Montag, 25. Juli 2022
Mo., 18. Juli 2022
Dr. Lohse berichtet: Der 29.Monat der Pandemie in Münsing
Nachdem die Welt sich doch noch dreht, gieße ich im Morgengrauen schnell noch die Tomaten, die reich angesetzt haben und trotz des regelmäßigen Niederschlages durch ihre Position unter Dach regelmäßig ihre Portion Wasser brauchen.

Das Treffen der Landkreisärzte gemeinsam mit ihren Teams, den Mitstreitern des Landratsamtes und einiger wert geschätzter Vertreter der kassenärztlicher Vereinigung rückt näher, etwas nervös wird die Wetter-APP des deutschen Wetterdienstes zur Prognose für den 6. Juli in fast stündlichem Rhythmus befragt. Diese Feier habe ich nun ?Boxenstopp? getauft, da das Rennen nicht vorbei ist, aber wir alle einmal Zeit zum Innehalten, zur Wartung brauchen. Es haben sich sagenhafte 220 Personen angemeldet, was ich als höchsten Ausdruck gegenseitiger Wertschätzung betrachte und hoffe, durch richtige Worte in der kurzen Ansprache das Gefühl des Gemeinsamen stärken zu können.
Zwei Wochen später folgt eine Einladung der Landtagspräsidentin Ilse Aigner auf ein Schloss als Anerkennung der Pandemiehelfer. Um 18:00 besteht auch die Möglichkeit, ein Foto gemeinsam mit Ilse Aigner und Markus Söder anfertigen zu lassen. Sicher nur ein Trick der beiden, endlich einmal mit mir gemeinsam in die Zeitung zu kommen, da ich mich sonst eher ungerne ablichten lasse und bisherige Anfragen der beiden ignoriert hatte.

Der Juli wirkt wie eine Abschlußzeit, Endfeier, Abiturfest, auf jeden Fall wie ein ?wir haben es geschafft?.

Die Anfrage einer lokalen Zeitung mit der Bitte um ein Interview bringt mich zum Nachdenken, ich soll eine Prognose abgeben, wie es in Bezug auf Corona weiter geht.

Nun sind wir schon von vielen Propheten umzingelt, da braucht es nicht auch noch mich. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung hat getagt und gestern seine Weisheiten verkündet. Hätten wir ein Dutzend allgemein Gebildete Menschen aus Münchner Fußgängerzone zusammengesetzt, wäre auch nichts Klügeres herausgekommen. Ein windelweiches ?kann man nicht genau sagen?, ?dazu fehlen uns die Daten? ?das ist ja alles schon vorbei, daraus nichts für die Zukunft gefolgert werden? raschelt jetzt durch den Blätterwald, jeder kann sich heraussuchen, was er oder sie mag. Schade um das Geld und die Zeit.
Aber wie geht es nun weiter, was sollen wir tun?
Ich versuche mich mal zu sammeln und Konkretes zu prophezeien und zu empfehlen.

Natürlich wird uns das Coronavirus weiter begleiten. Die Zahlen werden hoch sein, es wird viele Kranke geben. Aber wir wissen noch nicht, wie krank die Kranken sein werden! Derzeit ? vor dem Hintergrund einer recht guten Impfschutzquote oder vieler bereits ehemals Infizierter ? macht uns das Virus krank, wir überstehen es nach mehr oder weniger langer Zeit meist gut. Zum Problem post covid Syndrom komme ich noch. Die aktuellen Mutationen (BA.3 und höher) betreffen Gott sei Dank vor allem die Geschwindigkeit der Ausbreitung, nicht aber die Schwere der Erkrankung. Dennoch müssen einige in Krankenhäuser, es versterben auch täglich Menschen an dieser Infektion. Je mehr Infizierte, desto höher auch dieser Anteil. Damit ist die Coronainfektion in der Schwere für mich zunächst vergleichbar mit einer Influenzagrippe. Ernst zu nehmen, aber nicht pandemischer Wahnsinn.
Ganz anders könnte es werden, wenn eine Mutation das Virus derart verändert, dass unser bislang aufgebauter Immunschutz die neue Variante nicht erkennt und gleichzeitig diese Mutation krankheitsgefährlicher ist. Diesbezüglich sind wir in der Hand des Schicksals. Sollte durch eine solche Mutation wieder Lebensgefahr heraufziehen, sind starke Eingriff in das gesellschaftliche Leben unvermeidlich.

Bleiben wir ?optimistisch? Omikron beherrscht den Winter: In den Innenräumen sollten wir dringendst wieder Masken tragen, um die Anzahl der Infektionen zu bremsen. Aber es wird weder Schulschließungen noch einen Lockdown geben. Kostenlose Massentestungen halte ich als unpolitischer Mensch für das Verbrennen von Geld, solange Omikron der Bösewicht ist. Jeder kann sich für echt wenig Geld einen Selbsttest kaufen. Wer mir jetzt schon leid tut, das sind wieder die niedergelassenen Ärzte mit ihren Teams, die Firmen und viele Familien: Denn ein sehr hoher Krankenstand ist zu erwarten. Betriebe werden genauso wie alle Teile der Infrastruktur Lücken in der Besetzung haben.

Neben dem anlassbezogenen Tragen der Masken und vielleicht dem Pausieren von Massenveranstaltungen in geschlossenen Räumen ist das zweite Element in diesem Krankheitsgeschehen für den Herbst/Winter das Impfen.

Wir brauchen Immunität, zu Deutsch Abwehrkraft gegen diese Erkrankung: Durch Impfung (nebenwirkungsarm), Infektion (hohe Gefahr diverser Nebenwirkungen) und eine stabile innere wie äußere Kondition.
Bezüglich Impfungen bin ich sehr unfroh: 2019 trat das Virus in Erscheinung, 2020 spannten rund um den Globus viele Wissenschaftler ihr Wissen zusammen und konnten bis in den Herbst potente Impfungen gegen dieses wendige Virus entwickeln, die notwendigen Zulassungsprüfungen durchlaufen und der Welt Ende 2020 eine wirksame Waffe gegen diesen Wahnsinn präsentieren. Das wendige Virus entwickelt sich fortwährend weiter, wandelt alles Nase lang sein Gesicht ? die Impfung nicht. Der Hauptimpfstoff von Biontech/Pfizer oder Moderna ist immer noch der ursprüngliche von 2020. Dieses Schwert ist stumpf geworden! Zwar werden wir durch dreimalige Impfung ziemlich gut vor schwerer Erkrankung und Lebensgefahr geschützt ? nicht aber vor Ansteckung und Weitergabe. Da bin ich selbst ein gutes Beispiel. Vollmundig kündigten die inzwischen mit Orden behängten Chefs dieser Firmen bereits im November 2021 eine Omikronanpassung des Impfstoffes für März 2022 an, aber gekommen ist nichts.
Meine Forderung: Komplettiere ein jeder seinen Impfschutz auf drei Impfungen (oder einen Infekt und danach 2 Impfungen). Das ist ein guter Grundschutz, von dem wir allerdings noch nicht wissen, wie lange er hält. Wer diese Basis hat und sonst keinem speziellen Risiko durch sehr hohes Lebensalter oder gefährliche Erkrankung ausgesetzt, der soll warten. Bis Mitte September in der Hoffnung auf einen weiterentwickelten Impfstoff (?Modell2022?). Sollte dieses Modell nicht kommen, ist sehr ernsthaft der alternative 2022 gekommene Impfstoff Novavax als 4. Impfung zu erwägen, da dadurch eine bessere Chance besteht, dass die Lücken zu verringern, durch die das wendige Virus schlüpft. Dieser ?Todimpfstoff?, besser ?Impfstoff auf der Basis von Virusproteinen? zu nennen, ist real, verfügbar und schützt. Er ist aber bei Impfbefürwortern etwas in Verruf, da die Impfskeptiker immer laut nach diesem Impfstoff wie nach einem Heilsbringer riefen (und sich dann doch nicht impfen ließen). Schwierig ist es bei denen wie mir, die gerade selbst trotz der drei Impfungen Corona hatten, quasi jüngst ?naturgeboostert? wurden. Nachdem ich in der Praxis zunehmend Patienten erlebe, die nach Infektion im Spätwinter nun schon wieder an Omikron erkranken, lautet meine Empfehlung: Wenn jemand dieses Jahr infiziert war, sollte er drei Monate nach diesem Infekt so verfahren wie gerade beschrieben ? also diese Infektion nach drei Monaten ignorieren und im Herbst eine weitere Impfung in Betracht ziehen.

