Montag, 4. Mai 2020
So., 3. Mai
Dr. Lohse berichtet (8) Die achte Woche der Pandemie in Münsing
Der erste Mai naht, für Jäger ein wichtiges Datum. Wie für Burschen und Madeln eigentlich auch. Die einen gehen auf die Jagd im Wald auf einen Rehbock, wobei typischerweise am 1.Mai fast nie etwas erlegt wird, die anderen stellen den Maibaum auf und stärken dörfliche Identität oder gehen bei den Nachbarorten auf die Jagd nach einem feschen Madel oder hübschen Burschen für den Mai – und vielleicht das Leben. Da wir Jäger alleine auf die Jagd gehen, ging dieser Teil der Tradition in Ordnung, kalt war es, die Rehböcke schliefen noch und ließen sich nicht sehen. Die Maibäume blieben aber dieses Jahr einsam, wie auch der Schützenball, meine Wendemarke zum Frühling, auch ausfiel.

Draußen in der weiten Welt wird von Politikern eigenes Versagen hinter Schuldzuweisungen versteckt. Es ist unfassbar, wie verantwortungslos Regierungen großer Länder mit dem Thema umgehen. Jetzt suchen Geheimdienste nach einem Schuldigen, als würde das irgendwas ändern. Genauso beklemmend empfinde ich nun die Verschwörungsgeister, G5-Masten, Zwangsimpfungen, Chipimplantationen von Bill Gates und lauter so bunte Ideen. Ich brauche doch keinen Chip von irgendwem in mir, da reicht doch ein Smartphone und facebook!

Aber wenigstens die Pandemiesituation hat sich weiter etwas entspannt: Heute setzt sich der Trend mit immer weniger Neuinfektionen fort, und wir haben sehr deutlich unter tausend neue Covid-19 Fälle in ganz Deutschland. Russland übrigens heute über 10.000, USA kürzlich über 27.000 an einem Tag. In unserem Land besteht nun wieder die Chance, einzelne Infektionsketten zu verfolgen und zu isolieren. In das Drive-In in Münsing kommen immer weniger Patienten, da auch wirklich weniger Verdachtsfälle aufkommen.

Es ist hoch an der Zeit, dass wir uns – wo möglich – wieder unseren anderen wichtigen Themen zuwenden: Ich vermisse so manchen kritischen Patienten, der sein Herz, seine Lunge oder seine Tumorerkrankung weiter behandeln lassen muss. Gerade jetzt, da die Pandemie-Fallzahl gering geworden ist, und wahrscheinlich auch der verträumteste Arzt penibel auf Infektionsschutz achtet, können und sollen diese Patienten dringend wieder zu ihren Ärzten kommen. Eine Arztpraxis ist jetzt infektiologisch wahrscheinlich ein ebenso ungefährlicher Ort wie ein Friseursalon.
Ich persönlich freue mich sehr über diese Entspannung, da ich müde geworden bin. Müde der vielen Erklärungen, des immer wieder Motivierens, des Kassandrarufens. Ich freue mich auf so manche schöne Abende im Wald auf der Suche nach einem Wildschweinbraten, ich hoffe natürlich auf die Möglichkeit, bald wieder Freunde zu treffen. Diese Entspannung brauche ich – brauchen wir – in dieser Hinsicht ist es noch nicht vorbei.

Keiner, wirklich keiner kann uns sagen, was in drei Monaten ist. Das Virus ist ja schließlich kein anderes als vorher. Das Einzige, was anders geworden ist, ist unser Verhalten, ist die „soziale Distanzierung“. Es mischt nun in die Angst vor Infektion und Krankheit immer mehr die Angst vor Ruin und Untergang von Lebensplänen, vor wirtschaftlichem Zusammenbruch. Ich rede mich leicht mit meinem krisensicheren Beruf, aber was, wenn ich Wirt geworden wäre? So viele haben bis jetzt tapfer durchgehalten und riesige Verluste in Kauf genommen, hoffentlich können wir in Schritten die Blockade lockern. Da sich das Virus nicht geändert hat, geht es nur mit geändertem Verhalten, Distanz und Disziplin. Da ist dann ein Stück Entspannung besonders wichtig.

Also, nachdem keiner weiß, was in drei Monaten ist, sollten wir sehr bewusst den heutigen Tag leben. So gibt es ganz bewusst und sehr genussvoll frischen Spargel mit selbst gejagtem Wildschweinfilet, Kartoffeln und dem ersten Salat aus dem Hochbeet. Nicht dass nun falsche Gedanken über die Völlerei bei Ärzten aufkommen: Heute ist Sonntag, da gibt es etwas Besonderes.

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