Dienstag, 7. September 2021
Mo., 30. August bis 11. September 2021
Verreisen in Corona-Zeiten

1. Die Planung


Als unser Sohn mit fünf Freunden beschlossen hatte, in die Toskana zu fahren, dort zusammen ein Haus zu mieten und den Siebensitzer einer der Eltern zu nehmen, war schnell klar, dass nicht auch noch das ganze Gepäck hineinpassen würde. Außerdem schreiben die italienischen Corona-Regeln vor, dass in einem Siebensitzer nur fünf Leute reisen dürfen, falls diese aus verschiedenen Haushalten stammen - was übrigens für Südtirol und das Veneto nicht gilt, wohl aber für weiter südliche Provinzen, und da wollten sie ja hin. Außerdem müssten alle im Auto Mund-Nasenschutz tragen, aber erst südlich von Verona, also ab Emilia Romagna. Um das Ganze abzukürzen: Meine Frau und ich beschlossen, ebenfalls für eine Woche in die Toskana zu fahren, allerdings an einen anderen Ort mit gebührendem Sicherheitsabstand von circa 50 Kilometern. Wir wollten dann unseren Sohn und einen Teil des Gepäcks mitnehmen und beides bei deren Quartier abliefern. Ein anderer Mitfahrer aus einem weiteren Haushalt kam nicht in Frage, da wir sonst alle hätten Maske tragen müssen, zumindest ab Verona Süd.


2. Die Vorbereitungen

Es mussten also neben der Buchung des elterlichen Urlaubssitzes folgende Dinge erledigt werden:

Covid-Pass aufs Handy, zusätzlich noch auf Papier, falls kein Netz oder Akku leer.

Einreise-Ankündigung für Italien online ausfüllen für meine Frau und mich, was äußerst kompliziert war, weil manche Fragen italienisch gestellt waren, andere in schlecht übersetztem Deutsch, weitere in ebenso schlecht übersetztem Englisch. Ich darf hier kurz erwähnen, dass die Frage nach der Personalausweisnummer optional gestellt war, musste also nicht beantwortet werden, was ich auch nicht tat. Als ich die zweite Reiseankündigung, jene für meine Frau, ausgefüllt hatte, meldete das Programm überraschenderweise folgenden Fehler: Sie haben für zwei Personen die selbe Ausweisnummer eingegeben. Ich solle nochmals von vorne anfangen. Diesmal gab ich die österreichische Passnummer meiner Frau, was reibungslos funktionierte. Offenbar ist es so: gibt man zweimal nacheinander keine Nummer ein, meint das Programm, es wäre die selbe Nummer. Aber gut, ich holte die entsprechenden QR-Codes auf unsere Handys und druckte sie zusätzlich noch aus, falls kein Netz oder Akku leer.

Um möglichst kontaktarm und digital reisen zu können, buchten wir vorab noch die Vignette für die Österreichische Autobahn und die Mautgebühr für die Brenner-Autobahn. Das klappte erstaunlich gut, aber klar, die wollen ja auch an unser Geld. Da gibt man sich gleich mehr Mühe. Also holte ich auch hier die Codes aufs Handy und druckte sie zusätzlich noch aus, falls kein Netz oder Akku leer.


3. Die Hinreise

Wir haben die gesamte Zeit der Kindererziehung hindurch versucht, wenigstens einige private Regeln zu setzen sowie Regeln, die von außen kommen, einzuhalten, und dies auch den Kindern zu vermitteln, was auch soweit ganz gut gelang. Corona, und vor allem Corona-Reisen nach Italien stellen in dem Zusammenhang eine bisher ungekannte Herausforderung dar. Unser Sohn will nicht bei uns mit im Auto fahren, auch nicht ab Verona. Nun müssten sie also alle sechs mit umgeschnallten Masken im Siebensitzer hocken und darauf hoffen, nicht von den Carabinieri angehalten zu werden, die von ihnen die für diesen Fall angedrohten 400 bis 3.000 Euro kassieren würden. Wobei auch völlig unklar ist, ob sich diese Drohung auf jeden einzelnen Mitfahrer bezieht oder auf das gesamte Auto, womit die Palette von 400 bis 18.000 Euro reicht. Das bleibt einfach mal offen, ebenso wie offen bleibt, in welchem Fall eine hohe bzw. niedrige Strafe verhängt wird. Wir Eltern machen klar, dass wir eine eventuelle Strafzahlung keinesfalls übernehmen würden, sind aber insgeheim ganz zufrieden damit, dass wir nun lediglich als Gepäckspediteure herhalten müssen, auch weil die Jungen schon um fünf Uhr früh losfahren wollen, wir dagegen erst eine Stunde später. Außerdem ist es unser erster Zweisamkeitsurlaub seit fast 20 Jahren, und da braucht der Bua nicht bei uns drin sitzen, wo er doch eh viel lieber mit seinen Spezis unterwegs ist.