Abgesehen von Corona scheint die Influenza dieses Jahr etwas bissiger zu werden: Aus Australien wird berichtet, dass die diesjährige echte Grippe (Influenza) ein hohes Potential hat, krank zu machen. Scheint Lauterbach noch nicht gehört zu haben, da er noch nicht mit seinem erhobenen Zeigefinger zur Nadel gerufen hat. Also im Katalog meiner Empfehlungen: Gefährdete sollten sich dieses Jahr tatsächlich ? sobald verfügbar ? eine Grippeschutzimpfung holen.

Post Covid ist für mich die große Unbekannte der nächsten Monate oder Jahre. Wenn die Zahlen stimmen, die unter anderem von uns selbst bei unserer COVITÖL-Studie erhoben werden, dann stehen wir vor großen Herausforderungen.
Bei einzelnen Patienten unserer Praxis sehe ich unfassbare Störungen durch die Infektionen, bis hin zu Bildern, die einer Demenz mit neurologischen Extras entsprechen. Nicht oft, aber ich bin ja auch nur einer von vielen Hausärzten. Das einzig Beruhigende ist die Tatsache, dass diese Bilder über mehrere Monate (!!) abblassen und die Patienten voraussichtlich nach einem halben bis einem Jahr (!!) wieder ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen können.

Die Behandlungsansätze sind samt und sonders noch im Experimentalstadium. Es kommen Empfehlungen im Transfer von anderen Erkrankungen: Training in körperlich wie geistiger Hinsicht. Dann wieder Erkenntnisse aus der Fatique-Syndromforschung mit teils hochexperimentellen Ansätzen. Mit dem Training bis ich sehr skeptisch. Meiner Beobachtung nach liegt manchmal eine massive organische Schädigung, manchmal eine schwere psychische Schädigung, manchmal eine Kombination vor, bei der Henne und Ei auch für Fachleute kaum unterschieden werden können. Patienten wie auch Behandler fühlen sich oft überfordert und alleingelassen, die Forschenden sind oft zu weit von der Basis entfernt. Hier erfolgt von meiner Seite keine Prognose, sondern die Forderung nach Wissens- und Erfahrungsaustausch, zur Schaffung runder Tische und Selbsthilfegruppen.

Oben ist als Notwendigkeit zum Schutz gegen Krankheit die ?stabile innere wie äußere Kondition? zu lesen. Damit meine ich als einen zentralen Punkt, quasi im Nebensatz verborgen uns selbst, unseren Körper und unsere innere Haltung. Hier sind wir nicht von der Entwicklung von Impfstoffen, der Erlassung von Vorschriften, der Verbreitung kruder Theorien oder der allgemeinen Welt- und Wetterlage abhängig, hier sind wir in unserem eigenen Universum.
Der allgemeine Überdruss, die Freudlosigkeit und die stets präsente Ernsthaftigkeit machen uns träge, unflexibel und zu Opfern unser Selbst. Spontanität, einen Hang zu kreativem Blödsinn ohne Schaden für andere, gegenseitiger Respekt und ein dichtes soziales Miteinander sind unbezahlbare Elemente der Stärke.
Klar, das ist uns nicht immer gegeben. Aber wir sehen eigentlich vor allem das, was wir suchen, also empfehle ich offe Augen für die anderen Seiten. Ich scheine als eine meiner Erbanlagen erfreulicherweise eine Suchfunktion auch für diese Elemente geschenkt bekommen zu haben. Zumindest wird mir von Familienmitgliedern eine gewisse Neigung zu wild wuchernder Phantasie und zu Unfug nachgesagt.
Aber das sind natürlich nur Gerüchte.

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Mittwoch, 22. Juni 2022
Mo., 6. Juni 2022
Dr. Lohse berichtet: Die 116. Woche der Pandemie in Münsing
Auf meinem Smartphone befrage ich fast täglich das Wettervorhersageprogramm, die hochmoderne App des deutschen Wetterdienstes, interessanterweise ?Warnapp? benannt. Gestern war für heute der meterologische Weltuntergang prophezeit worden, heute soll es ab Mittag regen, es wird eine Vorabinformation als Warnung vor einem schweren Gewitter abgegeben.
Da Corona mir durch meinen eigenen Infekt die Chance gegeben hat, die Garage aufzuräumen, werden wir vielleicht erstmals seit vielen Jahren das Auto dort unterstellen, um zu verhindern dass der sehr diskrete Hagelschaden des letzten Jahres durch neue Hagelkörner verunziert wird.
Die Virologen warnen auch. Lauterbauch auch. Nicht vor Hagelkörnern, sondern vor Viren. Vor Affenpocken, der fünften oder sechsten Welle (ich verliere den Überblick) der Pandemie, vor Influenza. Die Werbung warnt vor Herpes Zoster und ruft zum Schutz durch Impfung auf, die Hautärzte warnen vor der Sonne und seinem Mitbringsel, dem Hautkrebs, die Vitaminologen warnen vor zu wenig Sonne wegen der allzeit präsenten Gefahr des Vitamin D Mangels.
Wenn ich meinen Blick vom Handy hebe, sehe ich oben in den Wolken Westströmung, unten Ostwind ? der Stoff aus dem Wetterwechsel gewoben ist. Im erlebten Alltag erlebe ich täglich Erkrankungen, auch beängstigende Verläufe der Erkrankungen, vor denen gewarnt wird. Aber viel mehr bekümmern mich die Dinge, die mich schon immer bekümmern: Andere schwere Erkrankungen, die auch das Leben zerstören. Sei es multiple Sklerose oder Krebs, eine schwere Depression oder eine Essstörung.
Und dieses Jahr zusätzlich ganz viele Warnkranke. Die Warnungen können nicht mehr so richtig ?abgearbeitet? werden. Wenn Mami warnt, dass es kalt draußen ist, und Handschuhe/Mütze anordnet, dann kommt es auf den Entwicklungsstand an: Ob man einfach wohlerzogen das Angeordnete tut, ob man es pubertätsbedingt erst recht nicht tut oder ob man diese Warnung als Aspekt des aktuellen Zeitgeschehens betrachtet und seine eigenen Folgerungen zieht, also vielleicht Handschuhe einsteckt. Aber Angst kommt nicht auf. Mamis Warnung wird eingeordnet, abgearbeitet und abgehakt ? fertig.
Wenn aber heute Nachmittag der meterologische Weltuntergang anrückt, dann keimt Beklemmung auf, dann hat das Toben der Spatzen auf der Terrasse und die herrlich blühenden Blumen etwas Endzeitliches. Gerade picken Jungspatzen Krümel vor dem Fenster, gleich werden sie von unheimlichen Hagelkörnern erschlagen, die Pfingstrosen werden wie gemulcht aussehen. Nach dem Hagel kommt die Frage, was wir im Sommer machen. Merkur online warnt, dass aufgrund der Mutation BA.5 die Corona-Herbstwelle zur Sommerwelle mutiert und warnt. Ok. Und nun? Absagen, Endzeit? Aus?

