Dienstag, 31. März 2020
Di., 31. März
Dr. Lohse berichtet (3) Die dritte Woche der Pandemie in Münsing
Eine wunderbare Nacht, Sternefunkeln, klare, leicht schwirrende Luft, eiskalt. Der letzte Märztag, morgen ist erster April. Schlaflose Nächte haben auch Vorteile, sonst hätte ich gerade nicht diese kalte beruhigende Luft eingeatmet, die tiefe Nacht verspürt und früher als eigentlich geplant hier geschrieben.

Es beschleunigt sich, aber im Augenblick nicht in Holzhausen. Ich lese in der Zeitung, dass die Gemeinde Münsing in der Corona-Fall-Statistik pro Kopf Landkreissieger ist, also die meisten Erkrankten pro Einwohner hat. Sind wir besonders schwarze Schafe?
Unsinn, wir wissen es nur schon, weil wir so viel testen. Mit Erfolg. In Holzhausen konnte man Statistik live erleben: In zwei Wellen stiegen die Fälle sprunghaft an, ausgehend von einer unerkannten Ersterkrankung vor mehr als zwei Wochen. Die erste Welle, als B. scheinbar die erste war (da waren es aber schon drei), die zweite Welle fünf Tage später mit acht Erkrankten und dann eben NICHT die dritte große Welle, sondern nur ein Schwapp mit einer knappen Handvoll neu Erkrankten. Konsequente Quarantäne der bis dato Erkrankten und Kontaktverminderung – ein Opfer, dass gerade den geselligen und kommunikativen Holzhausern schwer fällt – erstickte dieses Feuer, bevor es richtig Kraft sammeln konnte.

Im Team läuft es gut, die Mannschaft in der Praxis hat gewechselt. Wir versuchen, fit zu bleiben, was abgesehen von der einen oder anderen schlafarmen Nacht einigermaßen funktioniert. Jeder Einzelne steht unter erhöhter Anspannung, jeder geht anders damit um.

Nach unseren ersten beiden sehr improvisierten Abstrich-Aktionen vor unserer Praxis mit knapp 40 Patienten (womit wir ja dann Landkreis-Testsieger wurden) war uns die enorme Wichtigkeit der Testungen klar. Die Testung hilft nicht dem Erkrankten. Der Erkrankte braucht Ruhe, eine Portion Glück und, wenn er schwer erkrankt, eine anständige medizinische Betreuung. Aber sein Nachbar, seine Großeltern, die brauchen diesen Test, damit sie gewarnt sind. Vor ein paar Tagen schrieb ich über die Hundertschaft, von denen acht in die Klinik müssen und nur sieben wieder nach Hause kommen. Wir brauchen die Testungen und danach das konsequente Verhalten, um möglichst wenige Hundertschaften zu haben.

Das Team schiebt. Der Osterurlaub wurde gestrichen – eigentlich nicht von Dr. Özden oder mir, sondern das Team stellt klar, dass jetzt keine Zeit ist, zuhause zu sitzen. Den Satz „wir werden gebraucht“ höre ich oft dieser Tage. Wir hatten uns gar nicht so recht getraut, den Familien ihre freie Woche zu streichen.

Dann kam die Idee des Drive-In auf. Sie schlich sich in unsere Köpfe und viele Hände machten sie binnen des vergangenen Wochenendes zur Realität. Dörfer haben den Vorteil, dass man sich kennt. Das ist ein gigantisches Potential. Am Freitag blickten wir noch einmal skeptisch vor unserer Praxis umher, wie und wo man am sichersten Testungen machen könnte. Am Montag, also gestern, stand bei der Münsinger Waschanlage ein komplettes Drive-In auf dem Grund eines Münsingers, den er uns, ohne eine Minute zu zögern, zu Verfügung stellte.
Unsere Gartenpavillions verbanden sich mit Verkehrspollern der Feuerwehr und mit improvisierten Schildern des gemeindlichen Bauhofes zu einem ungewöhnlichen netten, kleinen Ensemble mit dem Charme eines Verkehrsübungsplatzes der Grundschule.