Bei der Fahrt stellte sich dann heraus, dass nichts, aber auch gar nix, kontrolliert wurde, weder Masken noch Papiere oder Codes, womit der Verdacht bestätigt wurde, den die Jungen schon die ganze Vorbereitung über hinausträllerten. Wir, die Alten, stehen jetzt natürlich da wie übervorsichtige Dodel, die vom wirklichen Leben keine Ahnung haben. Netterweise lassen sie uns das nicht spüren, als wir ihnen an ihrem Zielort das Gepäck vorbeibringen.

Was hervorragend funktioniert hat, ist die digitale Brennermaut und das ebenso digitale Bickerl, also die Vignette für die Ösi-Autobahn. Da wird das Autokennzeichen während der Fahrt irgendwo unbemerkt von einer Kamera gescant, und alles ist gut. Man braucht noch nicht mal abzubremsen. Das ist die Vorstufe zur Gesichtserkennung. Da muss man dann nur noch seinen Kopf vor die Bildschirmkamera halten und alles weitere geht automatisch über die Kreditkarte. Außer man hat nicht genug Kredit, das ist dann blöd, weil man zu Hause bleiben muss. Aber coronamäßig ist das gar nicht so schlecht. Man kommt dann zumindest nicht in die Situation, eine italienische Autobahnherrentoilette aufsuchen zu müssen, was pandemisch gesehen ein echter downer ist: Die Pissoirs sind, durch Keramikplatten getrennt so eng montiert, dass zwar der Noch-Bundesaußenminister gut dazwischen passen würde, aber keinesfalls der Noch- Bundeswirtschaftsminister. Bei mir geht es einigermaßen. An der Wand über den Urinalen befindet sich ein großer roter Warnhinweis, dass neben jedem besetzten Pissplatz beidseitig ein Meter Abstand eingehalten werden müsse, was in der Praxis hieße, dass neben jedem Platz zwei frei bleiben müssten. Von den in diesem Fall acht Pinkelplätzen dürften also nur drei benutzt werden. Wie das gehen soll in einer überfüllten Autobahnstation, wo Hunderte Reisende gleichzeitig einfallen und mit zugezwickter Blase auf Erleichterung hoffen, bleibt unerklärt. Tatsächlich sind natürlich sämtliche Plätze besetzt. Da heißt es: Maske festzurren, nichts berühren außer Wasserhahn und Desinfektionsmittelspender, und schnell wieder raus.


4. Autofahren in Italien

In Italien ist autofahrmäßig eindeutig schlimmer als Deutschland. Bei uns wird zwar zu schnell gefahren, was (noch) nicht verboten ist, aber es halten sich die meisten Verkehrsteilnehmer weitgehend an die Regeln. Von den Italienern hingegen hält sich kaum einer an irgendetwas. Durchgezogene Linie, Überholverbot - Fehlanzeige, Blinker - was ist das denn? Bei Tempo 130 auf einen halben Meter hinten auffahren - völlig normal. Auf der Landstraße bei Tempolimit 80 fährt rund jeder zweite 120.
Im ganzen Land gibt es alle paar Kilometer diese großen grünen oder blauen, schon etwas angerosteten Schilder, auf denen Controllo elettronico automatica della velocitá steht. Angeblich hagelt es bei Übertretungen satte Geldstrafen bis hin zu Fahrverboten. Erlebt man die Situation auf den Straßen, so kann man sich nur sehr schwer vorstellen, dass das irgendwie kontrolliert wird, sonst wären weit weniger Autos unterwegs.
Gerade eben fuhr vor uns im Kreisverkehr ein schwarzglänzender Mercedes mit abgedunkelten Scheiben. Fenster geht runter, eine Hand erscheint und wirft einen Halbliter-Kaffeebecher vollgestopft mit Müll hinaus. Mitten auf die Straße. Völlig egal, Hauptsache, der Dreck ist nicht im eigenen Auto.


5. Am Strand

Wenn man nur eine Woche zum Strandurlaub wegfährt, ist es gut, wenn man möglichst schnell einen Platz findet, an dem man sich wohlfühlt: also geräumiger Sandstrand, einigermaßen sauberes Wasser, schöne Wellen, Parkplatz in der Nähe und eine Cappucino-Bar in Reichweite.