Sicher nicht, sondern erst dann, wenn die Gefahr real wird. Warnen sollte uns zur Umsicht gemahnen und uns die Chance geben, Vorkehrungen zu treffen. Die Vorkehrungen werden uns helfen, den einen oder anderen Weltuntergang mehr oder weniger blessiert zu überstehen, wenn sie denn kommen. Aber derzeit prasseln täglich sicherlich eine Handvoll fundamentale Großwarnungen auf uns ein, die komplett unser Verhalten bestimmen würden ? nähmen wir sie komplett für bare Münze.
Jetzt, am 5.6.22 haben wir im Landkreis etwa 1200 aktiv Coronaerkrankte, davon sicher 120 mit beklemmenden Symptomen, sechs sind in Kliniken, eine Person auf einer Intensivstation.
Im Alltagsleben meide ich Großveranstaltungen und halte Abstand. Wir haben Vorkehrungen für den Fall einer Verschlechterung, im Gegensatz zu den Sommern der letzten 2 Jahre wird nicht alles stillgelegt, sondern bleibt in ?Standby?. Die Impfkampagne für den späteren Sommer wird geplant. Diese ?Warnung? habe ich ?abgearbeitet?, die Pandmie macht Arbeit und Erkrankungen, aber sie ist gelebter Alltag geworden.
Und jetzt ist Pause, echte Pause, da brauche ich keinen Alarmismus, sonst werde ich krank.
Und das sind leider viele, beileibe nicht nur wegen der Pandemie. Die allerdings hat die Alarmkrankheit verschlimmert. Wo vor Jahren punktuell Menschen aus ihrem Alarmismus nicht mehr herausfanden und eine Angsterkrankung entwickelten, sehe ich derzeit ganze Teile unseres Landes an der Alarmkrankheit leiden.
So die richtige Mischung zwischen blindem Ausführen von Anweisungen einerseits --pubertärer Auflehnung von allem, was gesagt wird andererseits -- und aufmerksamer Wahrnehmung mit dem Treffen von Vorkehrungen erwachsenerseits ist scheinbar gerade schwierig. Aber vielleicht übertreibe ich maßlos und es sind nur ein paar mehr Angsterkrankte in der Praxis und ich habe zu viel im Handy mit seinen warnenden Informations-Apps gestöbert.
Angesichts aufziehender dunkler Wolken werde ich jetzt die Pfingstrosen und den Rest des Gartens voller Freude und Zuwendung besuchen, die Garage freimachen für das Auto, um dann entspannt den weiteren Verlauf des Tages zu erwarten. Die Störche übrigens lassen sich nun öfters im Landstrich blicken.

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So., 29. Mai 2022
Dr. Lohse berichtet: Die 114. und 115. Woche der Pandemie in Münsing
Münsing hat wieder Störche! Heute abends fahren meine Frau und ich vom Singen in schönen Kirchen wieder nach Hause, dank der Jahreszeit ist es nun lange hell. Zwischen Degerndorf und Attenkam traue ich meinen Augen nicht, spazieren doch glatt zwei Storche froschsuchend über die frisch gemähte Wiese links der Straße, als wüssten sie nicht, dass sie hier seit vielen Jahren eigentlich ausgestorben sind. Vor Jahren hatten wir in Benediktbeuern ein Nest mit Storchen gesehen, aber hier? Die Welt ist voller Überraschungen.
Leider merke ich beim Singen meine jüngst zurückliegende Corona-Infektion doch noch deutlich: Die Stimme ist belegt, die Bronchien noch nicht ganz frei. Überhaupt hängt mir dieser Infekt schon noch etwas mehr als erhofft nach: Die Energie ist geringer als sonst, nach kleiner körperlicher Belastung ist die Kraft weg, ich bin schneller als sonst außer Atem und die Konzentration, sonst eine meiner Stärken, ist gering. Aber von Woche zu Woche scheint es sich zu normalisieren.
Übermorgen stellen wir das gleiche Thema ? Coronainfekt und seine Folgen ? wissenschaftlich der Presse vor: Unsere Studie im Landkreis scheint der volle Erfolg zu werden: Wir schickten im Februar Fragebögen an die bis im November `21 etwa 9200 Erkrankten, um die vielen persönlichen Erfahrungen dieser betroffenen Bürger wissenschaftlich zu erfassen. Die erste Sensation: Etwa 35 % der Angeschriebenen antworteten, womit der ?Response? alle Erwartungen übertrifft. Heraus kommt, dass etwa ein Sechstel, also 15% aller Infizierten unter langen und vielschichtigen Folgestörungen nach ihrer Infektion leiden. Nachdem die Zahl von 50 000 Infizierten im Landkreis bald erreicht sind, reden wir von etwa 7500 Menschen, die in den Bereichen körperliche und psychische Unversehrtheit Einbußen erlitten haben.
Die Daten liegen bei der Studiengruppe in der Uni Rechts der Isar, eine Doktorandin versucht die vielen Antworten zu einer wissenschaftlichen Gesamtarbeit zusammenzufassen. Auf die genauen Details bin ich nun wirklich gespannt. Die Aussagen sind derart fundiert und repräsentativ, dass bereits das deutsche Ärzteblatt Interesse an einer bundesweiten Veröffentlichung angemeldet hat. Wenn ich bedenke, dass dies eine spontane sommerliche Idee bei einer Besprechung im Landratsam war, die nur realisiert werden konnte, weil wir schon lange und gut zusammengearbeitet hatten und Lust auf so eine Untersuchung hatten!
Genauso, wie unser Fest Anfang Juli nur zustande kommen wird, da ein vertrauensvolles Gemeinschaftsgefühl entstanden ist. Zwar fühlen wir uns immer wieder von ?denen da oben?, also von den Bundes- und Landespolitikern verlassen, müssen harten Gegenwind bis Anfeindungen von Coronaleugnern ertragen, aber intern sind wir echt gut zusammengewachsen. Vielleicht auch wegen dieser Widerstände?
Jetzt liegt das zwar alles aufgrund der erfreulich deeskalierenden Entwicklung im Schlummer, wir haben keine regelmäßigen Besprechungen mehr, aber an einem Strang ziehen wir noch immer. Regeneration, Suche des Normalen, einmal zusammen feiern und sich gegenseitig auf die Schultern klopfen. Das tut nun gut und hilft uns. Wir wissen alle nicht, was noch kommt, womit unsere Gesellschaft geprüft wird. Neue schlimme Pandemiewellen, oder Panikmache ohne wirkliches Drama? Wirtschaftskrisen, politische Krisen, ein europaweiter Krieg?
Unruhige Zeiten. Vor diesem Hintergrund ist es erst recht wichtig, zusammen zu feiern, dieser Gemeinschaft auch ein Gesicht zu verleihen.
Und dass Störche unseren Landstrich als zuhause entdecken, das empfinde ich ein sehr hoffnungsvolles Zeichen, in die Zukunft gerichtet.

