Dienstag, 26. Januar 2021
Di., 26. Januar
Dr. Lohse berichtet: Die 46. Woche der Pandemie in Münsing
Es wintert weiter, kalt, frostig, windig – aber irgendwie macht es mir nichts mehr aus. Unter den Schuhen knirscht es beim Rehe füttern, die Nase zwickt, die Finger sind rasch klamm, aber die Tage werden länger. Gestern voll lang ausschlafen, in Ruhe frühstücken, schwer mit Nichtstun beschäftigt sein, das will gelernt sein! Ich arbeite noch daran. Heute aber ist nichts von wegen nichts tun.

Heute wurde ich gegen Corona geimpft.

Eine Ärztin, die vor Jahren bei mir im Rahmen des Studiums ein Praktikum gemacht hatte, gab mir in den linken Arm eine Impfung der Firma Biontech.

Parallel zu den Hochbetagten haben medizinische Einrichtungen, die direkt mit Coronapatienten arbeiten (Notaufnahmen, Intensivstationen, Covidstationen, Covidambulanzen und Arztpraxen mit Infektsprechstunde) eine hohe „Priorisierung“, also Berechtigung auf eine Impfung.
Da zähle ich dazu. Da am Donnerstag nach langer Durststrecke auf einen Schlag überraschend viele Impfungen geliefert wurden und diese Impfungen morgen verfallen, werden nun diese berechtigten Gruppen telefonisch einbestellt.

Nach drei Wochen folgt die zweite Impfung, dann dauert es etwa noch eine Woche, dann bin ich zu 95 % gegen Corona geschützt. Solange das Virus nicht zu stark mutiert.
Hoffentlich hat diese Impfholperei nun allmählich ein Ende. Wir haben im Landkreis etwa 9000 Bürger über 80 Jahren, da könnte es bald gelingen, diese Gruppe geimpft zu haben.

In meiner Rolle als Codo habe ich eine interessante Zuschauerperspektive: Die einen möchten mir mit allen Mitteln klar machen, dass Corona und das alles Unfug sei. Die Impfungen nur ein riesiger Betrug, damit „die da“ uns manipulieren können. Da kommt sicher einmal pro Woche ein Patient in die Praxis, um mich zu überzeugen. In der Breite werden diese Ansichten aber weniger. Die wenigen Verbleibenden aber radikaler.

Andere haben nun gesehen, dass die Impfungen gut verträglich sind und versuchen mit allen Mitteln, in den Genuss einer solchen Impfung zu kommen. Da werden falsche Angaben zu Alter oder Wohnort gemacht, täglich Mails geschrieben …. Ich verstehe die Not eines jeden, der sich mit einer schweren Krankheit abplagen muss, der seine betagten Eltern betreut oder behinderte Angehörige hat. Diese Menschen aber reihen sich eigentlich fast immer ein, respektieren die Prioritätsreihenfolge für die Impfungen. Aber ganz vorne bei den von mir beobachteten Dränglern stehen Menschen mit einer gestörten Frustrationstoleranz, die unbedingt geimpft werden müssen, da sie dann wieder in den Urlaub fliegen können, da sie die Schnauze mit diesem Sch…. Corona voll haben. Jetzt sofort!
Ich finde es ein hochmoralisches Experiment unserer Gesellschaft, sich erst auf eine Impfreihenfolge zu einigen. Dann dieses auch einzufordern. Den Versuchen von Geld und Macht zu widerstehen und stur gemäß der Reihe zu arbeiten, Schutz zuerst den Schutzbedürftigen.
Beim Blick über diverse Grenzzäune sieht man viele Bevorzugungen. Wenn man sehr genau durch unsere Lande sucht, werden einem auch schwarze Schafe unterkommen, da bin ich sicher. Aber andererseits sehe ich unglaublich viele, die sich hinten anstellen, obwohl sie in der allgemeinen Wahrnehmung wichtig wären. Verantwortungsträger in Politik und Wirtschaft – da brechen bei mir gerade ein paar Vorurteile zusammen. Bin gespannt, wie ich das in drei bis vier Monaten sehe, jetzt geht ja die Diskussion los, ob eine geimpfte Person weniger unter Beschränkungen stehen kann, als ohne Impfung. Das wird noch spannend.

Jetzt bin aber ich ganz persönlich und unmittelbar gespannt, wie ich meine Impfung vertrage. Meistens tut mir – zum Beispiel bei Wundstarrkrampf – der Arm eine Woche lang weh. Noch geht es mir gut.

***

... link (1 Kommentar)   ... comment