Sonntag, 7. Februar 2021
So., 7. Februar 2021
Dr. Lohse berichtet: Die 48.Woche der Pandemie in Münsing
Aus der Sahara bläst es den roten Sand, vom Atlantik aus den Schnee und von Skandinavien her wird es kalt. Nichts ist so, wie es damals in der guten alten Zeit war – die Meldungen überschlagen sich. Und was da aus aller Herren Länder von Mutationen daher kommt, da möchte man ja weglaufen. Besser, ich klappe die Zeitung zu, und füttere nun erst einmal die Vögel. Mit kalten Fingern und roter Nasenspitze kehre ich ummantelt von frischer lebendiger Luft, ganz ohne Wüstensand wieder in die warme Küche zurück. Eier, das ist das Gebot der Stunde. Wenn schon der netten Nachbarin sorgsam gehegte Hühner in unserem Garten scharren (es sind nur zwei), dann soll doch ein Sonntagsei den Tag einleiten. Dazu eine schöne Musik, steht nur noch die Frage im Raum, ob das Brot getoastet werden möchte oder nicht ….

Diese Ruhe, das Bewusste herausnehmen aus dem Trommelfeuer der Informationen, das hilft. Nun beim Kaffee den Vögeln zusehen, relativiert die Schneewinterdramatik im Norden, mir fallen wieder Bilder meiner Kindheit ein, als Panzer der Bundeswehr im Schneechaos halfen, als Hubschrauber versuchten, den Schnee von den Baumwipfeln zu schütteln. Bilder der ersten „eisernen Lungen“ erinnern an die schrecklichen Polioepidemien meiner Urgroßeltern. Alle Zeiten hatten ihre Dramen, ihre Herausforderungen, das möchte ich nicht relativieren. Diese Zeiten konnten überwunden werden, forderten tragische Opfer, aber standen dann eines Tages in den Geschichtsbüchern.

Die äußere Lage um uns herum scheint sich zu beruhigen, die Infektionszahlen sinken, in den Kliniken sinkt die maximale Anspannung, auf den Intensivstationen werden weniger verzweifelte Kämpfe geführt. Aber viele Personen mit denen ich seit vielen Monaten zusammenarbeite und versuche die Folgen der Pandemie zu bekämpfen, sind erschöpft und brauchen Erholung. Der Aufbau der Impfzentren, der Impflogistik, die Aufholjagd dessen, was unsere Landespolitik im Sommer verschlafen hat, kostet Kraft und verschleißt Menschen. Mit Sorge sehe ich, dass Mitstreiter und Freunde ausbrennen. Diese Erschöpfung trifft auf Ungeduld. Ungeduld derer, die „endlich“ wieder am Leben teilnehmen wollen, die weniger Angst haben wollen, die das Kapitel SarsCov19 abhaken und in die persönlichen Geschichtsbücher verbannen wollen.
Als koordinierender Arzt im Landkreis bin ich mit anderen zuständig für das Impfzentrum und die Impfreihenfolge. Hier bin ich, wie die Verantwortlichen im Impfzentrum und im Landkreis, konfrontiert mit wöchentlich neuen Regeln. Mit neuen Schwerpunkten der Politik, die Zahlen fordert, dabei jedoch Erschwernisse und Vorschriften, aber nur wenig Impfstoff liefert. Wir sind konfrontiert mit vielen Bürgern, die voll der Überzeugung sind, dass sie dies und jenes Recht, auf jeden Fall mehr Recht als der andere haben. Das Gesellschaftsexperiment der Priorisierung ohne Rücksicht auf Stand, Herkunft oder Reichtum erfordert Härte – Härte gegen Begehrlichkeiten der Nimmersatten, aber auch Härte gegen wirklich bedauernswerte Menschen, die einfach noch nicht geimpft werden können und doch so dringend Schutz bedürften.
In diesem Umfeld, in dem erschöpfte Protagonisten auf vollmundige Politikerversprechen und eine ungeduldige Bevölkerung treffen, wird die Gefahr von Spaltung und Scheitern immer größer. In vielen Landkreisen beginnen Schuldzuweisungen, gegenseitiges Beobachten und Rechten – nicht wenige fallen mit Burnout oder Frust aus.
Nachdem es mir persönlich gut geht und meine Kraftquellen munter sprudeln, bin ich zwar oft angespannt und gelegentlich müde, habe aber nicht das Gefühl, kaputt zu gehen. Allabendlich nach der Arbeit in der Praxis sitze ich noch einige Zeit, oft mehrere Stunden und beantworte Mails, versuche den Ball flach zu halten und zu koordinieren. Ich kann nicht die Entscheidungen anderer treffen, aber ich kann versuchen, die Emotionen zu entspannen, die Müden ermutigen, eine Pause zu machen, die Müßigen anschieben und die Ungeduldigen zu besänftigen. Viele kleine undramatische Schritte, in der Summe ein langer wichtiger Weg.
Aber ich bin im Ganzen mit unserem Teil des Werkes recht zufrieden, wir kommen voran, wir können immer wieder Initiative entwickeln anstatt nur zu reagieren.
Angenommen wir hätten eine nicht realistische Fehlerquote von nur 1 % falsch gegebener Impfungen (an die „falschen“ Personen wohlgemerkt), dann hätten wir wohl schon 30-40 Fehler gemacht. Was wollen wir nun beurteilen? Die 99% Richtigen oder die 40 Falschen? Halb volles Glas oder halb leeres Glas?

Was bin ich froh, sonntags die Vögel füttern zu können, in die warme Küche zu gehen und dies auch alles wirklich zu fühlen und zu leben. Das hält mich in der Balance, das hilft mir, weiterhin mit Gläsern zu jonglieren, seien sie voll, leer oder halb.

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