Mit gepackten Kisten voller Material steht das Drive-In-Team der Woche, Dr. Özden und Mitarbeiter bereit. Weitere Arztpraxen oder Ärzte, ehemalige Mitarbeiter unserer eigenen Praxis möchten eingearbeitet werden, um ehrenamtlich über Wochen zu helfen. Das Landratsamt ist erfreut, möchte uns mit Logistik unterstützen – bislang versorgen uns Handwerker und Privatpersonen mit Spenden von Masken, Schutzanzügen und Handschuhen. Diese Woche haben wir uns gesetzt, um aus dem spontan geborenen Provisorium ein professionelles Element in der Bekämpfung der Krise zu formen.

Vor drei Wochen hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich einmal so etwas um 4:41 Uhr morgens schreiben würde. Da hätte ich wahrscheinlich vom Osterurlaub geträumt und mich gefreut, mit unserem Kirchenchor Ostern in unserer schönen Holzhauser Kirche singen zu dürfen. Fällt aus.

Angesichts des Desasters in den Ländern rund um uns und den beängstigenden Berichten im Stundentakt tut es aber unendlich gut, in einer Gemeinschaft zu stehen und aktiv sein zu können.


Blick ins "Ausland" (7) Von der Nordfriesischen Insel Pellworm erreicht uns das abgebildete Corona-Plakat.
So mokt wi dat! Wir sind zwar über meine Frau mit einem Netzwerk von Übersetzern verbunden, aber das kann niemand. Naja, so ungefähr kann man sich ja denken, was draufsteht.




Äpfel und Birnen Wer die Diskussion über die Gefährlichkeit von Covid-19 im Vergleich zu Influenza verfolgt, stößt immer wieder auf die verstörende Zahl von 25.000 Influenza-Toten aus dem Jahr 2018, neben der die paar hundert aktuellen Corona-Toten seltsam harmlos wirken. Bei meinen Recherchen bin ich auf einen Artikel in der Online-Ausgabe der "Pharmazeutischen Zeitung" gestoßen, der eine für mich logisch klingende Erklärung liefert – Zitat: Beim Vergleich der Sterbefälle der echten Influenza und Covid-19 muss man vorsichtig sein. Denn bei den häufig zitierten 25.000 Todesfällen in der schweren Grippesaison 2017/2018 handelt es sich um eine Schätzung der Übersterblichkeit im Zeitraum der Grippewelle, die das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin jährlich vornimmt. Bei den Covid-19-Sterbefällen handelt es sich dagegen nicht um eine Schätzung, sondern um die Summe aller Todesfälle bei Patienten mit laborbestätigter Infektion.
Wenn man also die aktuelle Covid-19-Todesfallzahl mit der Anzahl der Grippetoten von 2017/2018 vergleichen möchte, darf für die Grippe auch lediglich die Zahl der Todesfälle bei laborbestätigt Influenza-Infizierten herangezogen werden. Diese lag laut RKI-Saisonbericht bei 1.674 Todesfällen. In der aktuellen Saison 2019/2020 liegt sie den neuesten Zahlen zufolge bei 323; für Covid-19 beträgt sie aktuell (26. 3. 2020) 198. Bei Covid-19 steht Deutschland allerdings noch ganz am Anfang einer Epidemie mit exponenziell wachsenden Fallzahlen, entsprechend wird die Zahl der Todesfälle auch noch zunehmen, wie Experten immer wieder betonen. »Wir befinden uns am Anfang einer Epidemie«, sagte RKI-Präsident Professor Dr. Lothar Wieler vergangene Woche in einem Pressebriefing. »Wenn man sich eine Kurve vorstellt, befinden wir uns links unten.«



Elke aus dem Wald: Heute habe ich einen Kandidaten eingefangen, den gar nichts umhaut: den Winterjasmin. Er blüht bei mir im Garten seit Januar – eine kraftvolle Pflanze, die sich durch nichts beirren lässt, und der wir es gleich tun sollten.

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