Sonntag, 12. September 2021
So., 5. Sept. 2021
Dr. Lohse berichtet: Die 76. und 77. Woche der Pandemie in Münsing
Vater ist sehr gut wieder aufgewacht und bewies, dass er auch mit neunzig und einer schweren Vergesslichkeit unbeeindruckt durch die Wirrnisse des Lebens schreitet. Ohne Mutter, die mit ihm im Zimmer ist und ihm geduldig alles wieder von vorne erklärte, hätte es ein Desaster gegeben. So aber sitzt er bereits zwei Tage später wieder zuhause, freut sich über reichlich Besuch und nimmt interessiert den regelmäßigen Verbandswechsel der medizinischen Enkelinnen an seinem Körper zur Kenntnis. Begeistert ob dieser Entwicklung packen wir das Auto voll, düsen gen Süden, steigen auf eine Fähre und befinden uns tags drauf auf der Insel.

Erholung, Abschalten, Baden, Frühstücken, Garteln, --- plupps, da gräbt sich aus den Tiefen meines Hirnes eine Idee heraus, der es zu folgen gilt.

Post Covid Syndrom, eine gesundheitliche Störung in aller Munde. Durch betroffene Patienten bereits damit konfrontiert, gilt es dieses vielgestaltige Bild näher zu betrachten.
Etwa zehn Prozent der Covid-19 Infizierten Personen müssen wegen schwerer Not in eine Klinik, ein nicht geringer Prozentsatz auf eine Intensivstation. Hier verstirbt ein Teil, ein anderer Teil kämpft lange gegen die Erkrankung und kommt dann mehr oder weniger ?gesund? wieder aus der Akutklinik, lange Monate der Schwäche folgen. Hier liegen viele Fallbeispiele vor, hier wird viel geforscht, diese Patienten kommen oft in die Reha und als mahnende Beispiele in die Zeitung.
Die anderen neunzig Prozent aber, die grippale Symptome mehr oder weniger dramatischer Ausprägung haben und nicht in eine Klinik müssen, die liegen ziemlich im Dunklen: Eine forschende Uniklinik sieht diese Patienten nie. Der Hausarzt versucht sein Möglichstes, diese Patienten in der Akutphase aus Gründen des Infektionsschutzes nicht zu sehen. Später, in der ?Erschöpfungsphase? aber kümmert sich eigentlich auch niemand um diese Patienten. Das Gesundheitsamt erfasst jeden einzelnen, hält in der Quarantänephase telephonisch Kontakt und zieht sich dann wieder zurück.
Aber im Alltag der Praxis sehen wir Hausärzte eine Vielzahl von unterschiedlichen Störungen nach einer Covid-19 Infektion, die teilweise zu langer Arbeitsunfähigkeit führen, teilweise wie eine Depression aussehen, oft noch Geschmacks- und Geruchsstörungen aufweisen. Trotz meiner eigentlich sehr breiten Ausbildung als Allgemeinarzt und Psychiater erkenne ich zwar Muster mit zusammenhängenden Symptomen, bin mir aber über genaue Zuordnung oder gar Behandlung noch ziemlich im Unklaren.

Wer nicht mehr weiter weiß, gründet einen Arbeitskreis, in der Medizin nennt man das eine Studie. Also versuche ich nun in der Stille des Urlaubs eine Studie zu gründen, um herauszufinden, was da dran ist, an diesem Post-Covid-Syndrom. Meine Idee ist, den Landkreis als Beobachtungsfeld zu nutzen. Vielleicht gelingt es, jeden Genesenen zu motivieren, einen Fragebogen auszufüllen. Damit könnte es gelingen, die Häufigkeit von Folgestörungen nach einem Coronainfekt zu erfassen. Vielleicht zeigen sich ja auch bestimmte Muster, vielleicht aber zeigt sich auch, dass die von mit gesehenen Folgestörungen nur wenige Einzelfälle sind.
Logistisch wird das Ganze ein Riesenaufwand: bislang über 5000 Fälle im Landkreis, die aktuellen Mutationen werden noch fleißig nachliefern. Es sollte wirklich jeder einzelne Genesene angeschrieben werden ? Arbeit und Geld! Arbeitskraft bin ich zuversichtlich, aber geldmäßig wird es problematisch: Zwar werden Fördergelder von KV und Staat ausgelobt, aber ich habe einmal in meinem Leben ein Projekt mit Fördergeldern betrieben. Dabei habe ich feststellen müssen, dass die Fördergelder eigentlich schon von den Forderungen für die Förderung aufgefressen wurden ? so groß war der geforderte Dokumentationsaufwand. Auch möchte ich eine völlig ergebnisoffene Forschung initiieren. Also werde ich Geld betteln gehen müssen.
Ein Arbeitskreis braucht Mitspieler: Der Landkreis hat samt Gesundheitsamt bereits Unterstützung signalisiert. Einzelne Ärzte des Landkreises würden gerne mittun. Der Lehrstuhl für Allgemeinmedizin der Universität Rechts der Isar hat Unterstützung in Form von Rat und Tat (ohne Geld) in Aussicht gestellt, würde uns einen Doktoranden als Unterstützung zuordnen. Eine der Reha-Kliniken im Landkreis hat Interesse bekundet.
Nun gilt es, aus dem Interesse bekunden und Unterstützung in Aussicht stellen Fakten zu schaffen und die Ärmel hochzukrempeln. Bin ja echt gespannt, ob aus dem Spleen eine echte kleine Forschung herauskommt?



Wie die beste aller Hälften anmerkt, ist die Beschäftigung mit solchen Dingen mit Urlaub und Erholung eigentlich nicht so recht im Einklang, weswegen ich mich nun wieder dem Erholen und Urlauben zuwende. Die im Jahr relativ späte Urlaubszeit auf der Insel bringt nun so manche Wolke und Regen, was aber für mich als Mitteleuropäer sehr wohltuend empfunden wird?

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