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Dienstag, 17. Mai 2022
So., 15. Mai 2022
Dr. Lohse berichtet: Die 113. Woche der Pandemie in Münsing
Tag 7 meiner eigenen Coronainfektion, Tag 5 bei meiner Frau, die, wie es sich nach über dreißig Jahren Ehe geziemet, gleichzieht und nun auch mit einem dick positiven Coronaschnelltest brillieren kann.
Noch bevor ich das Testergebnis im Internet abrufen kann, klingelt das Telefon und es wird mir amtlich mit routinierter, fast gelangweilter Stimme mitgeteilt, dass ich bis zum 13. 5. Mitternacht in strenger Selbstisolation zu Hause zu bleiben habe, danach wieder frei sei. Meine Frage, ob ich mich als Angehöriger der ärztlichen Zunft dann mittels PCR freitesten muss, wird irritiert mit dem Hinweis, dass das ja wohl in meiner eigenen Verantwortung läge, abgeschmettert. Welch Wandel: Noch vor zwei Jahren wurden Quarantänemaßnahmen auch mit Hilfe der Polizei kontrolliert, zwei Wochen Isolation waren das Minimum, tägliche Telefonanrufe durch das Amt. Heute kommt einmalig ein Telefonat, eine kurze Zeit der nicht kontrollierten Selbstisolation - das war es...
In Kenntnis des sich rasch ändernden Regelwerkes weiß ich, dass ich mich ohne weitere Maßnahmen nach fünf Tagen wieder frei in der Welt bewegen darf, vorausgesetzt ich bin "symptomfrei". In der Arztpraxis darf ich (extra Regelwerk) erst wieder arbeiten, wenn ich PCR-negativ bin, da wir besonders vulnerable Patienten gefährden könnten. Nun ist am Tag acht mein heute durchgeführter Nasenbohrer-Schnelltest dick und fett positiv, in zartrosa. Was ist nun symptomfrei?

Zu Beginn der Infektion hatte ich das Gefühl, anstelle Myoglobin Vanillepudding in den Muskeln zu haben. Das Ersteigen des ersten Stockwerkes war derart anstrengend, dass jeder Gang wohl bedacht sein wollte. Das Atmen fiel schwer, die Bronchien pfiffen und sangen mit jedem Atemzug. Die Sauerstoffsättigung rutschte einige Punkte herunter. Ein allgemeines Krankheitsgefühl umfing mich, das Denken war zäh, das Bett mein Freund. Fieber oder Schmerzen traten nie auf.
Dann wandelt sich nach drei Tagen das Bild, Schnupfen und Nießen benötigen Berge von Taschentüchern, Bewegung ist anstrengend, aber es geht bergauf.
Nun 7 Tage nach Beginn habe ich noch einen vermehrten Schlafhunger, das Treppensteigen führt immer noch zu stark vermehrten Schnaufen, aber allgemeine Bewegung geht wieder gut. So kann ich nun stundenweise bisserl kruscheln, dann wieder eine lange Pause machen. Meiner Frau geht es ähnlich, wobei sie sich scheinbar etwas schneller erholt (sie ist ja auch viel jünger - vier Monate!)
Die rote Mappe ist leer, die Garage in Ansätzen aufgeräumt. Der Garten sieht traumhaft aus, ich konnte die schmalen Wege durch die herrliche Blumenwiese mit dem Rasenmäher nachmähen und flaniere nun regelmäßig wie ein echter Rentner durch den Garten und sehe nach dem Rechten.
Auch die Rechnungen für das Landratsamt sind geschrieben. Kaum drei Tage im Briefkasten, da beendet der Freistaat den Katastrophenfall. Da ich ja gerade Zeit habe, schreibe ich noch eine letzte Mai-Nachzügler-Rechnung und schließe damit das Kapitel "Versorgungsarzt" ab.
Damit verfüge nun auch nicht mehr über die Autorität, die mir der Gesetzgeber für dieses Katastrophenamt zugesprochen hat, die ich aber niemals benötigt habe. Da allerdings die Politik vorsichtig geworden ist, werde ich sofort gefragt, ob ich nicht vielleicht als "Ärztlicher Koordinator" weiter tätig sein möchte, man wisse ja nicht was kommt.
Aber es ist wirklich still geworden um die Tätigkeiten der Kommunen, der Ämter und der Politiker in Sachen Corona. Nur Herr Lauterbach reckt, sobald man ihn sieht, seinen mahnenden Lieblingsfinger und mahnt vor der Rückkehr der Deltamutation und meint, es würden im Herbst nun zwei Impfungen - eine gegen Omikron und eine gegen Delta - anstehen. Nu sollse mal hinnemachen und die versprochene Omikronadaption fertigmachen, die uns nach dem Motto "alles ganz einfach" für März versprochen hatten. Und nach meinem Verständnis ist bei der adaptierten Neuentwicklung beides (Delta und Omikron) inbegriffen ? wahrscheinlich jedoch hat Kollege Lauterbach noch viele Millionen herkömmliche Impfungen im Keller. Die will halt keiner haben, da die aktuellen Impfungen bei Omikron zwar vor schwerem Verlauf, nicht aber von Infektion schützt ? wie ich bezeugen kann.
Jetzt bleibt noch abzuwarten, dass ich nicht mehr ansteckend bin, dann kommt der nächste Schritt Richtung Normalität. Ein Fest.

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Di., 10. Mai 2022
Blog-Blockade
Seit dem 24. Februar, dem Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, habe ich nichts mehr geschrieben. Was auch? Ich bin froh, dass Dr. Lohse unverdrossen weitermacht, aber er ist ja auch Arzt, und das Corona-Thema wird ihn sicher noch eine Weile beschäftigen.
Aber für einen Normalverbraucher und Mainstreamnachrichtenkonsumenten wie mich ist das Thema durch. Putin hat Covid praktisch abgeschafft. Kein Heute-Journal, keine Tagesthemen starten seit Kriegsbeginn mehr mit dem bunten pickeligen Virus-Knödel, in dessen Gefolgschaft Inzidenz-Grafiken gepaart mit düsteren Todesraten über die Mattscheibe flimmern. Die Inzidenzen lagen zu Kriegsbeginn bei ca. 1.500, was angesichts der von vielen befürchteten Russeninvasion und der Nuklearbedrohung als nicht besonders aufregend empfunden wurde (auch wenn es geraume Zeit vorher noch geheißen hatte, ab Inzidenz unter 35 könne man Öffnungen in Gastronomie und Kultur ins Auge fassen). Nur wer beruflich mit Corona befasst ist oder das Pech hatte, sich doch noch die Ominkron-Variante samt heftigen Symptomen einzufangen, richtet sein Ohrenmerk noch auf die paar Covid-Nachrichtenkrümel, die ihm der Krieg übriglässt.
Der blasse Kreml-Herrscher, der, offensichtlich von Minderwerigkeitskomplexen geplagt (mein Palast, meine Yachten, meine Raketen, meine Tische?), sich vom Westen und der Nato gedemütigt fühlte, weil diese trotz seines massiven Aufmarsches an den Grenzen zur Ukraine nicht auf seine Forderungen nach einer Rücknahme der Osterweiterung eingehen, ja gar nicht erst darüber diskutieren wollten, hat das getan, was im Vorfeld keiner wirklich glauben wollte. Im Nachhinein fragt man sich natürlich, wie diese Umzingelung mit 150.000 Mann und Kriegsgerät ohne Ende wohl sonst hätte ausgehen sollen.



Die Versteher
Als Frauenversteher wird gerne jemand bezeichnet, der z.B. am Stammtisch dem Frauenwahlrecht tatsächlich auch positive Aspekte abgewinnen kann oder einen Kumpel, der gerne seine Frau verprügelt, vorsichtig fragt, ob er es denn schon mal mit Reden versucht hätte. Dem Frauenversteher wird dabei nicht vorgeworfen, dass er die Frauen verstehe, sondern dass er Verständnis für sie aufbringt, aber diese semantischen Differenzierungen sind dem Frauenversteherverwender eher fremd.
Eine neue Wortschöpfung aus aktuellem Anlass ist der Putinversteher. Sich auf sprachlich ähnlichem Niveau wie der Frauenversteher bewegend meint das Putinverstehen nicht zwangsläufig, dass der Versteher des Russischen mächtig ist, sondern dass er ein der Kumpanei verdächtiges Verständnis für den Despoten aufbringt. Das ist bereits dann der Fall, wenn jemand vorsichtig einwendet, man hätte den Gesprächsfaden vielleicht besser nicht abreißen lassen sollen, oder dass der Kremlmann unter seinem Riesenschreibtisch ein Köfferchen stehen hat mit einem roten Knopf darin, und man ihn deshalb lieber nicht völlig in die Enge treiben sollte.
Hätte beispielsweise Hitler, sein Bruder im Geiste, in seinen letzten Bunker-Tagen ein solches Köfferchen gehabt, dann hätte der sauber aufs Knöpfchen gedrückt, logisch, da muss man kein Hitlerversteher sein.
Klar jedoch ist: Der Frauen- sowie der Putinversteher sind beide elende Weicheier. Eine auflagenstarke deutsche Zeitung hat sie, zumindest die Putinversteher, mit Corona-Leugnern und Querdenkern gleichgesetzt, Virusverstehern also. Womit wir wieder beim Thema wären. Aber ich schreib ja nichts mehr.

