeine Geschehen rundrum betrachte, könnte man meinen, dass nun wirklich Entspannung eintritt und die Pandemie zu einer ?gewöhnlichen leicht übertragbaren Infektionskrankheit? geworden ist. Im Augenblick stimmt das, da die aktuelle Variante der Erkrankung erfreulicherweise nicht so gefährlich ist ? aber immer noch genug Schaden anrichtet. Diese Kombination, die aktuelle Virusvariante, die nicht so tödlich ist, und die immer weiter abnehmende Immunnaivität führen zu einer Abschwächung der Dramatik. Wir können die Wachhüttn für die Maibaumwache wieder öffnen, kommenden Sonntag Erstkommunion mit Familie feiern, uns treffen. Eigentlich ist die Pandemie für uns jetzt schon irgendwie herum.
Aber im fernen Osten versucht die Regierung Chinas weiter die Null-Covidstrategie zu fahren, wodurch es immer noch sehr viele Immunnaive gibt. Trotz aller Repressalien und Kontrollen über die Kommunikation dringt das eine oder andere aus dem abgeschotteten Riesenreich: Auch in Peking zunehmende Lockdown-Maßnahmen, angeblich bald ein Drittel der gesamten Bevölkerung unter Beschränkungsmaßnahmen im Sinne Lockdown, Ausgangsbeschränkung etc. Nicht ein kleines bisserl Lockdownerl mit der Erlaubnis des Spazierganges oder Aztbesuches. Nein, richtig eingesperrt. Die Lebensmittelversorgung scheint ebenso unsicher zu sein wie die medizinische Versorgung, Infizierte werden ohne Rücksicht auf Alter oder Familienverbund in total überfüllte Quarantäneeinrichtungen gesperrt, da möchte ich gar nicht wissen, wie hoch die Dunkelziffer ist.
Neben dem unberechenbaren Ukrainekrieg und der Russlandkrise ist dieses Geschehen in China für mich beklemmend, wenn auch weit weg. Aber mit der intensiven Vernetzung der Weltwirtschaft wird es auch uns massiv treffen, unausweichlich. Vielleicht ein Weckruf, sich zu besinnen und seinen eigenen Konsum zu hinterfragen. Jetzt bin ich etwas abgeschweift, nein in China ist die Pandemie noch lange nicht herum!

Aber für uns in Europa scheint es zunächst überstanden zu sein, die schlimmen und lebensbedrohlichen Infektionen. Es leiden noch sehr viele unter den Folgen: Manche haben monatelange Folgesymptome nach einer Infektion. Viele sind zutiefst verunsichert im sozialen Verhalten, stehen Treffen sehr skeptisch gegenüber, sind mehr oder weniger isoliert. Viele leiden unter wirtschaftlichen Folgen, manche sind Gewinnler. Nicht zuletzt auch die Entwicklung Russlands mit seinem Krieg führe ich auf innere Unsicherheiten und Schwierigkeiten zurück. Damit kann ich mich zwar täuschen, aber nach solch schicksalshaften Seuchen kam es geschichtlich oft zu Umwälzungen. China empfinde ich in dieser Hinsicht als Pulverfass: Wenn das Volk trotz totaler Kontrolle zu meutern anfängt, kann es schon zu einem nach außen gerichteten Ablenkmanöver kommen.

Für mich bringt dieser Frühling jetzt tatsächlich irgendwie das Ende der Pandemie, wenngleich diese neue Krankheit uns sicher noch weiter begleiten wird. Erst wenn neue Mutationen aufträten, die wieder gefährlichere Verläufe verursachen würden, erst dann schwenke ich wieder um in den Pandemiemodus. Bis dahin bleibe ich vorsichtig, trage anlassbezogen meine Maske, werde mich im Herbst wieder impfen und mal sehen was da so kommt.

Ein untrügliches Zeichen für das Ende des pandemischen Zustandes in unserem Land wurde heute nach am Auto unserer Tochter demonstriert. Es wurde anlässlich der gestrigen Freinacht großzügig mit Klopapier verziert. Das wäre vor einem oder zwei Jahren nie passiert, da war Klopapier gerade das Symbol für drohende Mangelversorgung.

***

... comment