Von unserem Parkplatz südlich von Punta Ala aus muss man etwa 100 Meter einen schmalen Weg durch übermannshohes Macchiagestrüpp laufen, der von dichtem Maschendrahtzaun beidseitig begrenzt ist, bevor man auf den weitgehend naturbelassenen Strand trifft, an dem sich zwischen bunten Sonnenschirmen die Menschen lümmeln und tummeln. Den besagten Weg entlang sitzen gelangweilte Schwarzafrikaner mit Mund-Nasenschutz, die große bunte Tücher anbieten, mit denen der Zaun fast auf seiner ganzen Länge dekoriert ist, und von denen man annehmen könnte, es handele sich um afrikanische Volkskunst.



Ich nehme einen kleinen Flyer mit, den mir einer der Afrikaner hinhält. Es stellt sich heraus, dass jedes bayerische Pschorrtücherl mindestens so afrikanisch ist wie diese Textilien. Es handelt sich um indische Tücher, die von einer Firma in Bergamo vertrieben werden, die vermutlich die Afrikaner bezahlt und sie nach Feierabend samt den restlichen Tüchern einsammelt und einem Kleinbus mit der Aufschrift IS wegbringt. Dort, wo vorher die Tücher hingen, stinken nun hübsch geformte Fäkalienwürste vor sich hin. Lecker. Aber wo sollen die Verkäufer sich auch erleichtern, wenn sie den ganzen Tag hier rumhängen müssen.


6. Die Wohnung

Das ist der Ausblick aus der Wohnung, die wir für eine Woche angemietet haben. Montemassi, südliche Toskana, Maremma.



Ich hatte schon die Befürchtung, dass es hier viele Mücken gäbe, denn das Gebiet war bis ins 19. Jhd. ein sumpfiger, feuchter Landstrich, der sich von den hügeligen Ausläufern der Toskana bis zum Meer erstreckte und in dem die Malaria wütete. Umfangreiche Entwässerungsarbeiten mit Kanälen und Drainagen ließen die Landschaft zu einem landwirtschaftlich genutzten Gebiet mit Oliven- und Weinanbau werden und führten dazu, dass mich bisher noch keine einzige Mücke gestochen hat.
Die Wohnung ist ein bisschen altmodisch möbliert, verfügt über drei Schlafzimmer, Wohnzimmer, eine gut ausgestattete Wohnküche, ein großes Bad und rundum Balkone, alles funktioniert fast schon unitalienisch perfekt, und das für knapp über 30 Euro pro Tag. Da kann man nicht meckern.
Das einzig Unangenehme ist, dass die beiden armen, aber eigentlich ganz netten Hunde der im Parterre wohnenden, ebenfalls ganz netten Hausbesitzer den ganzen Tag angebunden sind und nachts in einem Zwinger eingesperrt werden, wo sie dann erbärmlich jaulen.


6. Abstecher

Auf dem Weg zum Meer kommen wir täglich an mehreren Orten vorbei, die malerisch von zum Teil schroffen Erhebungen herunterblicken. Heute beschlossen wir, einen davon zu besuchen: Buriano. Eine kurvenreiche schmale Straße durch einen dichten Wald lässt uns den Hügel hinaufklettern, und bald tauchen die ersten Mauern des Dorfes über uns auf. In den Ort hinein wird die Straße immer enger und schließlich zu einer Einbahnstraße. Wir steigen aus, um die opulente Aussicht zum Meer hin zu genießen und nach einer Cappucino-Bar zu suchen. Der von unten pittoresk und romantisch aussehende Ort wirkt aus der Nähe ärmlich und wie ausgestorben. Kaum ein Mensch ist zu sehen, und die einzige Bar im Ort öffnet erst am späten Nachmittag. Als wir dennoch auf steilen Gassen durch den Ort spazieren, machen wir eine überraschende Entdeckung: An nahezu jedem Haus ist neben der Eingangstür ein großer Fotoabzug befestigt. Darauf abgebildet sind die Menschen die in diesen Häusern einst gelebt haben oder noch wohnen, allesamt aufgenommen zwischen den 1930er bis 50er Jahren. Bei jeden Foto ist genau dokumentiert, wer abgebildet ist, mit Geburts- und zum Teil auch Sterbedaten.



Irgendjemand hatte damals die fast schon prophetische Idee gehabt, all diese Familien zu fotografieren und zu dokumentieren. Am Ende waren wir fast eine Stunde unterwegs, um uns diese faszinierende Freiluftausstellung anzusehen, und haben das Dorf ein bisschen kennengelernt, obwohl uns nur etwa drei echte Menschen begegnet sind.

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