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So., 8. Mai 2022
Dr. Lohse berichtet: Die 112. Woche der Pandemie in Münsing
Jetzt bin ich richtig gespannt, ob das alles so stimmt, was ich da in letzter Zeit geschrieben habe.
Für unsere Patienten testen wir uns in der Praxis mindestens zwei Mal in der Woche, oftmals auch täglich, da sehr viele Coronaerkrankte mit uns in Kontakt stehen. Inzwischen kommt fast regelmäßig ein Anruf ?ich war gestern bei Ihnen wegen meines Knies, ich wollt nur sagen, mein Coronatest ist jetzt positiv?. Am Freitag begann ein leichter Jahreszeitenhusten doch intensiver zu werden, seit Samstag fühle ich mich krank und seit heute früh ist mein zur Zeit täglich durchgeführter Schnelltest positiv.



Automatisch generierte BeschreibungMuttertagsfrühstück und Kaffeetrinken bei den Eltern wird abgesagt, mit der Praxis das weitere Vorgehen abgesprochen, jetzt ist wohl erst einmal mindestens eine Woche Pause angesagt. Bei der letzten Mitarbeiterin der Praxis hatte es zwei Wochen gedauert, bis sie wieder negativ war.

Wenn die Rede des Arztes meines Vertrauens stimmt, stehen mir nun paar Tage grippigen Krankseins und dann etwas Langeweile bevor. Wäre ich ein Normalbürger, so dürfte ich nach fünf Tagen der Selbstisolation wieder meinen Alltagsdingen nachgehen, nicht aber als Mitarbeiter eines medizinischen Betriebes. Hier muss ein negativer PCR-Test vorliegen, bevor ich wieder auf die Menschheit losgelassen werden kann.

Danach sollte ich nach drei Impfungen und einem Infekt gut gewappnet sein für die kommenden Stürme der Pandemie. Was nur stelle ich jetzt mit so viel unverhoffter Zeit an?

Der Schreibtisch biegt sich. Mein Konto wird sich freuen: An das Landratsamt muss ich noch meine gesammelten Codo-Rechnungen stellen ab Dezember. Die Arzt-/ Laborrechungen wollen bei der Krankenkasse eingereicht werden. Der Wasserhahn wartet seit Monaten auf seine Reparatur, die Garage muss dringendst aufgeräumt werden. Und die Steuer ?

Nach den Weisungen meines Umfeldes soll ich mich jetzt schonen, aber mindestens die rote Mappe muss gemacht werden. Die rote Mappe ist so etwas wie das schwarze Loch meiner bürokratischen Seele: Wo ich in der Kliniktätigkeit in Leitungsposition sicher 70 % Schreibtätigkeit (elegant ausgedrückt ?administrative Tätigkeit?) ausführen musste, sind es in der niedergelassenen Praxis nur 10 %. Aber bei wöchentlich 50 Stunden Patientenarbeit sind das ja auch noch 5 Stunden. Krankenkassenanfragen, Atteste für dies und das, Bescheinigung nach Unfall, Ausfüllen eines Kurantrages, Berichte für das Versorgungsamt wegen Grad der Schwerbehinderung. Das alles für sich hat seine Berechtigung, ist im Einzelfall sehr wichtig für den Patienten und entscheidet auch darüber, ob einer eine Rente bekommt, auf Kur geschickt wird oder ähnliches. Da es nun mal so wichtig ist, vernichte ich diese Anfragen nicht gleich, sondern lege ich sie in meine rote Mappe. Stück für Stück. Da liegen sie dann.
Meine Mitarbeiterinnen, die am Telefon die entsprechenden Nachfragen geschickt zu parieren versuchen, ziehen dann maximal dringende Papiere heraus, legen sie auf den Schreibtisch, versehen mit einem kleinen Zettelchen ?dringend, sonst bekommt Pat kein Krankengeld!?. Dann hoffe ich auf eine Lücke zwischen zwei Patienten, um das Formular schnell auszufüllen, warte auf ein verregnetes Wochenende, um ein paar Dinge wegzuarbeiten und habe ein bisserl ein schlechtes Gewissen. Vor einem Urlaub allerdings ist die Mappe leer. Da wird dann einen oder mehrere Tag hingearbeitet, alles diktiert, ausgefüllt oder geschreddert (es kommen ja auch Erinnerungen, später Mahnungen dazu) und ich kann leichten Herzens in den Urlaub fahren. Allerdings wieder mit einem klitzekleinen schlechten Gewissen, da ich so kurz vor dem Urlaub unseren eh schon stressgeschädigten Mitarbeiterinnen den Stress des Weiterverarbeitens (Kopieren, Rechnung schreiben, stempeln ..) produziert habe. Da kommt dieser Infekt jetzt gerade recht: Es fängt in der Praxis vielleicht an, etwas ruhiger zu werden, alle Mitarbeiterinnen und die Kolleginnen sind wieder da, da könnte ich doch die rote Mappe wieder auf einen Nullpunkt bringen und hätte kurzzeitig kein schwarzes bürokratisches Seelenloch.
Außerdem habe ich vielleicht, nach roter Mappe, Wasserhahn, Garage und Rechnungen noch Zeit, ein kleines Fest zu organisieren. Nach über zwei Jahren Pandemie, mit dem Übergang der Pandemie in eine endemische Infektlage möchte ich ein Zeichen setzen. Ein Zeichen, dass wir uns wieder Treffen können, dass vielleicht das Schlimmste für unsere Praxen, Ärztinnen, Ärzte, Mitarbeiter und Familien vorbei ist, zumindest, dass wir eine echte Pause haben. Nachdem ich im Landkreis inzwischen weit über 70 Arztpraxen per Mail ?kenne? und wir seit über zwei Jahren teils sehr unkonventionell an einem Strang ziehen, sollten wir uns zu einem gemeinsamen landkreisweiten Fest treffen. Da unsere Stärke darin liegt, mit dem Landkreis und seinen Institutionen auf guter Augenhöhe zusammenzuarbeiten, laden wir die Mitstreiter von dort auch gleich ein, dazu noch die Verantwortlichen der Impfzentren und wen wir noch mögen. Wir, das sind ein befreundeter Kollege aus Bad Tölz, der das, was ich für die niedergelassenen Ärzte mache, für die Kliniken übernommen hat. Über diese schwierigen Zeiten sind wir ein gutes Team geworden. Spontan hatten wir gesagt, ?Du bringst a Fassl Bier, ich a Wildsau als Spanferkel mit?, aber erstens wird das nicht reichen, zweitens gibt es ja Menschen, die Spanferkel/Grillfleisch nicht mögen. So tasten wir uns nun vorsichtig an die ersten Organisationsfragen voran, fragen ab, wer in der Orga helfen könnte, welche Dimensionen das Ganze erreichen könnte, um den richtigen Ort für unser Fest zu finden. Damit wir dann genug Fässer Bier, Limo, Wasser, Spanferkel, Saläter und Alternativen haben.

