Montag, 13. Juli 2020
Mo., 13. Juli
Dr. Lohse berichtet: Die 18. Woche der Pandemie in Münsing
„May the road rise to meet you“ – ein irisches Segenslied voller Andacht und Glauben. Im März sangen wir es mit dem Kirchenchor in Holzhausen, im letzten Gottesdienst für lange Zeit, wie wir danach erfuhren. Heute singen wir es zu viert in der Ickinger Kirche. Weit oben, weit hinter den anderen, da durch Singen offenbar Wolken von Aerosolen freigesetzt werden. Das vorsichtige Singen in unseren Kirchen beginnt wieder. Das vorsichtige Hoffen, dass es irgendwie wieder gut wird.

Übermorgen treffen wir, die Münsinger Coronatruppe, uns und bestellen eine Pizza. Dabei wollen wir zurückblicken und werden dann versuchen, einen Ausblick zu wagen. Ganz vordergründing steht die Frage im Raum, ob wir nach dem Urlaub ab Mitte August Testungen in großer Zahl brauchen werden. Jetzt schon, in den letzten 10 Tagen, ist der Bedarf sehr stark gestiegen. Da wir unseren Drive-In im Gewerbegebiet in der Hoffnung auf ruhigere Zeiten stillgelegt haben, müssen wir die Abstriche jetzt wieder vor der Praxis durchführen, was in dieser Menge echt schwierig und sicher der zweitbeste Weg ist. Allerdings gehen wir ja in kurzer Zeit für drei Wochen in Urlaub, da vorher noch einmal aufbauen? Jetzt mogeln wir uns halt durch. Das Straßenbauamt verwöhnt uns – damit es nicht langweilig oder gar planbar wird – mit einer Baustelle und baggert genüsslich in Stücken die Straße vor der Praxis auf.
In einer Diskussion mit einer Kollegin ist für mich ein neuer Aspekt aufgetaucht: Die Kollegin forscht in einer Münchner Uni zur Frage der Immunitätsentwicklung und berichtet von der Besonderheit dieses verflixten Virus. Es scheint Teile des Immunitätsgedächtnisses nachhaltig zu stören und die körperliche Abwehr der Patienten über Monate, vielleicht länger nachhaltig zu beeinträchtigen. Da passen die Berichte, dass in Südkorea erneute Infektionen bei schon Genesenen auftreten, dass meine Patienten auch nach Monaten noch nicht wieder fit sind, dass bei den Webasto-Mitarbeitern die Antikörper zunehmend verschwinden. Die Kollegin ist von Zweifeln geplagt, ob die Entwicklung einer Impfung bei dieser besonderen Art des Krankheitserregers die erhoffte Wende erbringen kann.

Die Forschungen laufen augenblicklich in verschiedene Richtungen: Die Entwicklung von Impfungen, sehr wichtig und für die forschenden Firmen sehr lukrativ. Die Entwicklung von Medikamenten, augenblicklich vor allem das Testen von schon vorhandenen Medikamenten. Sehr wichtig und für die forschenden Firmen sehr lukrativ. Und die Grundlagenforschung. Dieser Ast der Forschung kostet viel Geld, bringt außer Ehre wenig ein und ist weltweit lange vernachlässigt worden. In Deutschland findet diese Grundlagenforschung wie in einigen anderen Ländern noch und wieder statt. Da sitzen Grüppchen von meist nicht sonnenverbrannten, aber viel belesenen Forscherinnen und Forschern mit Tassen erkalteten Kaffees zusammen, zählen Rezeptoren mit geheimnisvollen Codierungen, beobachten Zellen, deren Existenz der Normalbürger noch nicht einmal geahnt hat. Sie suchen das Virus und sein Programm zu verstehen. Sie stoßen auf viel Fremdes und Neues, Theorien zur Immunologie werden in Frage gestellt. Wissenschaft ist der ständige Prozess des Prüfens, Versuchens, Beobachtens, Theorien werden aufgestellt und wieder eingeworfen. Persönlich lasse ich mich immer wieder davon anstecken, aber es ist Vorsicht geboten, da als Hausarzt nicht zu tief zu versinken.

Was bedeutet das Ganze für „uns da draussen?“.
Nun kommt wieder der langweilige Teil: Wir wissen nicht was kommen wird, sollten auf vieles vorbereitet sein. Dazu sollten wir uns erholen und genießen, wo es gut möglich ist. Vorsicht walten lassen, wo es nötig ist. Ich persönlich bin mir nicht mehr so ganz sicher, dass mit der erfolgreichen Entwicklung einer Impfung „alles gut sein wird“. Ich glaube, ich werde in nächster Zeit versuchen, den Grundlagenforschern etwas über die Schulter zu blicken.
Und übermorgen mit dem Münsinger Coronateam eine Pizza voller Genuss verspeisen, um dann zu planen, wir ab Mitte August ganz konkret weitermachen.

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