Dienstag, 17. Mai 2022
So., 8. Mai 2022
Dr. Lohse berichtet: Die 112. Woche der Pandemie in Münsing
Jetzt bin ich richtig gespannt, ob das alles so stimmt, was ich da in letzter Zeit geschrieben habe.
Für unsere Patienten testen wir uns in der Praxis mindestens zwei Mal in der Woche, oftmals auch täglich, da sehr viele Coronaerkrankte mit uns in Kontakt stehen. Inzwischen kommt fast regelmäßig ein Anruf ?ich war gestern bei Ihnen wegen meines Knies, ich wollt nur sagen, mein Coronatest ist jetzt positiv?. Am Freitag begann ein leichter Jahreszeitenhusten doch intensiver zu werden, seit Samstag fühle ich mich krank und seit heute früh ist mein zur Zeit täglich durchgeführter Schnelltest positiv.



Automatisch generierte BeschreibungMuttertagsfrühstück und Kaffeetrinken bei den Eltern wird abgesagt, mit der Praxis das weitere Vorgehen abgesprochen, jetzt ist wohl erst einmal mindestens eine Woche Pause angesagt. Bei der letzten Mitarbeiterin der Praxis hatte es zwei Wochen gedauert, bis sie wieder negativ war.

Wenn die Rede des Arztes meines Vertrauens stimmt, stehen mir nun paar Tage grippigen Krankseins und dann etwas Langeweile bevor. Wäre ich ein Normalbürger, so dürfte ich nach fünf Tagen der Selbstisolation wieder meinen Alltagsdingen nachgehen, nicht aber als Mitarbeiter eines medizinischen Betriebes. Hier muss ein negativer PCR-Test vorliegen, bevor ich wieder auf die Menschheit losgelassen werden kann.

Danach sollte ich nach drei Impfungen und einem Infekt gut gewappnet sein für die kommenden Stürme der Pandemie. Was nur stelle ich jetzt mit so viel unverhoffter Zeit an?

Der Schreibtisch biegt sich. Mein Konto wird sich freuen: An das Landratsamt muss ich noch meine gesammelten Codo-Rechnungen stellen ab Dezember. Die Arzt-/ Laborrechungen wollen bei der Krankenkasse eingereicht werden. Der Wasserhahn wartet seit Monaten auf seine Reparatur, die Garage muss dringendst aufgeräumt werden. Und die Steuer ?

Nach den Weisungen meines Umfeldes soll ich mich jetzt schonen, aber mindestens die rote Mappe muss gemacht werden. Die rote Mappe ist so etwas wie das schwarze Loch meiner bürokratischen Seele: Wo ich in der Kliniktätigkeit in Leitungsposition sicher 70 % Schreibtätigkeit (elegant ausgedrückt ?administrative Tätigkeit?) ausführen musste, sind es in der niedergelassenen Praxis nur 10 %. Aber bei wöchentlich 50 Stunden Patientenarbeit sind das ja auch noch 5 Stunden. Krankenkassenanfragen, Atteste für dies und das, Bescheinigung nach Unfall, Ausfüllen eines Kurantrages, Berichte für das Versorgungsamt wegen Grad der Schwerbehinderung. Das alles für sich hat seine Berechtigung, ist im Einzelfall sehr wichtig für den Patienten und entscheidet auch darüber, ob einer eine Rente bekommt, auf Kur geschickt wird oder ähnliches. Da es nun mal so wichtig ist, vernichte ich diese Anfragen nicht gleich, sondern lege ich sie in meine rote Mappe. Stück für Stück. Da liegen sie dann.
Meine Mitarbeiterinnen, die am Telefon die entsprechenden Nachfragen geschickt zu parieren versuchen, ziehen dann maximal dringende Papiere heraus, legen sie auf den Schreibtisch, versehen mit einem kleinen Zettelchen ?dringend, sonst bekommt Pat kein Krankengeld!?. Dann hoffe ich auf eine Lücke zwischen zwei Patienten, um das Formular schnell auszufüllen, warte auf ein verregnetes Wochenende, um ein paar Dinge wegzuarbeiten und habe ein bisserl ein schlechtes Gewissen. Vor einem Urlaub allerdings ist die Mappe leer. Da wird dann einen oder mehrere Tag hingearbeitet, alles diktiert, ausgefüllt oder geschreddert (es kommen ja auch Erinnerungen, später Mahnungen dazu) und ich kann leichten Herzens in den Urlaub fahren. Allerdings wieder mit einem klitzekleinen schlechten Gewissen, da ich so kurz vor dem Urlaub unseren eh schon stressgeschädigten Mitarbeiterinnen den Stress des Weiterverarbeitens (Kopieren, Rechnung schreiben, stempeln ..) produziert habe. Da kommt dieser Infekt jetzt gerade recht: Es fängt in der Praxis vielleicht an, etwas ruhiger zu werden, alle Mitarbeiterinnen und die Kolleginnen sind wieder da, da könnte ich doch die rote Mappe wieder auf einen Nullpunkt bringen und hätte kurzzeitig kein schwarzes bürokratisches Seelenloch.
Außerdem habe ich vielleicht, nach roter Mappe, Wasserhahn, Garage und Rechnungen noch Zeit, ein kleines Fest zu organisieren. Nach über zwei Jahren Pandemie, mit dem Übergang der Pandemie in eine endemische Infektlage möchte ich ein Zeichen setzen. Ein Zeichen, dass wir uns wieder Treffen können, dass vielleicht das Schlimmste für unsere Praxen, Ärztinnen, Ärzte, Mitarbeiter und Familien vorbei ist, zumindest, dass wir eine echte Pause haben. Nachdem ich im Landkreis inzwischen weit über 70 Arztpraxen per Mail ?kenne? und wir seit über zwei Jahren teils sehr unkonventionell an einem Strang ziehen, sollten wir uns zu einem gemeinsamen landkreisweiten Fest treffen. Da unsere Stärke darin liegt, mit dem Landkreis und seinen Institutionen auf guter Augenhöhe zusammenzuarbeiten, laden wir die Mitstreiter von dort auch gleich ein, dazu noch die Verantwortlichen der Impfzentren und wen wir noch mögen. Wir, das sind ein befreundeter Kollege aus Bad Tölz, der das, was ich für die niedergelassenen Ärzte mache, für die Kliniken übernommen hat. Über diese schwierigen Zeiten sind wir ein gutes Team geworden. Spontan hatten wir gesagt, ?Du bringst a Fassl Bier, ich a Wildsau als Spanferkel mit?, aber erstens wird das nicht reichen, zweitens gibt es ja Menschen, die Spanferkel/Grillfleisch nicht mögen. So tasten wir uns nun vorsichtig an die ersten Organisationsfragen voran, fragen ab, wer in der Orga helfen könnte, welche Dimensionen das Ganze erreichen könnte, um den richtigen Ort für unser Fest zu finden. Damit wir dann genug Fässer Bier, Limo, Wasser, Spanferkel, Saläter und Alternativen haben.

Zusammenfassend kommt meine aktuelle und erste Coronainfektion gerade zur rechten Zeit. Vor einem oder zwei Jahren hätte ich noch ziemlich mit Bangen in die nächsten Wochen geblickt, aber so vertraue ich dem Schutz meiner Impfungen und der geringeren Gefährlichkeit der Omikronmutation. Ich bin nun eigentlich selbst der Prüffall, ob wir uns wirklich etwas entspannen können
Ob beim Schreiben des nächsten Blogeintrages die Garage wohl aufgeräumt sein wird? Zweifel über Zweifel ?

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