Zusammenfassend kommt meine aktuelle und erste Coronainfektion gerade zur rechten Zeit. Vor einem oder zwei Jahren hätte ich noch ziemlich mit Bangen in die nächsten Wochen geblickt, aber so vertraue ich dem Schutz meiner Impfungen und der geringeren Gefährlichkeit der Omikronmutation. Ich bin nun eigentlich selbst der Prüffall, ob wir uns wirklich etwas entspannen können
Ob beim Schreiben des nächsten Blogeintrages die Garage wohl aufgeräumt sein wird? Zweifel über Zweifel ?

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So., 1. Mai 2022
Dr. Lohse berichtet: Die 110. und 111. Woche der Pandemie in Münsing
Jetzt ist er da, der Frühling! Gestern, am letzten April packe ich erstmals den Rasenmäher aus und mähe ein paar Wege in unsere Wiese, die wir seit Jahren auswachsen lassen. Das Vogelhäusel verschwindet, Kübelpflanzen kommen aus der Garage auf die Schattenseite des Hauses, das Jagdgewehr wird geölt und gereinigt, ein paar Probeschüsse donnern übers Feld.

Vor zwei Jahren erstarrte alles, die Wachhütten für die Maibäume wurden verschlossen, nun gab es wieder die ersten Wachhütten, eng auf eng wie eh. Im Nachbarort wurde ein Theaterstück im Gemeindesaal aufgeführt, das Leben erwacht nach zwei Jahren Erstarrung wieder. Zwar weiß ich inzwischen von etwa zwei Dutzend Infektionen nach dem Theaterabend, zwar gibt auch meine Coronawarn-APP Alarm, da im Rückflug von Mallorca wohl Infizierte an Bord waren. Aber die Emotionen bleiben bei den meisten gelassen, wir testen uns, die Infizierten werden krankgeschrieben und bei schwierigerem Verlauf medizinisch betreut. Die Inzidenzen liegen im 500-600er Bereich. Der ganz große Unterschied ist, dass die Verläufe weit überwiegend relativ milde verlaufen. Zwar sind viele beeindruckt, wie plötzlich man doch sehr krank werden kann, aber es dauert nicht lange und die Besserung stellt sich wieder ein. Allerdings treten bei dieser Masse von Infizierten, im Landkreis immerhin über 45 000 offiziell bestätigte Ansteckungen (+eine hohe Dunkelziffer) zusätzlich zu den sehr vielen Impfungen kaum schwere Verläufe auf. Etwas irritiert bin ich über die in Deutschland immer noch oft hohen Sterbezahlen. In unserem Landkreis sind es wirklich nur noch wenige.
Ist die Pandemie vorbei?
In Europa entspannt es sich, die Vorschriften werden wöchentlich weniger. Die Maske wird sicher viele von uns noch lange begleiten: Uns in der Arztpraxis, dort sind viel zu viele Erkrankte. Mich auch beim Einkaufen und bei Ereignissen, deren Getümmel ich nicht vorhersehen kann, einen krankheitsbedingten Ausfall möchte ich zumindest nicht fahrlässig herbeiführen. Erstaunlicherweise bin ich immer noch nicht erkrankt, Gelegenheit wäre reichlich gewesen. Vielleicht verdanke ich das der ungeliebten Maske, wer weiß? Aber wenn ich das allgemeine Geschehen rundrum betrachte, könnte man meinen, dass nun wirklich Entspannung eintritt und die Pandemie zu einer ?gewöhnlichen leicht übertragbaren Infektionskrankheit? geworden ist. Im Augenblick stimmt das, da die aktuelle Variante der Erkrankung erfreulicherweise nicht so gefährlich ist ? aber immer noch genug Schaden anrichtet. Diese Kombination, die aktuelle Virusvariante, die nicht so tödlich ist, und die immer weiter abnehmende Immunnaivität führen zu einer Abschwächung der Dramatik. Wir können die Wachhüttn für die Maibaumwache wieder öffnen, kommenden Sonntag Erstkommunion mit Familie feiern, uns treffen. Eigentlich ist die Pandemie für uns jetzt schon irgendwie herum.
Aber im fernen Osten versucht die Regierung Chinas weiter die Null-Covidstrategie zu fahren, wodurch es immer noch sehr viele Immunnaive gibt. Trotz aller Repressalien und Kontrollen über die Kommunikation dringt das eine oder andere aus dem abgeschotteten Riesenreich: Auch in Peking zunehmende Lockdown-Maßnahmen, angeblich bald ein Drittel der gesamten Bevölkerung unter Beschränkungsmaßnahmen im Sinne Lockdown, Ausgangsbeschränkung etc. Nicht ein kleines bisserl Lockdownerl mit der Erlaubnis des Spazierganges oder Aztbesuches. Nein, richtig eingesperrt. Die Lebensmittelversorgung scheint ebenso unsicher zu sein wie die medizinische Versorgung, Infizierte werden ohne Rücksicht auf Alter oder Familienverbund in total überfüllte Quarantäneeinrichtungen gesperrt, da möchte ich gar nicht wissen, wie hoch die Dunkelziffer ist.
Neben dem unberechenbaren Ukrainekrieg und der Russlandkrise ist dieses Geschehen in China für mich beklemmend, wenn auch weit weg. Aber mit der intensiven Vernetzung der Weltwirtschaft wird es auch uns massiv treffen, unausweichlich. Vielleicht ein Weckruf, sich zu besinnen und seinen eigenen Konsum zu hinterfragen. Jetzt bin ich etwas abgeschweift, nein in China ist die Pandemie noch lange nicht herum!

Aber für uns in Europa scheint es zunächst überstanden zu sein, die schlimmen und lebensbedrohlichen Infektionen. Es leiden noch sehr viele unter den Folgen: Manche haben monatelange Folgesymptome nach einer Infektion. Viele sind zutiefst verunsichert im sozialen Verhalten, stehen Treffen sehr skeptisch gegenüber, sind mehr oder weniger isoliert. Viele leiden unter wirtschaftlichen Folgen, manche sind Gewinnler. Nicht zuletzt auch die Entwicklung Russlands mit seinem Krieg führe ich auf innere Unsicherheiten und Schwierigkeiten zurück. Damit kann ich mich zwar täuschen, aber nach solch schicksalshaften Seuchen kam es geschichtlich oft zu Umwälzungen. China empfinde ich in dieser Hinsicht als Pulverfass: Wenn das Volk trotz totaler Kontrolle zu meutern anfängt, kann es schon zu einem nach außen gerichteten Ablenkmanöver kommen.

Für mich bringt dieser Frühling jetzt tatsächlich irgendwie das Ende der Pandemie, wenngleich diese neue Krankheit uns sicher noch weiter begleiten wird. Erst wenn neue Mutationen aufträten, die wieder gefährlichere Verläufe verursachen würden, erst dann schwenke ich wieder um in den Pandemiemodus. Bis dahin bleibe ich vorsichtig, trage anlassbezogen meine Maske, werde mich im Herbst wieder impfen und mal sehen was da so kommt.

Ein untrügliches Zeichen für das Ende des pandemischen Zustandes in unserem Land wurde heute nach am Auto unserer Tochter demonstriert. Es wurde anlässlich der gestrigen Freinacht großzügig mit Klopapier verziert. Das wäre vor einem oder zwei Jahren nie passiert, da war Klopapier gerade das Symbol für drohende Mangelversorgung.

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Di., 19. April 2022
Dr. Lohse berichtet: Die 108. Und 109. Woche der Pandemie in Münsing, Ostern 2022
Auf Mallorca kann man auch etwas frieren. Tagsüber lädt das Wetter mit Temperaturen um die 20 Grad zum Wandern auf der grasgrünen Insel ein, abends allerdings könnte ich mir durchaus Glühwein vorstellen ? wenn sich der mir nicht immer auf den Magen schlagen würde. Kühl wird es, der Pulli wird ausgepackt und die letzten Ostereier gefuttert.



Die vergangenen Monate und Jahr hatten der Praxis und jedem Mitarbeiter das Äußerste abverlangt, so dass jetzt einfach eine Pause dringend anstand. 10 Tage sperren wir zu, dann geht es wieder in der Münsinger Praxis weiter.
10 Tage, die meine Frau und ich nutzen, vom lieben Nachbarn zum Flughafen gebracht werden, um einige wenige Stunden später das Ferienhäuschen der Schwiegerfamilie zu beziehen.
Die Pandemie begrüßt mich natürlich auch hier morgens beim Ensaimada -(typisches verboten leckeres mallorkinisches Gebäck) ? Holen beim Bäcker. Auf der Straße wird geduldig gewartet und dann geht man einzeln mit Maske in die Backstube. In allen kleinen Geschäften ist das hier eine Selbstverständlichkeit, auch im Supermarkt wird Maske getragen.
Aber wie ferne nun das alles zu sein scheint, die Last der Verantwortung, in die ich in den letzten Jahren gewachsen bin, die ewigen vollkommen sinnlosen Aufregungen der Wichtigtuer, die vielen Fragen und Unsicherheiten dieser neuen Erkrankung. Zwar trifft meine Prognose mit ?Ostern ist es vorbei? nicht ein, aber immerhin hat die Inzidenz mir den Gefallen getan, steil abzusinken und es wird merklich ruhiger um das Thema.
Auch die neuen Aufgaben, die Versorgung der Ukraineflüchtlinge in gesundheitlicher Hinsicht sind nun zwei Stunden Flugzeit entfernt. Zwar lese ich sorgenvoll die Nachrichten über dieses neueste europäische Desaster, rätsele über die Psyche eines Autokraten und seiner großen Gefolgschaft aber ich realisiere gleichzeitig die Ferne dieses Geschehens.
In Diskussionen mit Ortsansässigen von Mallorca ist es noch weitaus distanter, nicht einfach nur einige Autostunden entfernt.
In der leisen Stille des Abends schleicht sich eine Frage ein: Darf ich angesichts des Leides durch Krankheit und Krieg so richtig abschalten und so tun, als gäbe es das alles nicht? Was sich in China auftut, ein Viertel der Bevölkerung dieses Milliardenstaates unter Quarantäne, Abwürgen der Wirtschaft und der Lebensgrundlagen für viele Millionen, darf das an mir vorübergehen und ich mit Genuss ein Glas Wein im Sonnenuntergang trinken? Darf ich, auch wenn die Gefahr besteht, dass nach 77 Jahren Geschichte vielleicht wieder Atombomben gezündet werden können, einen Flug nach Mallorca buchen?
Ich glaube, ich muss es sogar. Nicht unbedingt einen Flug nach Mallorca, aber etwas Positives genießen, etwas Gutes erleben. Meine Verantwortung ist, dass ich es keinem anderen wegnehme, aber dieses Erholen, dieses Aufnehmen einer schönen Wanderung oder eines stillen Sonnenunterganges, holt mich aus der Erschöpfung.
Und die Erschöpfung trägt in sich die Gefahr, Gutes aufzugeben. Einige Patienten, gerade Verzweifelte und Erschöpfte betonen, wie gut ihnen diese ruhige Gelassenheit tut, die sie bei mir empfinden, wie sicher sie sich dann fühlen, auch wenn eine schlimme Krankheit einen schweren Weg vorzeichnet.

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So., 3. April 2022
Dr. Lohse berichtet: Die 107. Woche der Pandemie in Münsing
Der Frühling hat beschlossen, Versäumtes nachzuholen und hat die Trockenheit durch heftigen Schneefall beendet. Die Dachlawinen rauschen mit Rumpeln und Tösen darnieder, die Stare sitzen als verfrorene Wollpuschel in den kahlen Bäumen.
Durch die geschlossene Schneedecke ragen gelbe Narzissen, aus jedem Winkel lugt Grün oder eine Blume hervor.
Er lässt sich nicht aufhalten, der Frühling. Auch in mir kribbelt es, das Hochbeet zu bestellen oder die neuen kleinen Bäumchen in den Wald zu pflanzen, damit wir in einigen Jahren mit den Enkeln Weihnachtsbäume ernten können.

Irgendwie hilft mir der nahende Frühling allmählich immer besser, die schwierigen Entwicklungen, die uns umgeben, wieder leichter zu tragen.
Wegen der ukrainischen Flüchtlinge saßen wir vor fünf Tagen im Landratsamt in bewährter Runde zusammen und gingen wichtige Punkte Schritt für Schritt durch. Jeder Ankömmling wird auf Corona untersucht, Positive werden in Quarantäneunterkünfte weitergeleitet. Familien können dabei zusammenbleiben. Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften (Turnhallen) werden mit Reihenuntersuchungen auf Tuberkulose hin untersucht, um ein unbemerktes Erscheinen dieser gefürchteten Erkrankung frühzeitig zu erkennen. Eine Sprechstunde für Kinder und Jugendliche in diesen Turnhallen wird eingerichtet.
Dabei ist der geringste Teil der Flüchtlinge in großen Einrichtungen: Von den derzeit etwa eintausend Menschen sind über achthundert in Privatwohnungen oder kleineren Einrichtungen (Hotel/Jugendherberge) untergekommen, nur 200 leben derzeit in Gemeinschaftsunterkünften. Wenig bemerkt leistet hier die Gesellschaft Großartiges. Diese Menschen werden meist durch ihre Gastgeber und deren Haus- und Kinderärzte betreut. Meine Aufgabe ist es, den Kolleginnen und Kollegen die Informationen zur Behandlung dieser Patienten zusammen zu sammeln und aufzubereiten, Übersetzungshilfen zu erstellen und beispielsweise die kinderärztliche Sprechstunde in den Einrichtungen zu organisieren. Gut, dass jeder Tag einen Abend hat, an dem man nach der Praxis noch etwas Arbeiten kann.

Aus Sicht der Pandemie in Bayern fallen morgen viele Beschränkungen, was ein sehr geteiltes Echo hervorruft. Ich kann mir definitiv nicht vorstellen, im Gedränge eines Geschäftes ohne Maske einzukaufen, es geht mir zu schnell. Das Ende der Vorschriften signalisiert vielen Bürgern, dass die Pandemie, die für einige sowieso nur ein Ärgernis war, nun vorbei sei.
Einer der politisch Hauptverantwortlichen für diesen ?Freedom Day?, der Bundesgesundheitsminister Lauterbach jammert jetzt schon rum, dass doch bitte die Bürger weiterhin Masken tragen sollen. Er, der die Vorschriften aktiv beendet, hat nun Angst vor der eigenen Courage! Schon ein Unterschied, ob man nun in der Rolle des Verantwortlichen steht, oder ob man in Talkshows der Welt erklärt, was die Verantwortlichen alles hätten besser machen sollten, so wie er es über Jahre betrieben hat.
Bei all dieser Kritik bin ich nicht so sicher, was nun kommen wird: In den USA, in denen die Pandemie böse gewütet hatte, liegen die Infektionszahlen bei 35/100 000, in England hingegen auf einem Allzeithoch, krasse Gegensätze.
In Ländern, die bislang aus vielfältigen Gründen verschont geblieben waren und gleichzeitig nicht gut geimpft sind (niedrige Impfzahlen oder vermutlich nicht so schützender Impfstoff) entwickelt sich das Infektionsgeschehen jetzt erst richtig: In Hongkong seien wohl unter 50% der Bürger überhaupt geimpft, gerade die Älteren trauen der Impfung nicht. Dort schlägt die aktuelle Omikronvariante schlimm zu und fordert viele Opfer.
Das Zauberwort scheint Immunnaivität zu sein: Wer schon Kontakt zu Corona hatte, sei es durch Impfung oder Infekt, scheint weitaus geringer schlimm zu erkranken. Somit könnte es durchaus sein, dass es für unseren Landkreis (130 000 Einwohner) mit seinen vielleicht 70 % Geimpften (91 000) und über 41 000 Infizierten (+Dunkelziffer) relativ glimpflich abgeht, mit dem Freedom Day.
Wir werden sehen.
Inzwischen haben die Stare, vormalige Wollpuschel im Baum, eine wundersame Wandlung durchgemacht, plustern sich, tänzeln, schlagen mit den Flügeln und versuchen mit prächtigem Federkleid die schönste aller Starinnnen herbeizuträllern. Und die Frühlingssonne belächelt das alles von oben, wobei weiterhin Schneeflocken vorbeitreiben.

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Sa., 26. März 2022
Dr. Lohse berichtet: Die 103-106. Woche der Pandemie in Münsing
Ende März ? da möchte ich ein Vöglein sein. Vor sechs Uhr morgens würde ich gemeinsam mit meinen Freunden um die Wette pfeiffen in der Hoffnung, dass die Schönste unter den Vogeldamen meinen Gesang erhört und mit mir gemeinsam ein Nest baut. So viel Lebenskraft und Unverdrossenheit!
Die Wiese ist gespickt mit Narzissen, Schlüsselblumen und anderen Boten der nahenden Wärme, trotz allem.
Trotzdem es seit vier Wochen nur einmal geregnet hat, Sahararegen, der das Land mit rotem Staub überzogen hat.
Trotzdem die Luft so trocken und staubbeladen ist, dass der Mond abends wie eine rote Laterne glühend den Horizont übersteigt und ein unheimliches Bild abgibt.

Trotzdem über dem Land der Menschen Schatten liegen. Für uns Menschen ist diese Unbekümmertheit ein selteneres und wertvolles Gut geworden, sorgenvoll blicken viele nach Osten, Nachrichtensendungen mag man gar nicht mehr sehen. Wieviel wühlt der Krieg auf, wie viele Ängste und Leid werden angefacht?

Eine alte Frau berichtet gestern in der Sprechstunde von ihren Alpträumen, den Erinnerungen von 1945, einer Zeit die sie als Grundschulkind erlebte. Die Bilder der ausgehungerten KZ-Häftlinge, die hier durch die Dörfer getrieben wurden, lassen sie nicht los. Der Vater hatte in größter Heimlichkeit gekochte Kartoffeln an den Wegesrand der Elendsroute gestellt und sie wird heute wieder verfolgt von den Bildern, die sie damals erleben musste. Wieder geweckt werden diese Erinnerungen von Bildern des Hungers, der Bomben und Vertreibung, die uns täglich aus dem Kriegsgebiet erreichen. Lange erzählt sie, das erste Mal, denn als Kind war sie wenig beachtet, keiner hatte Zeit für ihre Nöte, und dann wollte das keiner mehr wissen und wahrhaben.
Im Wochenenddienst kommen erste Flüchtlinge in die Sprechstunde. Ein fieberndes Kind, mit der erschöpften Mutter nach 36 Stunden Autofahrt und einer schmerzgeplagten Großmutter. Über die Dörfer geht eine Welle der Hilfsbereitschaft, es werden Sammlungen veranstaltet, karitative Frühlingsmärkte abgehalten und die Grundschule macht Ukraineaktionen. Das hilft Jung und Alt, das Mitleiden auszuhalten und sich selbst aus der Hilflosigkeit zu befreien.
Als ärztlicher Koordinator und Versorgungsarzt für den Landkreis wachsen die Aufgaben. Die Pandemie, leider noch längst nicht in der Ruhephase des Frühlings, tobt und treibt die Infektionszahlen in schwindelerregende Höhen. Zwar ist der Anteil schwer Erkrankter sehr viel geringer, aber es reicht voll und ganz, die Normalstationen der Kliniken zu füllen. Beatmete sind es nicht viele, die Todesfälle durch Korona steigen auch nicht steil an. Aber die Ausfälle durch Erkrankungen in Form von Krankschreibungen sind auf einem Allzeithoch. Auch in unserer Praxis fallen Mitarbeiter durch eigenen Infekt oder Erkrankung in der Familie aus. Es ist verflixt eng, die Stimmung ist angespannt und die Arbeit in Form von Testungen, Behandlungen, Krankschreibungen ist schier nicht zu bewältigen. Andere Patienten können nicht mit der gewohnten Ausführlichkeit behandelt werden, wobei wir alle versuchen, keine Nachlässigkeit aufkommen zu lassen.
In diese Situation hinein kommt nun die Welle Vertriebener und Flüchtender aus der Ukraine. Der Landkreis versucht eilends Turnhallen umzugestalten. Dort sollen die Ukrainer aber nur kurz verweilen und rasch auf dezentrale Unterkünfte (Privatwohnungen, Hotels ..) verteilt zu werden. Noch klappt das gut. Problematisch ist immer wieder, die Helfervorstellungen und die Vorstellungen Geflüchteter in Übereinstimmung zu bekommen. So wird immer wieder von ?Unzufriedenheit? über die Unterkunft berichtet, von ?Anspruchsdenken? Geflohener. Hintergrund sind tatsächlich teils völlig verquere Vorstellungen von Gastgebern, die sich als Helfer definieren, aber von den Alltagsproblemen keine Ahnung haben und die Gäste nach kurzem schon als Belastung empfinden. Auf der anderen Seite sind bei den Fliehenden auch große kulturelle und soziale Unterschiede ganz normal, Ukrainer sind ja auch nicht alle gleich. In den großen Sammelunterkünften treten immer wieder Spannungen durch unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen auf, die sich auch in der eigenen Heimat schon argwöhnisch beäugen. So müssen wir ? wie schon in früheren Flüchtlingswellen ? darauf achten, dass wir vor großem Helferengagement die Realitäten nicht aus dem Auge verlieren.
Durch Ausweitung des immer noch geltenden bayerischen Katastrophenfalles von der Pandemie auch auf die Ukraineflüchtlinge sind meine Aufgaben mehr geworden. Nun habe ich auch noch die medizinische Versorgung dieser Menschen zu koordinieren. Also werden die selten gewordenen Fahrten nach Bad Tölz zu Besprechungen wieder regelmäßig, abendliches Arbeiten am Laptop wieder fester Bestandteil des Alltages. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in unserem Land die Beherbergung und Versorgung der Flüchtlinge gut und in Anstand bewerkstelligen können, solange wir uns unserer Stärken bewusst bleiben und die Realität als Maßstab nutzen. Natürlich sind nach über zwei Jahren viele ausgebrannt und erschöpft, natürlich ist vieles nicht so, wie wir es uns vorstellen. Aber im Blick auf heute und morgen können wir Schritt für Schritt das Notwendige unternehmen und in Abschätzung der Zukunft bedächtig bleiben.
Leider ist meine Einschätzung, dass pandemisch ab Ostern Ruhe einkehrt, zu optimistisch gewesen, die Inzidenzen verharren auf weiter hohem Niveau. Sehr sehr bedauerlich ? aber es ist so. Ostern wird es trotzdem.
Nun ist es Wochenende, die Narzissen leuchten in der Sonne, die Vögel suchen die ersten Halme. Nun werde ich die Unbekümmertheit der Vögel zum Vorbild nehmen, bisserl Schreibkram machen, bisserl Garten und morgen mit der Familie und den Enkeln grillen.

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